Calypso

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 1996
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  • New York: Viking Press, 1979, Titel: 'Calypso', Seiten: 217, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1980, Titel: 'Schüsse im Regen', Seiten: 188, Übersetzt: Sigrid Kellner
  • Bergisch-Gladbach : Bastei Lübbe, 1996, Seiten: 252, Übersetzt: Sigrid Kellner
Calypso
Calypso
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2021

Mordserie im Dauerregen

In Isola herrscht spätherbstlicher Dauerregen - was jenen Mörder begünstigt, der gut vermummt auf offener Straße auf den Musiker George Chadderton schießt. Begleitet von seinem Manager kam er gerade von seinem letzten Auftritt. Auch Ambrose Harding wird verletzt, doch als ihm der Täter den Rest geben will, versagt die Waffe.

Dieses Verbrechen fällt in den Zuständigkeitsbereich des 87. Polizeireviers und geht an die Detectives Steve Carella und Meyer Meyer. Routiniert läuft die Ermittlung an, doch die Spurendecke ist dünn. Zudem gibt es keinen direkten Tatverdacht. Zwar blickte Chadderton hochmütig auf die aus seiner Sicht weniger talentierten Musikerkollegen herab, aber Todfeinde hat er sich nicht gemacht.

Eine Besonderheit gibt es immerhin: Chadderton suchte intensiv nach seinem Bruder Santo, der einst in seiner Band spielte und vor sieben Jahren nach einem Auftritt spurlos verschwand. Der Fall konnte nie geklärt werden, weshalb George sich selbst detektivisch betätigte. Ist er der Lösung womöglich zu nahe gekommen?

Kurz darauf bringt der Täter zu Ende, was ihm misslungen war, und ermordet Ambrose Harding. Doch es dauert, bis Carella und Meyer sicher sein können, dass ein Serienkiller umgeht. Die Kollegen vom 83. Revier bearbeiten ahnungslos den Mord an einer jungen Frau, die scheinbar grundlos niedergeschossen wurde. Als die Fälle endlich verknüpft sind, ergibt sich nach und nach eine Fährte, die einerseits zurück in die Zeit und andererseits auf eine unheimliche Insel fern der Großstadt führt, wo Carella und Meyer buchstäblich in die groteske Auflösung nicht nur der ihnen bekannten Morde stolpern …

Ermittlungsroutine in hoffnungsarmer Sackgasse

Man kann nicht immer punkten … Ed McBain hat mit dem 87. Polizeirevier einen Dauerbrenner der Kriminalliteratur erschaffen, der ein halbes Jahrhundert lief und dem erst der Tod des Verfassers 2005 ein Ende setzte. Der Autor hatte die Serie seit 1956 kontinuierlich fortgesetzt. Calypso wurde der 33. Band - und der (unfreiwillige) Beweis für den einleitenden Satz dieses Abschnitts.

Dies stellt man glücklicherweise erst im Finale fest. Bis dahin lesen wir einen typischen Cop-Krimi à la McBain. Ihm ging es nie um die Schilderung ‚großartiger‘ Verbrechen; im Mittelpunkt standen banale Straftaten, hinter denen seelische Abgründe und soziale Missstände zum Vorschein kamen. McBain war ein Moralist der angenehmen Sorte: Er prangerte nicht mit erhobenem Zeigefinger an, sondern schilderte betont nüchtern, dabei unterhaltsam, und scheute auch vor ironischer Überzeichnung nicht zurück.

Auch in Calypso schildert er nicht nur die Jagd auf einen Serienkiller, sondern bringt zeitgenössische Probleme zur Sprache: In erster Linie geht es um die (nicht nur 1980 aktuelle) Rassendiskriminierung. Musiker Chadderton ist schwarz - was aus Sicht der befragten/vernommenen Zeugen/Verdächtigen mit derselben Hautfarbe die Polizeiarbeit einseitig prägt. McBain thematisiert die Frage, ob sie damit richtig liegen, gibt aber auch jener heute vorsichtig gewordenen Stimme Gehör, die danach fragt, ob dieses Argument stets sticht. George Chaddington ist schwarz, ein Mordopfer sowie ein talentierter Musiker, aber auch ein Mistkerl, den nicht einmal seine Witwe wirklich vermisst.

Kampf gegen Windmühlenflügel

McBain treibt diesen Drahtseilakt mit „Fat Ollie“ Weeks auf die Spitze. Der ist ein scheußlich anzusehender Drecksack, der seine zahlreichen Vorurteile förmlich zelebriert. Versucht er diplomatisch zu sein, wird Weeks besonders peinlich. Doch McBain will ihn nicht als Lach-und-Hass-Nummer vorführen; über solche Anbiederung ist er erhaben. „Fat Ollie“ ist ein Schwein, aber auch ein Polizist, der seinen Job versteht und auf seine Art Ergebnisse erzielt: McBain betrachtet politische Korrektheit nicht als Autoren-Auftrag. Er legt offen, wo es auch diesbezüglich knirscht, und überlässt seinen Lesern die Schlussfolgerungen.

Solche Passagen sind sachlich geschrieben und gerade deshalb weiterhin überzeugend, auch wenn manches inzwischen endgültig zum Klischee geronnen ist. Wie üblich auftrumpfen kann McBain außerdem, wenn er die Alltagsarbeit der Polizei quasi dokumentiert: Zwar gibt es mehrere Leichen, aber primär laufen Ermittler durch die Stadt und stellen Fragen - meist vergeblich. Dies entspricht der Realität, um die sich Cop-Krimis, TV-Serien und Filme gern drücken. Im 87. Revier gibt es höchstens ‚Helden‘, die ihren Job verstehen und ihn trotz der damit verbundenen Frustrationen gut erledigen.

Diesen professionellen Leerlauf unterhaltsam zu gestalten ist eine Kunst, die der Handwerker Ed McBain perfekt beherrscht. Man folgt Steve Carella und Meyer Meyer, die sich von der scheinbaren Aussichtslosigkeit ihres Falls nicht entmutigen lassen. Mit der Auflösung lässt McBain sich Zeit: Ermittlungserfolge stellen sich entmutigend langsam ein, das System hakt, und auch der Zufall wird als Helfer nicht verschmäht.

Psycho lässt grüßen

Wie es sich gehört, liegen die Polizisten (und die Leser) völlig falsch, was die Person und das Motiv des Mörders angeht. So gehört sich das für einen Kriminalroman, und Überraschungen sind gestattet und gern gelesen. Normalerweise hält McBain den roten Faden bis zuletzt fest in der Schreibhand. Die finale Auflösung enthüllt oft eher jämmerliche und deshalb erst recht eindringliche Ursachen für die mühsam aufgeklärten Untaten: Wer die Serie um das 87. Revier kennt, setzt dies voraus.

Calypso durchbricht dieses fruchtbare Muster: Wenn sich die Schleier lüften, verwandelt sich die Story plötzlich in ein Horrorgarn der nicht gerade hochwertigen Strickart. Die Geschehnisse verlagern sich: Isola, die von McBain nach dem Vorbild New York Citys gestaltete Großstadt, ist die Domäne des 87. Reviers - doch die Spur führt plötzlich auf eine abgelegene Grusel-Insel, wo das verfallende Grusel-Haus einer reichen, aber übergeschnappten Frau ein Grusel-Geheimnis verbirgt, das spektakulär, doch nicht besonders aufregend aufgedeckt wird.

Serienkiller ließ McBain in ‚seiner‘ Serie mehrfach auftreten. Er schilderte sie als Täter, die von ihrem Mordtrieb beherrscht agierten, als beinahe tragische Gestalten, die Mord auf Mord begingen, um vergeblich eine Erst-Tat zu vertuschen, oder - in Gestalt des „Tauben“ - überspitzt als geniale Superschurken. Dieses Mal wählt er den Weg des ‚klassischen‘ Irrsinns, der nur seiner eigenen ‚Logik‘ gehorcht, was nicht zum Tenor der Vorgeschichte passt. Dabei bleibt er konsequent, gerät aber in das Fahrwasser eines Horrors, der Schrecken mit Drastik verwechselt, und verwässert auf diese Weise auch den Epilog, den McBain gern einsetzte, um seinen Lesern einen letzten, die ‚Nutzlosigkeit‘ der beschriebenen Gräueltaten noch einmal zusammenfassenden Schlag zu versetzen.

Fazit

Der 33. Band gehört nicht zu den besten der Serie um das 87. Polizeirevier. Zwar gelingt dem routinierten Verfasser die spannende Schilderung einer komplizierten Ermittlung, doch die Auflösung erinnert an einen Horrorroman und lässt die finale Zuspitzung der Ereignisse ins Unglaubwürdige abgleiten.

Calypso

Ed McBain, Bastei Lübbe

Calypso

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