Kings Lösegeld

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1961
  • 1
  • New York: Simon & Schuster, 1959, Seiten: 244, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1961, Seiten: 172, Übersetzt: Gitta Bauer
  • Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1980, Seiten: 172, Übersetzt: Gitta Bauer
  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1990, Seiten: 172, Übersetzt: Gitta Bauer
Kings Lösegeld
Kings Lösegeld
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2005

Wie viel ist ein Kinderleben wert?

Schon in jungen Jahren schuftete Douglas King, Kind armer Eltern und geboren in einem verrufenen Viertel der Großstadt Isola, in der Schuhfabrik Granger. Mit eiserner Disziplin und rücksichtslos hat er sich seinen Weg nach ganz oben gebahnt. Nun steht er vor der Erfüllung seines Herzenswunsches: King kann und wird die Aktenmehrheit und damit die Fabrik übernehmen. Freilich musste er nicht nur sein gesamtes Geldvermögen einsetzen, sondern auch seinen beträchtlichen Besitz verpfänden, um die erforderliche Summe aufzubringen. Platzt das Geschäft, ist Kings Ruf als erfolgreicher Manager dahin und er selbst finanziell ruiniert.

Genau jetzt schlagen die Kleinkriminellen Sy Barnard, Eddie Folsom und seine Ehefrau Kathy zu. Barnard will groß absahnen und plant die Entführung von Bobby, Kings achtjährigem Sohn. Er überredet Eddie mitzumachen, wozu dieser ohne Kathys Wissen bereit ist, denn 500.000 Dollar Lösegeld locken. Doch die unerfahrenen Kidnapper begehen einen kapitalen Fehler: Sie schnappen sich nicht Bobby, sondern Jeff, den Sohn von Kings Chauffeur Charles Reynolds.

Als sich der Schrecken legt, sieht Barnard keinen Grund, die Entführung abzubrechen. King soll für Jeff zahlen. Die Gangster sehen ihn in der Verpflichtung. Genauso geht es Kings Gattin Diane und den Polizisten vom 87. Revier, die mit dem Fall betraut wurden. Deshalb fallen die Beteiligten aus allen Wolken, als King sich weigert: Er kann und will seinen Traum vom Besitz der Schuhfabrik nicht aufgeben. Zwingen kann man ihn nicht, und dem moralischen Druck hält er Stand. Für Steve Carella und seine Kollegen herrscht Alarmstufe Rot. Die Kidnapper dürfen nicht erfahren, dass sie kein Geld bekommen werden. Ohnehin kommt es innerhalb der Bande zum Streit, denn Kathy ahnt, dass Barnard nicht vorhat, Jeff lebendig freizulassen …

Ein Autor verschafft sich Freiraum

Ed McBains Kriminalromane um das 87. Polizeirevier enthalten immer ein moralisches Element. In den frühen Werken war es – aus heutiger Sicht – noch recht deutlich und ein wenig aufdringlich. Später verpackte McBain seine Anliegen eleganter und wurde wohl auch ein wenig zynischer; gänzlich mochte er aber nicht auf die Moral von der Geschicht´ verzichten. "Kings Lösegeld" ist der 10. Roman um das genannte Revier – 54 wurden es insgesamt – und entstand 1959. Moral stand damals hoch im Kurs, wobei sich ein Gutteil Bigotterie in die Rechtschaffenheit mischte, mit der die braven Bürger auf jene hinabblickten, die ins Straucheln gerieten.

McBain machte da nicht mit. Allerdings war er kein ´großer´ Autor, sondern schrieb Unterhaltungsromane. Davon lebte er und musste sich deshalb mit seiner Kritik zurückhalten. Dass er seine Kriminalgeschichten nicht in einer realen Großstadt, sondern in einer fiktiven Metropole spielen ließ, war dabei hilfreich. Isola wurde zwar ein Spiegelbild von New York, doch hier war McBain Herr über seine eigene Welt. Was hier schief lief, musste der empfindliche Leser nicht auf die Realität ´seiner´ USA beziehen.

Der reiche Mann liebt sein Geld

Denn McBain bot mit "Kings Lösegeld" in mehrfacher Hinsicht durchaus harten Tobak. Da war vor allem die Kardinalfrage nach dem Wert eines Menschenlebens. McBain scheute nicht davor zurück, ein Kind in Lebensgefahr zu bringen. Unabhängig von der Zahlung des Lösegelds wird Jeff die Entführung nicht überleben. Daran lässt der Verfasser keinen Zweifel. Auf diese Weise schürt er die Spannung – wie kann Jeff gerettet werden? – und verschärft gleichzeitig die Gewissensqualen, in denen sich Douglas King windet.

McBain kennt kein Erbarmen. King muss Farbe bekennen. Ausflüchte werden ihm nicht gestattet. Wie würdest du dich entscheiden? Diese Frage stellt McBain auch seinen Lesern, was er geschickt mit der Handlung verknüpft. Als King seine Entscheidung fällt, unterwirft er sich nicht der gängigen Moral, sondern folgt seinem Egoismus. Dafür zahlt er einen hohen Preis: Seine Frau, sein Sohn und die Polizei verachten ihn. Reynolds, Jeffs Vater, demütigt sich in einer schwer erträglichen Szene und fleht seinen Chef an, das Geld zu zahlen. Er bleibt dabei der klägliche Wurm, als den ihn McBain charakterisierte, und King verliert noch den Rest seiner Integrität.

McBain schafft es, seine Leser verstehen zu lassen, wieso King ist, wie er ist bzw. wie er geschaffen wurde. King ist selbst ein Opfer. Seine Menschlichkeit hat er dem finanziellen und gesellschaftlichen Aufstieg geopfert. Angesicht der dabei erfahrenen Erniedrigungen ist es ihm unmöglich, das Erreichte aufs Spiel zu setzen.

Die Kehrseite der Medaille

Kidnapper rangieren in der Verbrecherwelt tief unten. Gewalt gegen Kinder sorgt sogar unter Kriminellen für Abscheu. Politisch korrekt hätte McBain Jeffs Entführer als Tiere in Menschengestalt schildern müssen. Solche plumpen Vereinfachungen erspart der Verfasser sich und seinem Publikum. Höchstens der brutale und zum Kindsmord bereite Sy Barnard scheint in diese Kategorie zu fallen, aber auch er überrascht im Finale mit unerwarteter und echter Emotionalität.

Im Zentrum stehen Eddie und Kathy Folsom. Eddie ist Douglas Kings dunkles Spiegelbild – ein Mann, der nach oben will, weil er es ganz unten nicht mehr aushält. Dabei treibt Folsom nicht reiner Eigennutz. Er will seiner Kathy ein Leben bieten, das sie ´verdient´. Sie war bisher problemlos einverstanden damit, dass er dies als Räuber und Dieb versuchte. Doch nun hat Eddie eine Grenze überschritten. Kathy muss ihren moralischen Status neu definieren. Sie wird aktiv, will Jeff, sich und Eddie retten. Dafür begibt sie sich notfalls selbst in Lebensgefahr.

"Kings Lösegeld" endet versöhnlich aber nicht ´happy´. Das Schlimmste kann verhindert werden. Nicht alle Entführer enden im Gefängnis. Douglas King muss weder seinen finanziellen noch moralischen Bankrott erklären. Diane kann zu ihm und in ihr luxuriöses Heim zurückkehren – eine ironische Note, mit der McBain das Finale seiner Sentimentalität entkleidet. "King’s Ransom" lautet der Originaltitel, den er seinem Roman gab. Dies bedeutet nicht nur "Kings Lösegeld", sondern auch "Kings Erlösung". Sie wird ihm zuteil, aber McBain lässt offen, ob er sie wirklich verdient hat. Zumindest die Polizisten des 87. Reviers sind da skeptisch.

Männer des Gesetzes

Sie sind zwar alle wieder dabei, spielen aber dennoch Nebenrollen und beschränken sich vor allem auf ihre Arbeit, die McBain, der Meister des "police procedural", gewohnt penibel und trotzdem spannend beschreibt. Aus heutiger Sicht wirken die Methoden veraltet, aber im zeitgenössischen Rahmen funktionieren sie gut genug, um den Kidnappern auf die Spur zu kommen. Einmal mehr macht McBain deutlich, dass Polizisten keine maschinenhaften Vertreter von Law & Order, sondern Menschen sind. Steve Carella ist es dieses Mal, der keinen Hehl aus seiner Verachtung gegenüber King macht, bis er von einem Vorgesetzten zur Ordnung gerufen wird.

Was den Leser heute erstaunt, ist die Tatsache, dass offenbar niemand die geforderten 500.000 Dollar aufzubringen gedenkt, die Douglas King ausgeben soll. Lässt das Gesetz unvermögende Entführungsopfer völlig im Stich? Schießt keine Behörde dieses Geld vor? Leider geht McBain auf diesen Aspekt nicht ein. An der beachtlichen Leistung des Verfassers, der auf weniger als 180 Seiten schnörkelfrei und ohne Längen eine Vielzahl menschlicher Dramen durchspielt, ändert dies freilich nichts.

Eine ungewöhnliche Verfilmung

Vier Jahre nach der Veröffentlichung wurde "Kings Lösegeld" verfilmt – allerdings nicht in den USA, sondern in Japan. Meisterregisseur Akira Kurosawa (1910-1998) faszinierte die Frage, ob der ´Wert´ eines Kindes am Vermögen des Vaters zu messen ist. Als "Tengoku to jigoku" (dt. "Zwischen Himmel und Hölle") inszenierte er mit seinem Schauspieler-Favoriten Toshirō Mifune (1920-1997) eine 143 Minuten lange Mischung aus Krimi und Drama, die nicht zu Kurosawas Glanzleistungen gezählt wird, aber durch die für diesen Regisseur typischen urjapanischen und ´westlichen´ Film-Elemente das Beste beider Kino-Welten unterhaltsam vereint.

Kings Lösegeld

Ed McBain, Ullstein

Kings Lösegeld

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