Dunkle Wasser

  • Blanvalet
  • Erschienen: Januar 2004
  • 5
  • London: Hutchinson, 2002, Titel: 'The babes in the wood', Seiten: 323, Originalsprache
  • München: Blanvalet, 2004, Seiten: 445, Übersetzt: Eva L. Wahser
  • München: Goldmann, 2005, Seiten: 445
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Anhaltende Regenfälle haben die Umgebung der Kleinstadt Kingsmarkham in eine einzige wilde Flusslandschaft verwandelt. Doch Chief Inspector Wexford treibt eine noch größere Bedrohung als das Hochwasser um: Zwei Teenager werden von ihren Eltern als vermisst gemeldet. Sie befürchten, die beiden Kinder könnten in den Fluten ertrunken sein. Auch von der jungen Lehrerin, die die Teenager betreuen sollte, fehlt jede Spur. Wexford hingegen ist überzeugt, dass sich im Haus der Familie ein Verbrechen abgespielt hat. Und es gibt bald eine Spur: Die mit den Eltern befreundete Lehrerin ist aus der exklusiven Privatschule, die die Teenager besuchten, Hals über Kopf ausgeschieden, nachdem ein Schüler sie des Diebstahls bezichtigt hatte. Mit beharrlichem Spürsinn dringt Wexford bald immer tiefer in ein unerwartetes und äußerst kompliziertes Beziehungsgeflecht ein...

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Inspector Wexford, engagierter Kriminalbeamter mit dem Rang eines Chief Inspectors, leitet nicht nur die Ermittlungen, sondern er steckt mittendrin.

In diesem Fall geht es um drei vermisste Personen: Als die Eltern von Giles und Sophie Dade, fünfzehn und dreizehn Jahre alt, von einem Wochenendausflug nach Hause kommen, sind die Kinder verschwunden und mit ihnen die Freundin der Mutter, Joanna Troy, die auf die beiden aufpassen sollte. Da in Kingsmarkham und Umgebung Hochwasser aufgrund des andauernden Regens herrscht, glaubt Katrina Dade, die drei seinen ertrunken, was allerdings angesichts des Wasserstands und der Schwimmfähigkeiten der Vermissten relativ unwahrscheinlich ist.

Als Peter Buxton und seine Frau Sharonne ungefähr eine Woche nach dem Verschwinden der Dade-Kinder von London zu ihrem Landsitz fahren, um dort das Wochenende zu verbringen, entdeckt Peter Buxton in einem Steinbruch auf seinem Land ein Fahrzeug, das den Hang hinuntergestürzt ist und vom ein merkwürdiger Geruch ausgeht. Die Polizei ruft er nicht, da seine Frau befürchtet, ihre Wochenendpläne kämen durch endlose Verhöre durcheinander. Durch dieses egoistische Verhalten tappt die Polizei noch ein paar Wochen im Dunkeln...

Mehr als nur ein Krimi

Wexford ist für den Leser eigentlich relativ alterslos, unverändert seit vielen Jahren, seine Kinder sind schon seit langem aus dem Haus. Dennoch hat er in seiner langen Amtszeit an Profil gewonnen. Man nimmt an seinem Familienleben teil, ohne dass es zu sehr im Vordergrund steht, in einigen Bänden mehr, in anderen weniger. Ein zentrales Thema im vorliegenden Krimi ist häusliche Gewalt, vor der auch seine Tochter Sylvia nicht gefeit ist.

Der zu lösende Fall ist auf den ersten Blick unspektakulär, seitenlang passiert nichts, was die Polizei voranzubringen scheint und doch fügt sich am Ende alles zu einem Bild, das man sogar kurz vor Schluss nicht in allen Teilen erahnen konnte, speziell was das Motiv betrifft. Allerdings wirkt gerade letzteres doch an den Haaren herbeigezogen.

Hinter der Fassade des kleinbürgerlichen Mittelstandes

Schätzungsweise würde die Story von einigen als langweilig eingestuft werden, insbesondere, wenn man ohne Durchhaltevermögen an die Lektüre herangeht, doch es ist typisch für Ruth Rendells Romane, dass die Handlung nicht eilig vorangetrieben wird und die Zwischentöne, die Schilderung zwischenmenschlicher Beziehungen und Dramen ihren Platz eingeräumt bekommen. Was die Zeichnung der Figuren angeht, kann sich manch einer noch etwas von ihr abschauen.

Für mich als alten Wexford-Fan war es einfach wohltuend, wieder einen neuen Roman von Ruth Rendell zu lesen. Allein das Wiedertreffen altbekannter Personen spricht für das vorliegende Buch. "Dunkle Wasser" ist nicht das Beste der Serie - diesen Preis würde ich dem Band "Eine entwaffnende Frau" zukommen lassen -, allerdings auch nicht das Schlechteste. Dennoch, der Unterhaltungswert der Romane ist fast durchgehend hoch, denn nicht umsonst ist sie einer der Meisterinnen des englischen Kriminalromans, und das schon seit vielen Jahren. (bee)

Kingsmarkham ist eine Kleinstadt in der britischen Grafschaft Sussex. Eigentlich recht idyllisch im Ländlichen gelegen, haben in diesem Spätherbst sintflutartige Regenfälle den Kingsbrook und die anderen Flüsse in Stadt und Umland über die Ufer treten lassen. Ganze Landstriche versinken in den Fluten, ein Ende der Wolkenbrüche ist nicht abzusehen.

Auch dem Haus von Chief Inspector Reginald Wexford droht die Überflutung. Der ansonsten sehr penible Kriminalist ist daher zunächst abgelenkt, als dem Dezernat für Kapitalverbrechen ein seltsames Vorkommnis gemeldet wird: Aus ihrem Haus nahe Kingsmarkham sind die Geschwister Giles (15) und Sophie (13 Jahre) Dade verschwunden. Ebenso wird Joanne Troy vermisst, eine Freundin der Familie, die ein Auge auf sie halten sollte.

Wexford glaubt an Entführung

Während Vater Roger, ein strenger und humorloser Mann, das Verschwinden seiner Kinder als Ärgernis zu betrachten scheint, verfällt Mutter Katrina der Hysterie und vermutet Sohn und Tochter irgendwo ertrunken in den Hochwasserfluten. Ein bei der Suche angeschwemmtes Shirt von Sophie könnte dies bestätigen, aber Wexford glaubt eher an eine Entführung.

Der erfolgreiche Geschäftsmann Peter Buxton könnte da Aufschluss geben. Auf seinem weitläufigen Landgut bei Passingham St. John ein gutes Stück außerhalb von Kingsmarkham hat er in einem Steinbruch ein abgestürztes Auto entdeckt, dem ein verdächtiger Gestank entweicht ... Aber Buxton fürchtet um seinen Ruf und beschließt, die Polizei einfach außen vor zu lassen. Als er sich endlich eines Besseren besinnt, ist diese Spur längst so kalt wie die Leiche von Joanna Troy, die in dem Wagen aufgefunden wird.

Church of the Good Gospel

Was ist wirklich geschehen? Sind die Kinder wirklich entführt worden? Giles ist Mitglied der obskuren "Church of the Good Gospel", die mit pathologischem Eifer der "Sünde" nachspürt. Joanne war ausgesprochen sündig, wie Wexford und seine Leute herausfinden. Hat Giles sie zur Rechenschaft gezogen, wie es ihn gelehrt wurde? Ist er dann geflohen, begleitet von seiner Schwester, die womöglich von ihrem Vater missbraucht wurde?

Fragen über Fragen, die an Zahl eher noch zunehmen, als Wochen später Sophie quicklebendig bei ihrer Großmutter auftaucht, wo sie sich die ganze Zeit versteckt hielt. Auch ihrem Bruder ginge es gut, verkündet sie, aber was sie dann als "Erklärung" für die Nacht des Verschwindens vorträgt, kommt Wexford gar zu seltsam vor ...

schwammige Mischung aus Krimi und Psychotriller

Was sich nach der Inhaltsangabe zunächst die solide 1001 Variante eines urbritischen Kriminalromans sein scheint, entpuppt sich bei der Lektüre als etwas schwammige Mischung aus Krimi und Psychothriller. Weil Ruth Rendell als Meisterin des Letzteren gilt, vergehen viele Seiten darüber, das Denken und Handeln der Figuren zu analysieren. Das geht in Ordnung dort, wo es der Geschichte dienlich ist. Leider schießt die Autorin oft und im Finale auf jeden Fall übers Ziel hinaus.

Die Ausgangssituation ist eine nationale Krise. Kingsmarkham steht unter Wasser, was Rendell Stoff für ausführliche Stimmungsbilder liefert und tatsächlich für Atmosphäre sorgt. Fragt sich nur wofür, da die Flut mit der eigentlichen Handlung erst nur am Rande und bald schon gar nichts mehr zu tun hat.

Der Verfasserin geht es um etwas anderes als die "dunklen Wasser"

Die Verfasserin verliert das Interesse an den "dunklen Wassern", deren Bedeutung ohnehin nur der deutsche Titel suggeriert. Rendell geht es um anderes: "Die Kinder im Wald" nennt sie selbst ihr Werk. Damit meint sie zum einen die Dade-Brut, die Opfer und Täter in einem Familiendrama sind, das sich auf einem der im englischen Krimi so beliebten abgelegenen Landhaus abspielt. Hier läuft Rendell zu großer Form auf. Was zunächst eine vom Schicksal verfolgte brave Familie zu sein scheint, entpuppt sich Stück für Stück als Höllenpfuhl unbewältigter Konflikte, enttäuschter Hoffnungen und Lügen.

Wie eine Seuche breitet sich dies über Handlung und Figuren aus. Rendell führt geradezu Buch darüber, wie viele Ehen im Laufe ihrer Geschichte zu Bruch gehen. Überall tun sich Abgründe auf, die so tief klaffen, dass sich Inspektor Wexford und sein Team immer wieder in die Rolle des Psychotherapeuten gezwungen sehen, statt "normaler" Polizeiarbeit nachzugehen.

Lotet geistige Abgründe aus - was leicht schief gehen kann

Ob die Verfasserin von diesen Routinen besonders viel versteht, muss bezweifelt werden. Noch einmal: "Dunkle Wasser" ist kein "police procedural"-Krimi, sondern lotet lieber geistige Abgründe aus. Das gilt als schwierig und wird von der Literaturkritik im Allgemeinen höher bewertet. Es kann aber auch leichter schief gehen. Hier ist es die Auflösung der verwickelten Geschichte, die eher für Stirnrunzeln als für Überraschung sorgt.

Die "anderen" Kinder im Wald müssen buchstäblich als deus ex machina den Kopf hinhalten. Eine fundamentalistische Sekte versammelt sich zu merkwürdigen "Reinigungsriten", die vor allem dem bösen Teufel Weib gelten. Überrascht es da, dass die Finger dieser gehirngewaschenen Spinner tief im Getriebe unserer Geschichte stecken?

So tief, dass Rendell ihre offensiv abstoßend frömmelnden Unsympathen außerdem tauglich für ein "zweites Finale" findet, welches der Aufklärung folgt und das rekonstruierte Geschehen quasi binnen weniger Absätze über den Haufen wirft: Ätsch, eigentlich war alles ganz anders - Überraschung!

Das zweite Finale klappt nicht wirklich

Klappt aber nicht wirklich, weil der Fall eigentlich bereits zufriedenstellend und logisch gelöst war. Nun verrät Rendell um des Effekts willen die eigene Geschichte. Sehr ärgerlich, weil hier die Verfasserin offensichtlich - das "verzögerte" Finale ist fast schon Thriller-Pflicht - unbedingt "modern" wirken möchte. Das hat sie bereits versucht, als sie Wexford im Verhörduell mit Sophie Dade schilderte. Ergebnis: die übliche peinliche Konfrontation altmodischer, die Welt nicht mehr verstehender "Erwachsener" mit abgebrühten, offenbar außerirdischen oder mindestens eine fremde Sprache sprechenden "Teenies", wie sie uns z. B. der deutsche Fernsehkrimi gern zumutet. (Die deutsche Übersetzung schlägt hier ein eigenes Kapitel peinvoller "Jungsprech"-Plattheiten auf.)

Die Mittelmäßigkeit des Kriminalplots ist um so bedauerlicher, weil Rendells Figurenzeichnung - d. h. der "psychologische Part" der Geschichte - fast durchweg überzeugen und unterhalten kann. Das betrifft einerseits den Entwurf diverser Ehepaare, Familien, Individuen in der Krise. Die manchmal unheilvollen Mechanismen des menschlichen Zusammenlebens hat die Autorin im Griff, auch wenn sie gern dogmatisch urteilt. So wirkt der ausgedehnte Handlungsstrang um Wexfords in einer unglücklichen Beziehung gefangenen Tochter Sylvia wie einem Handbuch über prügelnde Männer und paralysierte Frauen entnommen.

Rendells alte Kämpen

Das große Plus von "Dunkle Wasser" ist die erfreuliche Interaktion der Polizisten um Inspektor Wexford. In den vier Jahrzehnten, die es auf Verbrecherjagd geht, hat sich das Team verändert. Geblieben ist der treue Michael Burden, der längst vom geplagten Untergebenen zum gleichgestellten Kollegen und Freund befördert wurde. Mit an Bord sind für die notwendige Fußarbeit inzwischen Sergeant Barry Vine und - die Gleichberechtigung hat sowohl die englische Polizei als auch den Kriminalroman erreicht - Constable Lynn Fancourt. Sobald diese Personen auftreten, strömen die "Dunklen Wasser" gleichmäßig der Auflösung entgegen. Rendell kennt ihre alten Kämpen in- und auswendig. Perfekt trifft sie den Ton zwischen professioneller Kollegialität und freundschaftlicher Verbundenheit.

Das tröstet über andere Flachheiten hinweg. Mit der Religion hat Rendell offenkundig wenig am Hut. Wexford ist Atheist und stellt das gleich mehrfach heraus. Intensiv gelebter Glauben ist für die Verfasserin vor allem wider die menschliche Natur und folglich eine Quelle allgemeinen Ungemachs. Angesichts der Gefahr, die von fehlgeleiteter "Frömmigkeit" ausgeht, was einen wachen Blick auf die bunte Sektenwelt der Gegenwart erforderlich macht, kann man Rendell Recht geben. Die Schilderung der "Church of the Good Gospel" weist dennoch einige ärgerliche Klischees zuviel auf.

Es kann beim nächsten Fall (nur) besser werden

"Dunkle Wasser" liest sich flüssig, kann aber nicht wirklich zufrieden stellen. Weiterhin wirkt der Wexford-Zauber, aber er dient zunehmend dem Zweck, die Mattigkeit der Rendellschen Krimi-Plots auszubügeln. In diesem Fall schlägt das Finale trotzdem arge Falten. Nach 19 Wexford-Episoden bedeutet das angesichts einer weiterhin produktiven Schriftstellerin nicht das Ende der Welt: Es kann beim nächsten Mal schon wieder besser werden. (mdoc)

Dunkle Wasser

Ruth Rendell, Blanvalet

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