Bedenke, was du tust

  • Der Hörverlag
  • Erschienen: Januar 2015
  • 23
  • München: Der Hörverlag, 2015, Seiten: 3, Übersetzt: Stefan Wilkening, Bemerkung: ungekürzte Lesung
  • München: Goldmann, 2017, Seiten: 703
Bedenke, was du tust
Bedenke, was du tust
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Almut Oetjen
91°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2015

Tolstoi hatte recht...

Die Feministin und Bestsellerautorin Clare Abbott wird nach einem Diskussionsabend und einer Signierstunde tot in ihrem Hotelzimmer in Cambridge aufgefunden. Die örtliche Polizei glaubt an eine natürliche Todesursache: Herzinfarkt aufgrund von Herzrhythmusstörungen. Doch ihre Lektorin und Freundin Rory Statham weiß, dass Clare gesund war. Sie ist überzeugt, dass die Todesursache eine andere ist. Da ihr die Polizei von Cambridge nicht glaubt, kontaktiert sie Sergeant Barbara Havers, die sie zufällig bei einer Lesung in London kennengelernt hat.

Havers hat nach ihrem letzten Alleingang (Nur eine böse Tat) einen ganz schlechten Stand bei ihrer Chefin. Superintendent Isabelle Ardery überwacht jeden ihrer Schritte und lauert auf den kleinsten Fehler, um sie in das englische Provinznest Berwick-upon-Tweed versetzen zu können. Havers will beweisen, dass sie eine gute Ermittlerin ist und einen Fall unter Einhaltung des Polizeiprotokolls klären kann. DI Lynley lässt eine neue Untersuchung durch seinen Freund, den Forensiker Simon St. James, vornehmen. Der entdeckt, dass Clare vergiftet wurde.

Havers will Rory informieren und findet sie mit Vergiftungserscheinungen in ihrer Wohnung in London. Rory wird ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie mit dem Tode ringt. Havers ist sicher, dass dies kein Zufall ist. Auf ihr Drängen hin überredet Lynley seine Chefin, ihm den Fall zu übergeben. Während er in London die Ermittlungen aufnimmt, fahren Havers und Sergeant Winston Nkata nach Shaftesbury, Dorset, wo Clare Abbott lebte.

In den Fokus der Ermittlungen gerät Clares Assistentin und ständige Begleiterin Caroline Goldacre, die die Tote fand. Die unsympathische Frau ist Havers' Hauptverdächtige. Daran ändert sich auch nichts, als sich herausstellt, dass das Gift in der Zahnpasta war, die Caroline ihrer Arbeitgeberin geliehen hatte.

...jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich

Die Chronologie der Ereignisse beginnt drei Jahre und drei Monate vor dem Tod der Schriftstellerin. Eine junge Frau in London will ihren Geliebten mit einem Wochenendtrip überraschen. William, so heißt der junge Mann, erscheint nicht pünktlich zu Hause, sie verpassen den Flug. Lily ist enttäuscht und wütend, vor allem darüber, dass er mit seinen Problemen zuerst zu seiner Mutter geht und zu ihr nach Dorset ziehen will, um einen Neustart zu versuchen. Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass Will große psychische Probleme hat und sein Verhältnis zu seiner Mutter nicht ganz normal ist. Zwei Jahre und einen Monat vor dem Mord bekommt Lily einen überraschenden Anruf von Will, der es anscheinend geschafft hat, sich ein neues Leben in Dorset aufzubauen. Er lädt sie zu einem Campingurlaub an der Küste ein. Alles scheint gut zu laufen, bis ein Ereignis zu einer Tragödie führt. Will stürzt sich von der Klippe in den Tod.

Auf ungefähr zweihundert Seiten entfaltet sich eine Geschichte, die anscheinend nichts mit dem Giftmord zu tun hat. George bildet das Porträt einer Familie aus der middle class ab, die unauffällig wirkt und nach außen hin intakt scheint. Doch die Beziehungen sind vergiftet: im Zentrum steht eine Frau, Caroline Goldacre, die in zweiter Ehe verheiratet ist und ihre zwei erwachsenen Söhne abgöttisch liebt, sich für sie aufopfert und exzessiv trauert, als der jüngere Sohn Selbstmord begeht. Caroline gibt Lily die Schuld an Wills Tod, Lily wiederum zeigt mit dem Finger auf Caroline, und der älteste Sohn Charlie sucht die Schuld bei sich, weil er als Psychotherapeut hätte helfen müssen. Er wird depressiv, verliert Patienten, seine Frau India trennt sich von ihm.

George zeigt, wie durch den Selbstmord eine Familie zerstört wird, die sich vorher schon in einem Prozess des Zerfalls befand. Je mehr Geheimnisse Lynley und Havers über die Familie bloßlegen, desto mehr Verdächtige sammeln sie. Die Lage wird nicht einfacher, als sich herausstellt, dass Caroline und Claire sich anscheinend gegenseitig erpressten. Verdächtig sind unter anderem Lily und Caroline, Carolines zweiter Mann Alastair und seine Geliebte Sharon.

Dem Roman vorangestellt sind Zitate von Jeanette Winterson und Nancy Horan über die Macht der Vergangenheit über unsere Gegenwart und die Folgen unseres Handelns, denen wir nicht entgehen. Passend dazu lautet der Originaltitel, "A Banquet of Consequences".

Der Roman ist weit mehr als ein mystery. Es geht um Schuld, Sühne, Gerechtigkeit über die engen Grenzen der Justiz hinaus, um gesellschaftliche Tabus, mütterliche Liebe und Tyrannei. Am Ende verhaften Lynley und Havers aufgrund erdrückender Indizien und eines Geständnisses einen Täter.
Doch ein Roman ist erst zu Ende, wenn er zu Ende ist.

Wie es weitergeht mit Lynley und Havers

Bedenke, was du tust ist der 19. Roman um die ungleichen Ermittler Detective Inspector Thomas Lynley und Detective Sergeant Barbara Havers von New Scotland Yard und knüpft direkt an den Vorgänger, Nur eine böse Tat, an. George entwickelt die Geschichte von Lynley und Havers weiter. Lynley, achter Earl of Asherton, ebenso gut aussehend wie gebildet, allerdings blond, nicht dunkelhaarig wie in der TV-Serie, trifft sich elf Monate nach der Ermordung seiner schwangeren Frau Helen regelmäßig mit der Tierärztin Daidre Trahair (Doch die Sünde ist scharlachrot). Sie hat sich in der Nähe ihres neuen Arbeitsplatzes, dem Londoner Zoo, eine heruntergekommene Wohnung in Belsize Park gekauft, deren Renovierung sich stärker hinzieht, als Lynley lieb ist. Die frühere Affäre mit seiner Chefin, Superintendent Isabelle Ardery, betrachtet er mittlerweile als Dummheit - was dem Leser von vornherein klar war.

Barbara Havers hält sich nach ihrem Toskana-Abenteuer unter dem Radar von Ardery, die jeden ihrer Schritte überprüft und damit droht, bei dem kleinsten eigenmächtigen Handeln das von Havers zwangsweise unterschriebene Versetzungsgesuch abzuschicken, um sie in ein englisches Provinznest zu verbannen. Lynley gefällt die neue Havers gar nicht, die nur noch übervorsichtig agiert und damit weit unter ihren Fähigkeiten bleibt. Havers hält tapfer den Mund, trägt Rock und Bluse, raucht aber weiterhin wie ein Schlot und ernährt sich ungesund. Heikel wird ihre Lage, als Arderys Sekretärin Dorothea Harriman sie zu verkuppeln versucht, sie zu einem Speed Dating schleppt, ihr einen neuen Stil verpassen will und sie zu Tanzstunden verdonnert - was erfahrungsgemäß ebenso gründlich schief geht wie ihr Versuch, ein genießbares Menü für Nkata und sich zu kochen. Am Ende meldet ein alter Bekannter aus ihrem Toskana-Abenteuer, Commissario Lo Bianco, seinen Besuch an.

Ein komplexer und mitreißender Roman über ein Tabuthema, der eine mysteriöse Kriminalgeschichte über einen Giftmord mit Georges Lieblingsthema, der Psychopathologie von Menschen und Familien, verbindet. George synchronisiert mit dramaturgischem Geschick und Gespür eine Vielzahl von Motiven, Figuren und Nebenhandlungen zu einer Geschichte, ringt sie auf die Matte (ihre Metapher), und trumpft mit einem überraschenden Ende auf.

Bedenke, was du tust

Elizabeth George, Der Hörverlag

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