Wolfsmale

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2001
  • 16
  • London: Century, 1992, Titel: 'Wolfman', Originalsprache
  • München: Goldmann, 2001, Seiten: 315, Übersetzt: Ellen Schlootz
  • New York: St. Martin, 1996, Titel: 'Tooth & Nail', Originalsprache
  • London: Orion, 1998, Titel: 'Tooth & Nail', Originalsprache
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Kompromisslos spannender Thriller mit echtem Kult-Potenzial

Typisch Rebus: Weil er seinen Chef in angeheitertem Zustand mit dessen ungeliebten Spitznamen konfrontiert hat, schickt dieser seinen Detective Inspector aus Edinburgh als angeblichen "Experten für Serienmorde" nach London. Dort geht der "Wolfsmann" um, ein irrer Serienmörder, der seine Opfer nicht nur grausam verstümmelt, sondern ihnen auch noch wütende Bauchbisse versetzt. Vier Leichen in drei Monaten hat man so aufgefunden.

Detective Inspector George Flight von der London von der Metropolitan Police und seine Leute haben Hilfe bitter nötig. Trotzdem sind sie wenig erbaut darüber, dass ausgerechnet ein "Jock", den sie nicht einmal richtig verstehen, wenn er den Mund aufmacht, ihnen zeigen soll, wie sie ihren Job zu machen haben.

Der Zorn der englischen Kollegen

Rebus, der schon immer mehr Einzelkämpfer als Teamspieler war, braucht erwartungsgemäß wenig Zeit, sich den Zorn der englischen Kollegen zuzuziehen. Während er damit kämpft, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden, geht er daran, den Wolfsmann-Fall auf seine eigene, oft unkonventionelle Weise anzugehen. Als Außenstehender fällt es ihm leichter, neue Wege einzuschlagen. Auch gegen Hilfe hat Rebus nichts einzuwenden. Daher leiht er der Psychologin Lisa Frazer von der Universität London gern sein Ohr, als sie ihm vorschlägt, ein Profil des Wolfsmanns zu entwerfen; dass bei ihr Kompetenz mit gutem Aussehen einhergeht, ist Rebus, der sich in der fremden Stadt doppelt einsam fühlt, nicht entgangen. Binnen kurzer Zeit ist der Inspector schwer verliebt und übersieht gar zu gern die Anzeichen dafür, dass Lisa nicht diejenige ist, die sie zu sein vorgibt.

Aber Rebus ist auch anderweitig abgelenkt. Im Wolfsmann-Fall drängt die Zeit: Die Abstände zwischen den einzelnen Morden werden kürzer; der Mörder beginnt die Kontrolle über sich zu verlieren und agiert zusehends blindwütiger ...

Figuren lebendig, Rankins Talent als Erzähler außerordentlich

Nach "Verborgene Muster" und "Das zweite Zeichen" ist "Wolfsmale" der dritte Band der fabelhaften Inspektor-Rebus-Reihe, die Ian Rankin seit einem Jahrzehnt zuverlässig Zutritt zu den Bestsellerlisten diesseits und jenseits des Großen Teiches verschafft. Erneut wird rasch klar, wieso dies zu ist: Rankins Thriller sind nicht nur spannend, sondern seine Figuren lebendig, sein Talent als Erzähler außerordentlich (was in der Übersetzung erfreulicherweise fortlebt). Darüber hinaus schildern sie bewegend, aber niemals sentimental oder gar rührselig die Tücken des modernen Großstadtlebens.

Dabei kann "Wolfsmale" allerdings mit dem furiosen Vorgängerband nicht ganz mithalten. Es ist, als ob Rebus in der ?Fremde´ mehr als nur ein wenig hilflos ist. In Edinburgh sticht er, der die dunklen Seiten der unheilvoll verschlungenen Allianz aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Verbrechen seiner Heimatstadt genau kennt, regelmäßig in Hornissennester; in London vergräzt er nur ein paar Polizistenkollegen.

Die Abenteuer eines Schotten in London

Zu weit in den Hintergrund lässt Rankin zudem die eigentliche Thriller-Handlung rutschen. Statt dessen erzählt er hauptsächlich die Abenteuer eines Schotten in London. Weil er ein so hervorragenden Autor ist, macht er dies höchst unterhaltsam. Außerdem weiß hierzulande zwar wohl jede/r um das schwierige Verhältnis zwischen Engländern und Iren. Aber dass die Schotten noch immer auf den Spuren Maria Stuarts wandeln und nach einer vorausgegangenen, sehr nationalistisch geprägten Volksabstimmung 1999 sogar ein eigenes Parlament erhielten, ist wahrscheinlich weniger bekannt. Die dicht unter der Oberfläche lauernden Ressentiments zwischen Engländern und Schotten - Rebus bleibt seinen Gastgebern in diesem Punkt nichts schuldig - tragen zur Dramatik der Handlung entscheidend bei.

Weniger gelungen ist eine Nebenhandlung, die Rebus´ kompliziertem Familienleben gewidmet ist und ihn bei dem Versuch zeigt, seine in London lebende Tochter aus den Klauen eines Kleinkriminellen mit allzu großen Ambitionen zu befreien. Zum eigentlichen Geschehen trägt dies immerhin insofern bei, als Rankin sehr schön zeigt, wie Rebus´ sprunghafter Geist arbeitet, und ihn zufällige Begebenheiten und Beobachtungen, die mit dem Wolfsmann-Fall unmittelbar nichts zu tun haben, dessen Lösung dennoch näher bringen (auch wenn Rankin die Macht des Zufalls hier ein wenig zu oft beschwört).

Ein blasser Wolfsmann

Der Wolfsmann selbst bleibt über die gesamte Distanz recht blass. Vielleicht haben wir Krimifreunde in den letzten zehn Jahren einfach zu viele Serienkiller über uns ergehen lassen müssen. Selbst wenn sie nicht nur als mörderische Bestie Grusel-Schwung in einen Thriller bringen sollen, sondern mit einer glaubwürdigen und auch tragischen Vita ausgestattet werden, kennen wir sie zumindest in ihrer literarischen Inkarnation zu gut, dass sie uns noch fesseln könnten. "Wolfsmale" entstand allerdings bereits 1992, d. h. recht kurz nach "Das Schweigen der Lämmer", mit dem der Blut-und-Bodycount- Boom 1989 begann. Rankin ist nicht für die Erstarrung des Genres (mit-)verantwortlich zu machen, aber "Wolfsmale" leidet dennoch darunter, dass heute jeder regelmäßige Krimileser automatisch zum Feierabend-Profiler geworden ist.

Zu guter Letzt laufen sowohl Rebus als auch Rankin aber wieder zur Höchstform auf. Der Inspektor liefert sich mit dem endlich entlarvten Übeltäter eine wilde Auto- Verfolgungsjagd, die einerseits sehr spannend ist, aber andererseits vielfach ironisch gebrochen wird. Rebus ist wahrlich nicht Dirty Harry, doch wie wir nun erfahren, hat er schon immer heimlich davon geträumt, einen Fall nicht nur durch eintönige, zermürbende Fahndungsarbeit, sondern in einem spektakulären Finale zu lösen. Freilich muss er die Erfahrung machen, dass sich dies im Kino wesentlich einfacher realisieren lässt als in der ?Realität´, die von der Tücke des Objektes regiert wird!

Rankin gehört eindeutig in die Olympia-Riege

Fazit: "Wolfsmale" bietet dieses Mal "nur" gehobene Thriller-Unterhaltung, dies jedoch gemessen an jener Latte, die Rankin selbst aufgelegt hat - und er gehört als Schriftsteller eindeutig in die Olympia-Riege!

Wolfsmale

Ian Rankin, Goldmann

Wolfsmale

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