Verschlüsselte Wahrheit

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2002
  • 7
  • London: Orion, 1993, Titel: 'The Black Book', Originalsprache
  • München: Goldmann, 2002, Seiten: 384, Übersetzt: Ellen Schlootz
  • München: Goldmann, 2007, Seiten: 384, Übersetzt: Ellen Schlootz
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2003

Schotten-Thriller ohne skandinavische Tristesse

John Rebus, Inspektor bei der Kriminalpolizei der Stadt Edinburgh, durchlebt (wiedereinmal) eine schwere Zeit. Gerade hat ihn die Freundin an die Luft gesetzt. Er muss sich in seiner an Studenten vermieteten Wohnung ein freies Eckchen suchen, als sich auch noch Bruder Michael, vor einiger Zeit nach dreijähriger Haft wegen Drogenhandels aus dem Gefängnis entlassen und völlig pleite, bei ihm einquartiert und bald ein fröliches Lotterleben mit Rebus´ weiblichen Untermietern beginnt.

In der Hauptwache St. Leonard´s im Stadtzentrum stehen die Dinge ebenfalls nicht zum Besten. Gerade planen Rebus´ ungeliebte Vorgesetzte, Chief Superintendent "Farmer" Watson und Chief Inspector "Fart" Lauderdale, eine weitere Attacke auf Morris Gerald "Big Ger" Cafferty, den ungekrönten König des organisierten Verbrechens in der Schottenmetropole. Seit Jahren versucht ihn die Polizei festzunageln, doch stets vergebens - Cafferty ist ebenso schlau wie geschickt und weiß sich mit der örtlichen Behörden und Politikern gut zu stellen.

Mit "Big Ger" ein ganz eigenes Hühnchen zu rupfen

Rebus hat mit Big Ger noch sein eigenes Hühnchen zu rupfen. Die Chance bietet sich, als Sergeant Holmes, ein Untergebener, im Hinterhof eines Restaurants zusammengeschlagen wird. Unter seinen Habseligkeiten findet Rebus ein kleines schwarzes Buch. Es hält Holmes´private Ermittlungen über den Brand des Central Hotels fest. Vor fünf Jahren wurde dort in den Trümmern eine Leiche entdeckt, die nie identifiziert werden konnte.

Gewisse Hinweise überzeugen Rebus, dass hinter diesem mysteriösen Vorfall, in den allerlei Prominenz verwickelt zu sein scheint, wiederum Big Ger Cafferty steckt. Dass errichtig liegen könnte weiß er, als sich für ihn die Schwierigkeiten häufen. Auf seinen Bruder wird ein Anschlag verübt. Rebus selbst gerät in eine Falle und wird vom Dienst suspendiert. Unbeeindruckt setzt er jedoch seinen Ein-Mann-Feldzug gegen Cafferty fort und beschwört absichtlich eine Krise herbei, die Edinburgh in Aufruhr und ihn in Lebensgefahr bringt ...

Edinburgh - eine faszinierende Stadt mit Schattenseiten

Die Korruption der angeblichen Volksvertreter, das organisierte Verbrechen hinterscheinbar achtbarer Fassade, die überall sicht- oder spürbare Vergangenheit einer faszinierenden, aber auch düsteren Stadt - Ian Rankin legt ein weiteres Kapitel seiner ganzeigenen Edinburgher Historie vor. Weil er ein sehr erfolgreicher Autor geworden ist, werden ihm das jene, denen er den Spiegel vorhält, nicht vorwerfen, aber begeistert dürften sie trotzdem nicht sein. Zu kenntnisreich und detailliert schildert Rankin die Verrottungen eines Systems, das seinen Bürgern eigentlich eine lebenswerte Existenz schaffen und sichern soll, statt dessen aber ausgehölt und geplündert wird von skrupellosen Elementen diesseits und jenseits der Grenze, die Recht und Unrecht trennt.

Unglücklicherweise hinterlässt auch in Vollendung betriebene Korruption stets Spuren - und das ist der Punkt, an dem Spielverderber wie John Rebus die Szene betreten. Mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn geschlagen und lustvoll die eigenen privaten Probleme auf die verhassten Weißkragen-Kriminellen projizierend, hält er sich nicht an die ungeschriebenen Regeln und stört damit die dunklen Geschäfte jener Zeitgenossen, die sich über das Gesetz erhaben dünken, das nur für Spießer und Trottel Geltung zu haben scheint.

Den toten Elefanten an die Oberfläche befördern

"Verschlüsselte Wahrheit" beschreibt, wie Rebus ein Wurzelstöckchen aus der Erde ragen sieht und so lange daran zieht und zerrt, bis er einen toten Elefanten an die Oberfläche befördert. Es liest sich faszinierend, wie seine Ermittlungen eine Kette scheinbar legaler und offen illegaler Mechanismen in Bewegung setzen, die sich gegeneinander aufschaukeln, bis sie schließlich in ein finales Drama gipfeln, das zwar nicht die filzige Dunstglocke über Edinburgh auflösen kann, aber wenigstens kurzfristig für ein bisschen frische Luft sorgt.

Dass John Rebus, der Ritter von der traurigen Gestalt, davon recht wenig hat, gehört zu den Regeln des Genres: Das Leben kennt halt keine Gewinner. Von Rankin wird dies jedoch nicht mit skandinavischer Tristesse und Bierernst dargeboten, sondern mit einer fabelhaften Mischung aus Galgenhumor und knochentrockenem Sarkasmus, die man den Schotten gern unterstellen möchte. Selten war ein Rebus-Roman so witzig wie "Verschlüsselte Wahrheit", ohne darüber seine Ernsthaftigkeit oder seine Wirkung als Kriminalroman einzubüßen.

Das Leben ist eine düstere Komödie

Das Leben ist eine düstere Komödie, so denkt Inspektor John Rebus. Er sorgt selbst am besten dafür, dass dies zutrifft. Mit unfehlbarer Sicherheit steuert er von einer privaten Katastrophe in die nächste. Im Büro ergeht es ihm nicht anders, aber hier ist sein Standfester, denn trotz einer unorthodoxen Ermittlungsmethoden kann sich seine Erfolgsquotesehen lassen. Außerdem fürchten seine Vorgesetzten die Unberechenbarkeit eines Mannes, der sich weigert, "das Spiel" mitzuspielen, dessen Hauptgewinne Beförderungund gesellschaftlicher Aufstieg heißen. Rebus lässt sich nicht kaufen und zahlt im Berufseinen Preis dafür. Privat hätte er es gern ein wenig friedlicher, vor allem aber geselliger. Dem stehen allerdings sein grüblerisches Wesen und die Gespenster seiner Vergangenheitentgegen. In seinem ersten Leben hatte sich der junge John Rebus als Elitesoldat versucht, was ihn nach furchtbarem Psychoterror im Irrenhaus enden ließ. Diese Erfahrungen haben ihn geprägt; sie werden verstärkt durch das, was Rebus täglich während der Polizeiarbeit zu sehen bekommt.

Rebus bewegt sich wieder in einem Kosmos sympathischer und abscheulicher, aber jedenfalls exzentrischer und interessanter Figuren. Der alltägliche Wahnsinn zeichnet auch die Männer und Frauen von St. Leonard´s. Liebevoll schlägt Rankin ein weiteres Kapitel im nie endenden und einfallsreich geführten Kampf zwischen Rebus und "Farmer" Watson auf, die sich mehr schätzen als sie sich eingestehen würden. Ohne Krampf und fanatisches Sendungsbewusstsein schildert der Verfasser am Beispiel der Siobhan Clarke die Tücken einer weiblichen Karriere in einem zutiefst maskulinen (oder chauvinistischen) Gewerbe. Weniger unterhaltsam, aber nicht weniger interessant ist Rankins Entwurf einer Polizei, die sich von den ihr gesetzlich auferlegten Zügeln befreit und sich eine Grauzone schafft, in der sie sich z. B. eines latent gefährlichen Kinderschänders unter zynischer Ausnutzung selbstjuristischer Anwandlungen der leicht zu empörenden Öffentlichkeit entledigt.

Die feinen Herren lassen die Drecksarbeit von ihren Schergen erledigen

Morris Cafferty ist das Synonym dafür, was in unserer Gesellschaft schief läuft. Es gibt ihn unter vielen Namen in vielen Städten, Regierungen, Unternehmen. Jede/r von uns kennt mindestens einen "Big Ger", der seine Mitmenschen ausnutzt und schurigelt und über die dummen Schafe lacht, die sich brav durch ihr Leben scheuchen und scheren lassen. Nie machen sich diese feinen Herren die eigenen Finger schmutzig, sondern lassen die Drecksarbeit von ihren Schergen erledigen. Dies ist mit ein Grund, wieso Rebus Cafferty so hasst. Sie werden sich nicht zum letzten Mal begegnen und ihre Klingen kreuzen.

Verschlüsselte Wahrheit

Ian Rankin, Goldmann

Verschlüsselte Wahrheit

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