Ein glücklicher Zufall

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1958
  • 3
  • London: Hutchinson, 1931, Titel: 'The Sands of Windee', Seiten: 291, Originalsprache
  • München: Goldmann, 1958, Seiten: 181, Übersetzt: Heinz Otto
  • München; Wollerau: Goldmann, 1974, Seiten: 185
  • München: Goldmann, 1992, Seiten: 185
Ein glücklicher Zufall
Ein glücklicher Zufall
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2003

Ruhig, aber niemals betulich

Windee Station, eine Farm im Südwesten des australischen Bundesstaates Neusüdwales - mehr als eine halbe Million Hektar von der Sonne verbranntes, ausgedörrtes Land, das nichtsdestotrotz 70.000 Schafe ernährt und den Besitzer Jeffrey Stanton zu einem reichen Mann gemacht haben. "Jeff", wie ihn sogar seine Arbeiter zu nennen pflegen, ist ein harter, aber gerechter Selfmade-Mann, verwitwert, mit einer tüchtigen Tochter gesegnet und mit einem trinkfesten Sohn geschlagen.

Vor etwa zwei Monaten hat sich auf Windee Station ein seltsamer Vorfall zugetragen. Ein Mann, der sich Luke Marks nannte, hatte Stanton, angeblich ein alter Freund, besucht. Einige Tage später fand man seinen Wagen in einem öden Landstrich - leer, vom Fahrer keine Spur. Eine ausgedehnte Suche blieb erfolglos. Marks war verschwunden.

Dem aufmerksamen Inspektor Napoleon Bonaparte von der Polizei in Queensland ist dieser Fall zu Ohren gekommen. Der Sohn eines weißen Vaters und einer Aborigines- Mutter hat es weit gebracht in seiner Behörde. Er ist ein ausgezeichneter Kriminalist und Spurenleser, der in der endlosen Weite seiner Heimat auch dort seinen Fall löst, wo seine Kollegen - in diesem Fall der eifrige, aber überlastete Sergeant Morris - aufgeben müssen.

Gegen den Willen seines Vorgesetzten hat sich "Bony", wie der eigenwillige Bonaparte von seinen Freunden genannt wird, nach Windee Station begeben. Er hat entdeckt, dass Marks ein korrupter Beamte der Gewerbepolizei von Neusüdwales mit Namen Green war. Dieser hatte sich in Sydney davongemacht, als der Boden zu heiß für ihn wurde. Was hat er in Windee Station gewollt? Dass er nicht mehr lebt, ist Bony rasch klar. Dort, wo Greens Wagen gefunden wurde, haben Eingeborene ein Zeichen hinterlassen: "Hütet Euch vor bösen Geistern; hier wurde ein weißer Mann getötet."

Bony geht seine Ermittlungen undercover an. Er lässt sich vom ahnunglosen Stanton als Farmarbeiter anstellen. So lernt er Windee Station und seine wortkargen, aber tatkräftigen Bewohner kennen. Dass es um Mord geht weiß Bony, als ihm bei seiner Untersuchung des Tatorts eine Ameise einen Diamanten vor die Füße wirft. Als er es plötzlich gleich mit drei Mördern, die pardoxerweise unschuldig sind, einer verzweifelten Braut und einer heißblütigen Erpresserin zu tun bekommt, ist er fast dankbar, mit einem Buschfeuer auf den Fersen in eine öde Wüste fliehen zu können...

Eine sehr einfache Kriminalgeschichte, eingebettet in ein fremdes Land mit einer exotischen Kultur, das Ganze kenntnisreich und gekonnt erzählt - das ist das offene Geheimnis des Erfolgs, der die "Bony"-Romane des Arthur W. Upfield unsterblich werden ließ. Ein glücklicher Zufall bildet da keine Ausnahme. Lakonisch und unsentimental, dabei genau beobachtet: Hier schreibt jemand über eine Welt, die er versteht. Genretypisch Effekte wie Verfolgungsjagden und Schießereien fehlen gänzlich, die Bluttat ist längst geschehen, als die Handlung einsetzt. Dramatisches Finale bildet statt dessen ein gewaltiges Buschfeuer, das einen wahrlich eindrucksvollen Rahmen für die sehr versöhnliche Auflösung dieses Falles liefert.

Dass Windee Station und die winzige Ortschaft Mount Lion auch im Wilden Westen der Vereinigten Staaten stehen könnten, ist natürlich auch dem Verfasser aufgefallen. Er treibt seine Späße damit, dass hier Schafe statt Rinder getrieben und nicht Bisons, sondern Kängurus gejagt werden. Die Stantonschen Arbeiter geben sich wie Cowboys, nur dass sie auf ihrer nachmittäglichen Teestunde bestehen. Sogar Indianer gibt es in dieser Geschichte: Sie werden von den Aborigines vertreten, die mit den weißen Herren ihres Heimatlandes immerhin in friedlicher Koexistenz leben.

Die ruhige, aber niemals betuliche Handlung lässt Raum für schnurrige Episoden mit handfesten Gottesleuten oder unkonventionellen Gastwirten, erzählt vom geheimen oder geheimnisvollen Leben der Aborigines und lässt die Kehle schon beim Lesen trocken werden ob so viel Staubes und Hitze.

 

"Von seiner Mutter hatte er das Nomadenblut, die scharfen Augen und die Jagdleidenschaft geerbt, seinem Vater verdankte er die Beherrschtheit seines Wesens und die Fähigkeit, logisch zu denken." 

 

So wird uns Napoleon Bonaparte, kurz "Bony" genannt, vom Verfasser Upfield vorgestellt. Ein wenig verunglückt ist ihm das aus heutiger Sicht, da inzwischen nur mehr Rassisten und Dummköpfe in Frage stellen, dass auch "reinblütige" Aborigines über die Gabe des logischen Denkens verfügen. Dabei war Upfield sicherlich kein verkappter Kolonialherr, der die "Nigger" Australiens - als solche bezeichnet sie der honorige Stanton, ohne sich groß etwas dabei zu denken - als Menschen zweiter Klasse betrachtete, sondern kann nach den Maßstäben seines Zeitalters durchaus als aufgeklärt gelten.

Sein Bony ist jedenfalls ein selbstbewusster Mann, der sich nicht in die "Ja, Massa"-Ecke abdrängen lässt. Er hat sich trotz seiner unkonventionellen Vergehensweisen als Kriminalist einen Namen bei Weiß und Schwarz gemacht, beauftragt sich notfalls selbst mit einer Ermittlung und ist mit sich selbst und seiner Herkunft im Reinen; Sergeant Morris springt jedenfalls rasch vom Pferd als er merkt, wer da vor ihm steht, und auch Bony lässt keine Zweifel aufkommen, wer hier das Sagen hat. So war es ein kluger Schachzug Upfields, Bony in beiden australischen Welten zu verankern. Es erweitert den Spielraum möglicher Handlungen beträchtlich und fügt dem Krimi eine buchstäblich menschliche Komponente bei.

Wenn die Schilderung der Aborigines trotzdem hier und da unangenehm aufstößt, so liegt das primär an der Übersetzung. Sie ist nicht nur unter politisch korrekten Aspekten anachronistisch, sondern klingt auch dem nicht moralisch zwangserregten Zeitgenossen heute beleidigend im Ohr. Pidgin-Englisch lässt Aborigines nicht so radebrechen: "Nein, nein Boß. Schwarzer all right. Guter Kerl. Du Mehl geben, ja?" (S. 46) Aber so klang es halt, wenn im deutschen Unterhaltungsroman der 1950er Jahre "Neger" und andere "Wilde" zu Wort kamen.

Ob oder in welchem Maße die übrigen Bewohner von Windee Station oder Mount Lion karikaturisch überzeichnet sind, ist heute schwer zu unterscheiden, nachdem sich im Gefolge von "Crocodile Dundee" eine Flut grottiger Aussie-Klamotten über die Bewohner der nördlichen Erdhemisphäre ergossen hat. Es müssen jedenfalls außergewöhnliche bzw. außergewöhnlich verschrobene Zeitgenossen sein, die sich - nicht immer freiwillig, wie Upfield deutlich zu machen versteht - in ein solches Leben voll Hitze, Einsamkeit und Öde fügen.

Ein glücklicher Zufall

Arthur W. Upfield, Goldmann

Ein glücklicher Zufall

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