Der Todbringer

  • Blanvalet
  • Erschienen: November 2019
  • 4

übersetzt aus dem Englischen von Thomas Haufschild
Originaltitel: The Cutting Edge (Lincoln Rhyme 14)

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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2020

Diamanten sind das Blut der Erde – und Auslöser für Vielfachmorde

Jatin Patel ist eine Legende als Diamantenschleifer. Ohnehin wertvollen Edelsteinen verhilft er durch den Einsatz seiner geschickten Hände zu noch mehr Glanz - und Wert. Aktuell soll er in seiner kleinen, aber feinen Werkstatt in New York City einige wie üblich besonders kostbare Stücke bearbeiten, doch dazu kommt es nicht mehr. Patel wird überfallen, gefoltert und umgebracht. Ein zufällig im Büro des Diamantenschleifers anwesendes junges Paar findet ebenfalls einen grausamen Tod. Auch Patels Hilfs-Schleifer Vimal Lahori soll sterben, doch er kann dem Täter entkommen und untertauchen - zunächst, denn der Dieb und Mörder ist zur Abrundung seiner Persönlichkeit auch noch irrsinnig und fest entschlossen, den unerwünschten Zeugen zur Strecke zu bringen.

Der Diamantenhandel ist wichtig für New Yorks Wirtschaft, weshalb die Polizei den Fall möglichst rasch lösen will. Zu Rate gezogen werden deshalb die Ermittlerspezialisten Lincoln Rhyme und Amelia Sachs. Obwohl er fast vollständig gelähmt auf den Rollstuhl angewiesen ist, gilt Rhyme zu Recht als kriminalistisches Genie. Ein hochgradig begabtes Team ersetzt ihm seine Gliedmaßen.

Wie üblich ist Eile geboten, denn der Mörder jagt den verängstigten Vimal, der sich so gut wie möglich verborgen hält. Dennoch bleibt dem Täter Zeit genug für weitere Bluttaten. Er will unbedingt jene strafen, die Diamanten - von ihm als „Kinder der Erde“ verehrt - schürfen, schleifen oder kaufen, um sie als Schmuck zu ‚missbrauchen‘; eine ‚Botschaft‘, die er unter dem Decknamen „Der Versprechende“ in die Medien bringt, wo sie selbstverständlich freudig aufgenommen und verbreitet wird.

Der Mörder ist gerissen und vorsichtig. Dennoch gibt es einige Spuren, die Rhyme und sein Team mit der gewohnten Findigkeit entschlüsseln. Dabei ergeben sich wie üblich einige Überraschungen, die dem Fall eine unerwartete Dimension geben, was wiederum auch die Ermittler in Lebensgefahr bringt …

Schöne Steine, hässliche Morde

„Diamonds are a girl’s best friend”, sang Marilyn Monroe 1953 in der Verfilmung des Broadway-Musicals „Gentlemen Prefer Blond”/„Blondinen bevorzugt”. Wie Jeffery Deaver ebenso elegant wie ironisch ausführt, wurde das von der Schmuckindustrie dankbar aufgegriffen und zu einem Werbeslogan ausgebaut, der eigentlich den Tatbestand der Nötigung erfüllt: Findige Marketing-Spezialisten sind bestrebt, immer neue Anlässe zu erfinden, die durch das Verschenken diamantenbesetzten, überaus kostspieligen Geschmeides ‚verewigt‘ werden sollen.

Wie üblich sieht die Realität nicht nur nüchtern aus, sondern besitzt sogar hässliche, buchstäbliche blutige Flecken. Schließlich geht es um eine Ware, die sowohl rar als auch wertvoll ist und hohe Gewinne verspricht. Zudem sind Diamanten handlich, was Diebe und Räuber erfreut, die sie erbeuten können, ohne sich dabei zu überheben. Dazu passt eine Wertschöpfungskette, zu deren Gliedern zwischen Förderung und Verkauf Umweltzerstörung, Ausbeutung, Wirtschaftssabotage oder eben Mord gehören.

Für den 14. Fall des Ermittlerteams Lincoln Rhyme und Amelia Sachs hat sich Autor Jeffrey Deaver in die Materie eingearbeitet. Er stellt uns einen Mikrokosmos vor, der vereinfacht um zwei Zentren kreist: Geldgier und Handwerkskunst. Man bleibt gern unauffällig und unter sich, was angesichts der Geschäftsrisiken verständlich ist, aber auch Raum für ein kriminelles Treiben bietet, das der Thriller-Routinier Deaver mit der üblichen Verve auf die Spitze treibt.

Falls es dieses Verb noch nicht gibt, sollte man es erfinden: „deavern“. Es beschreibt ein zwar nicht vom Verfasser erfundenes, aber bis zur Perfektion entwickeltes Stilmittel. Konzentriert sich das Geschehen anfänglich auf die Jagd nach dem Killer, lässt Deaver den Plot scheinbar zerfasern, also Rhyme weitere Kriminalrätsel aufgreifen. So geht es plötzlich darum, ausgerechnet einen Drogenkartell-Boss zu verteidigen, der von übereifrigen US-Behörden offenbar unter Anwendung illegaler Tricks hinter Gitter gebracht werden soll. Außerdem treibt ein Feuerteufel sein Unwesen in der Stadt. Der zentrale Handlungsstrang setzt aus, während die neuen Fälle aufgerollt werden.

Langer Weg zur letzten Runde

Deaver begnügt sich nie mit nur einer Plot-Wende; das ist sein Markenzeichen. Die dadurch genährten Erwartungen stets neu zu erfüllen ist eine Verpflichtung, um die man den Autor nicht beneidet. Wie soll und kann es gelingen, das Publikum immer wieder in ungläubiges Erstaunen zu versetzen? „Damit habe ich nie gerechnet, und bin jetzt völlig begeistert.“ Das wird zu einer Herausforderung, die sich von Mal zu Mal steigert. Dagegen sind die ständigen Figuren in Tat und Wort erstarrt: Lincoln Rhyme sitzt immer noch im Rollstuhl. Alle übrigen Figuren spielen ohnehin nur Nebenrollen. Sie liefern jene Stichworte, denen Rhyme kriminalistische Geistesblitze folgen lässt, bedienen für ihn jene Hightech, deren Schilderung serientypisch ist, oder sorgen als Opfer einfach für Klischee-Dramatik.

Wie so oft ist der Entwurf eines Rätsels einfacher als seine Auflösung. Kein Wunder: Künstliche Erdbeben, ein Diamantenfeld unter New York City oder die Ränke eines südamerikanischen Drogenbosses sind schwer mit den Übeltaten eines irren Killers in Einklang zu bringen, der seinerseits in den Spuren eines noch schlimmeren Verbrechers wandelt, welcher wiederum im Netz eines unsichtbaren Hintergrund-Genies zappelt …

Irgendwann ist es nicht nur genug, sondern es wird zu viel. Dabei müssten wir uns auf den finalen Schlag vorbereiten, der das Interesse an Band 15 anfachen soll: Der entlarvte Finsterling ist immer noch nicht der eigentliche Drahtzieher. Stattdessen meldet sich einer jener wenigen Schurken zurück, die Rhyme und Sachs nicht fangen konnten. Wie einst Professor Moriarty Sherlock Holmes den Fehdehandschuh hinwarf, kündigt nun dieses Genie des Verbrechens ein letztes und entscheidendes Gefecht an. Das mag man verheißungsvoll oder einen lahmen Trick nennen. Auf jeden Fall geht es weiter. Ein bisschen Geduld ist gefordert, denn Deaver widmet sich seit 2019 erst einmal seinem neuen Serienhelden Colter Shaw.

Fazit:

Zum 14. Mal bekommen es Lincoln Rhyme und Amelia Sachs nicht mit einem simplen Massenmörder zu tun, sondern müssen hinter dessen Taten eine komplexe Verschwörung offenlegen. Autor Deaver gelingt der schwierige Ruck, der die bisher erzählte Geschichte in gänzlich neue Bahnen zwingt, einmal mehr, doch ein wenig mühsam. Das Ergebnis ist einer der soliden Beiträge zur Serie, die nicht mehr wirklich überraschen, aber weiterhin unterhalten kann.

Der Todbringer

Jeffery Deaver, Blanvalet

Der Todbringer

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