Michael Robotham

Was Stephen Hawking und Muhammad Ali mit seiner Hauptfigur gemein haben

05.2011 Sein Serienheld leidet an Parkinson. Warum der Australier Michael Robotham seine Charaktere quält, verriet er Jürgen Priester und plauderte dazu über seinen neuen Roman Todeswunsch.

Krimi-Couch: Michael Robotham, herzlich willkommen auf der Krimi-Couch. Ihre Romane haben bei unseren Rezensenten immer sehr gut abgeschnitten, erstklassige Bewertungen erhalten. Trotzdem könnte der Kreis Ihrer Leser wohl größer sein. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Erfolg in Deutschland?

Michael Robotham: Vor sechs Monaten wäre meine Antwort wohl recht philosophisch ausgefallen, aber das hat sich seit dem letzten Oktober geändert, als Dein Wille geschehe im Taschenbuch herausgekommen ist. Die Verkaufszahlen waren phantastisch, ein riesiges Dankeschön an meinem Verlag Goldmann, der immer an mich geglaubt hat.

Krimi-Couch: Die deutsche Übersetzung Ihres aktuellen Thrillers Bleed for me, Todeswusch, ist gerade erschienen. Sie waren dazu auf kleiner Lesetour in Deutschland. Welches Feedback haben Sie bekommen?

Michael Robotham: Die Tour kürzlich war nicht meine erste in Deutschland. 2009, als Dein Wille geschehe als Taschenbuch herauskam, reiste ich durch vier Städte und hielt Lesungen. Der Schauspieler Ralph Bauer begleitete mich und ich stellte fest, dass er eine Art Frauenschwarm ist. Recht viele weibliche Fans von ihm waren da und wollten ein Autogramm, manche ihn bestimmt sogar ins Hotel begleiten. Während der Lesungen arrangierte ich es dann so, dass ich den Helden Joe OŽLaughlin las und Herr Bauer den Schurken (ein ziemlich beängstigender Psychopath). Wie alle guten Schauspieler war Ralph sehr überzeugend. Danach wollte nicht eine einzige Frau mehr mit zu ihm …

Mir gefallen die Lesereisen durch Deutschland sehr. Normalerweise erzähle ich nur Geschichten und rede über die Ideen hinter dem Buch. Meine letzte Tour führte mich zu für mich neuen Orten wie Leipzig und Berlin (was wohl die coolste Stadt Europas ist). LitCologne war klasse. Die Lesung war mit 350 Gästen ausverkauft und ich habe eine Stunde lang Bücher signiert. So etwas habe ich woanders noch nie erlebt.

Krimi-Couch: Ist für Sie Todeswunsch Teil 4 oder 5 der Joe OŽLoughlin-Vincent Ruiz-Reihe? Manche Leser schließen ja Todeskampf mit Alisha Barba davon aus.

Michael Robotham: Meine Romane könnte man als lose Folge bezeichnen, man kann sie aber auch als Stand-alones lesen. Nur eine Figur, Vincent Ruiz, kam in jedem Buch vor. Zu Beginn meiner Schriftstellerkarriere wollte ich keine Serie schreiben, ging dann aber den Kompromiss ein, auf bekannte Figuren in Nebenrollen zurückzugreifen. Ich kehrte nur zu Joe O'Loughlin zurück, wenn ich die richtige Idee für ihn hatte. So fängt es an – mir kommt eine Idee und dann frage ich mich: »Wer soll die Geschichte erzählen?«

Krimi-Couch: Sie bevorzugen die Ich-Erzähler-Perspektive. Nach Dein Wille geschehe hätte man DI Veronica Cray wegen ihres faszinierenden Charakters, der sich auch in Todeskampf zeigt, erwarten können. Stattdessen blieben Sie aber bei O'Loughlin und Ruiz.

Michael Robotham: Viele Leser dachten, ich schriebe mal ein Buch mit DI Veronica Cray als Erzählerin. Ich habe angefangen, aber mich dann nicht mehr getraut. Es ist eine große Herausforderung, aus der Sicht einer Frau zu schreiben. Das habe ich ein Mal in Todeskampf gemacht, worauf ich sehr stolz bin. Veronica Cray ist aber noch schwieriger, nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern wegen ihrer Sexualität. Vielleicht habe ich mich wirklich nur nicht getraut. Ich hoffe, dass sie eines Tages eine Geschichte erzählen wird.

Bis jetzt habe ich mich auf Ich-Erzähler konzentriert, aber mein nächster Roman The Wreckage ist ein bisschen anders, mit vielen verschiedenen Erzählperspektiven und Handlungssträngen. Ich wollte mich selbst herausfordern. Mein Ehrgeiz bestehet darin, niemals das selbe Buch zweimal zu schreiben. Ich möchte sie frisch, meine Leser auf Trab halten.

Krimi-Couch: Was macht die Ich-Erzähler-Perspektive für Sie so interessant?

Michael Robotham: Als Ghostwriter schrieb ich fünfzehn Autobiographien für Berühmtheiten, Politiker, Soldaten, Pop-Stars und Psychologen. Bei jeder galt es eine einzigartige Stimme und den Blick auf die Welt durch andere Augen festzuhalten. Das Schreiben ist für mich sehr änlich. Meine fiktiven Charaktere haben eine »Stimme« und werden in meinem Kopf real. Sie leben und atmen. Es ist fast so, als säßen sie auf meiner Schulter und flüsterten mir ihre Geschichte ins Ohr. (Das hört sich wahrscheinlich sehr verrückt an...)

Krimi-Couch: Der Psychologe Joe O’Loughlin ist Ihre Hauptfigur. Wieviel Michael Robotham steckt in ihm? Oder in Vincent Ruiz?

Michael Robotham: Von allen meinen Charakteren ist Joe O’Laughlin wohl der mit den meisten autobiographischen Zügen, wir sind in etwa gleich alt. Wir haben beide Töchter. Wir haben ähnliche politische wie soziale Ansichten. Er ist aber eine bei weitem mutigere Version von mir. Er ist gerechter und geduldiger. Ich mag alle meine Charaktere, aber ich tue ihnen schreckliche Dinge an. Vielleicht wehre ich damit meine eigenen bösen Geister ab.

Fast alle meine Alpträume schließen meine Töchter ein. Ich träume davon, wie sie in Schwierigkeiten stecken und wache dann mit der Hand meiner Frau auf meiner Brust auf, die versucht, mich zu beruhigen. »Ich muss weiterschlafen«, sage ich ihr dann, »ich muss sie retten«.

Krimi-Couch: Alle Ihrer Charaketere wirken recht normal, wie aus dem richtigen Leben, ohne Allüren. Basieren sie auf Vorbildern aus Ihrer Umgebung? In der Danksagung von Todeswunsch erinnern sie zum Beispiel an Annie Robinson, die eine wichtige Rolle im Buch spielt.

Michael Robotham: Vor ein paar Jahren nahm ich an einer Spendenaktion für einen guten Zweck teil, bei der ich die Namensrechte an einem meiner Charaktere in Todeswunsch versteigerte. Annie hatte Krebs und wir haben für sie Geld gesammelt. Ihre Freunde haben sich zusammengetan und für ihren Namen geboten – sie wollten Annie in einem Roman unsterblich werden lassen. Traurigerweise lebte sie nicht mehr lange genug, um Todeswunsch zu lesen, aber ich sprach mit ihr über die Figur, die ihren Namen tragen sollte. Annie gefiel es sehr, dass ihre Namensschwester rassig und ein bisschen böse werden sollte.

Normalerweise zeichne ich meine Charaketere nicht nach bestimmten Personen, aber wie viele Autoren stehle, leihe und kopiere ich.

Krimi-Couch: Eines ist aber doch an Joe O'Loughlin außergewöhnlich: Er leidet an Parkinson, die Krankheit nimmt immer mehr seinen Kopf ein und gewinnt schleichend Kontrolle über seinen Körper. Was war die Idee, O'Loughlin mit dieser Besonderheit zu kennzeichnen?

Michael Robotham: Als ich Joe O'Loughlin in Adrenalin entwickelte, hatte ich nicht daran gedacht, nochmals über ihn zu schreiben. Ich dachte, ich mache nur Stand-alones. Ich wollte nicht einen Helden, der jeden einholen, niederkämpfen, unter den Tisch trinken und jedem davon fahren kann. Jason Bourne und James Bond sind Comic-Helden – keine realen. Mir gefiel die Idee eines Protagonisten mit einem brillanten Geist und kranken Körper: jemand mit einer wundervollen Gabe, aber auch schlimmem Defizit. Ich denke da an Stephen Hawking, der größte Geist und unserer Generation oder an Muhammad Ali in seinem Kampf gegen Parkinson. Joe O'Laughlin muss sich aus dem ganzen Ärger herausdenken – er hat keine anderen Waffen.

Krimi-Couch: »Mister Parkinson«, wie Joe zynischerweise seine Krankheit nennt, hat nicht nur Auswirkungen auf ihn selbst, sondern auch auf seine Familie. Dazu führt sein Eifer, Menschen in Gefahr zu helfen, dass seine Ehe zerbricht. Er und sein Umfeld werden zur Zielscheibe von Verbrechen. Lastet da nicht zu viel Gewicht auf seinen Schultern?

Michael Robotham: Als Autor tue ich Leuten, die ich liebe, schreckliche Dinge an. Der arme Joe hat einen kaputten Körper, eine in die Brüche gegangene Ehe und die riskante Aufgabe, Kinder groß zu ziehen. Er ist ein guter Mensch in schwierigen Zeiten, der einfach nicht Nein sagen kann, wenn seine Hilfe benötigt wird.

Wenn ich die Zeit nochmal hätte und ich wüsste, wieviel ich davon mit Joe verbringen würde, hätte ich ihn niemals so früh an Parkinson erkranken lassen. Ihm zuliebe, vielmehr aber für alle Erkrankten auf der ganzen Welt, hoffe ich, dass schnell eine Heilmethode gefunden wird.

Krimi-Couch: In Todeswunsch sind häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch und die Risiken, denen Kinder täglich ausgesetzt sind, zentrale Themen. Als Vater dreier Töchter: Ist das der Weg, wie Sie mit ihren eigenen Ängsten umgehen?

Michael Robotham: Wie ich vorhin erwähnte – alle meine Alpträume drehen sich um meine Kinder. Ich möchte ihnen nicht Angst vor der Welt einflößen, aber ich möchte sie beschützen. Viele Gespräche in Todeswunsch zwischen Joe und seiner Tochter Charlie sind abgeleitet von wirklichen Gesprächen, die ich mit meinen Töchtern geführt habe. Wie Joe auch möchte ich sie vor jedem bösen Freund, ignoranten Chef, brutalem Kommentar, betrunkenem Spinner und inteloranten Fanatiker schützen – ich weiß aber, dass ich das nicht kann.

Wie Joe in Todeswunsch sagt: »Elternschaft ist wie Trapez-Künstler zu sein – man muss wissen, wann man nachgeben kann. Wie wenn dein Kind loszieht in die nächste Bar, um sich selbst auf die Probe zu stellen. Dann muss ich einfach da sein, wenn sie zurückschwingt.«

Krimi-Couch: Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass Ihre Romane in London und Südengland spielen oder könnte eine Ihrer kommenden Geschichten auch in Australien, vielleicht Sydney angesiedelt sein?

Michael Robotham: Schriftsteller sollten eigentlich nicht zugeben, dass es einen kommerziellen Imperativ hinter ihrem Schreiben gibt. Es sollte um »unsere Kunst« gehen. Großbritannien und Europa sind  nunmal weitaus größere Märkte als Australien – was mir seinerzeit so durch den Kopf ging. Dazu hatte ich zehn Jahre selbst in London gelebt und viele Kontakte zu Verlagen. Es machte einfach mehr Sinn, hier ein Buch anzusiedeln.

Irgendwann siedele ich ein Buch in Australien an. Vielleicht ziehe ich meinen Großen Australischen Roman ganz unten aus der Schublade. Den habe ich vor über zwanzig Jahren geschrieben und er wäre fast in Großbritannien veröffentlicht worden. Ich müsste wahrscheinlich ein paar Verbrechen einbauen, um meine Leser zufriedenzustellen.

Krimi-Couch: Ihr neues Buch The Wreckage erscheint im Juni. Können Sie uns in aller Kürze verraten, worum es geht?

Michael RobothamThe Wreckage ist ein etwas anderes Buch für mich, was den Stil betrifft – ein großer, globaler Verschwörungsthriller in der Folgezeit der globalen Finanzkrise und des Irak-Kriegs. Es hat mehrere Handlungsstränge, aber auch wichtige Figuren, die Vincent Ruiz und Joe O'Loughlin sehr ähnlich sind. Folgendes löste die Idee dazu aus:

  1. Im Dezember 2009 erklärte der Vorsitzende des Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung zum Höhepunkt der Finanzkrise, dass westliche Banken am Rande des Abgrunds Geldwäschegesetze ignoriert und 352 Milliarden Dollar von Drogenkartellen und dem organisierten Verbrechen entgegengenommen haben.
  2. Während der ersten Wochen der Invasion in den Irak sah die US-Notenbank mit der größten Währungsluftbrücke in ihrer Geschichte, wie 12 Millarden Dollar dorthin flogen. Im darauf folgenden Chaos und der Konfusion sind davon 9 Milliarden verschwunden.

Krimi-Couch: Mit ihrem neuen Buch verlassen Sie Ihren Verlag Random House. Heißt das, dass es auch hier in Deutschland woanders erscheinen wird?

Michael Robotham: Keine Sorge. Ich habe mit Random House in den Staaten nichts mehr zu tun, nur in Deutschlad. Goldmann hat für meine Titel eine wunderbare Arbeit geleistet und ich habe wirklich nicht vor, zu einem anderen Verlag zu wechseln.

Krimi-Couch: Michael Robotham, vielen Dank fürs Interview und weiterhin alles Gute.

Das Interview führte Jürgen Priester per E-Mail. Übersetzung von Lars Schafft.

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