Freakshow

  • Rotbuch
  • Erschienen: Januar 2011
  • 4
  • Berlin: Rotbuch, 2011, Seiten: 192, Originalsprache
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Lars Schafft
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Das Duracel-Häschen des deutschen Krimis.

Freakshow – der Titel in Kombination mit einem leeren Rollstuhl auf dem Cover deutet an, dass es mal wieder böse zugeht in Jörg Juretzkas mittlerweile schon zehntem Roman um Privatdetektiv Kristof Kryszinski aus Mülheim/Ruhr. Doch wie es sich in den letzten Büchern bereits abzeichnete: Der Blick ist keinesfalls nur zynisch, nur Slapstick, nur auf die Zote hinaus. Sondern recht tiefgründig. Dieses trotzdem in Kombination zu bringen mit einer Kriminalhandlung, die arg an Parodie grenzt, ist kunstvoll. Und so hören wir nicht auf, den Autoren aus dem Ruhrpott zu loben.

Leicht hatte es Kristof "Krüschel" Kryszinski noch nie. Und auch in Freakshow läuft mal wieder alles so gründlich daneben, wie es nur aus der Feder von Jörg Juretzka daneben laufen kann. Bude verloren, ein Job als Nachtwächter in einer Anstalt – Wahnsinn, denkt sich Kryszinski und macht eigentlich nur das, was ihm übrig bleibt.

Zum Beispiel Alfred, den sprachgestörten Riesen aus Fallera, mitten in der Nacht in einem abgelegenen Winkel zwischen Duisburg und Mülheim von einer Armee von Armeisen zu befreien. Oder einem Luxemburger Kinderschänder hinterherzujagen, den Frischfleisch von Asien zurück ins Revier führt. Oder einen 1935er-Bugatti aufzufinden. Oder einen pakistanischen Jungen vor dem Allerschlimmsten zu bewahren. Oder seinen Hund einer dem Alkohol nicht abgeneigten Tierärztin zu dognappen. Oder einfach auch nur die Musik seines Kumpels Scuzzi, irgendwo zwischen Madonna und Lady GaGa, zu ertragen.

Wie in letzter Zeit gehabt, sind Juretzkas Plotte komplex geworden. Lange Zeit macht vieles wenig Sinn, lange Zeit sorgen Subplot über Subplot für Abwechslung, ohne einen roten Faden erkennen zu lassen. Das kann nervig, wie hier aber auch höchst unterhaltsam sein, wenn man sich auf die schnoddrige Sprache und den teils ironisch-hintersinnigen, teils brachial-skurillen Humor des Autors einlässt.

Kryszinski jedenfalls, so viel sei gesagt, lässt mal wieder kein Fettnäpfchen aus und kämpft zum Finale ebenfalls mal wieder um sein Leben und so einige Gestörte. Ausdrücklich sind damit nicht die Bewohner der Klinik gemeint, sondern Pädophile und christliche Fundamentalisten, die den "wahren Glauben" ausgerechnet im westlichen Ruhrgebiet an den Mann bringen wollen. Das kann brutal werden und sogar lebensgefährlich.

Juretzkas Spaß am Sarkasmus täuscht dann auch oft über die Ernsthaftigkeit seiner Themen hinweg. Er hat aus Kristof Kryszinski einen Don Quixote des Reviers gemacht, der – um es in der Sprache der Ureinwohner zu sagen – so oft einen auf die Fresse bekommt, dass man ihn bemitleiden muss. Aber Kryszinski  kämpft für das Gute und Kryszinski steht auf. Mittlerweile als das Duracel-Häschen des intelligent-humorvollen deutschen Krimis.

Freakshow ist wegen eines nie zurückhaltenden Ich-Erzählers eine offenst ehrliche Erzählung, eine Hand vor dem Mund kennt der Autor nicht. Und das ist gut so, weil er sich damit ein gänzlich unverkennbares Markenzeichen gesetzt hat. Was der Titel eigentlich besagt, lässt würgen und den letzten Lacher im Hals ersticken.

Ach, könnte es nicht mehr Juretzkas geben? Der Krimi-Landschaft täte es nur zu gut.

Freakshow

Jörg Juretzka, Rotbuch

Freakshow

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