Irgendwann gibt jeder auf

  • Zsolnay
  • Erschienen: Januar 2010
  • 3
  • New York: Mysterious Press, 2000, Titel: 'Flashfire', Seiten: 278, Originalsprache
  • Wien: Zsolnay, 2010, Seiten: 269, Übersetzt: Rudolf Hermstein
Irgendwann gibt jeder auf
Irgendwann gibt jeder auf
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2010

Eiskalter Rachefeldzug im sonnigen Florida

Eben noch haben Melander, Carlson, Ross und Parker eindrucksvoll explosiv und hochprofessionell einen Banküberfall durchgezogen, als ein eklatanter Verstoß gegen vorab getroffene Vereinbarungen Komplizen in erbitterte Feinde verwandelt. Parker wird sein Anteil vorenthalten. Melander versucht ihn vergeblich für seinen Plan zu begeistern, mit der Beute aus dem Überfall einen neuen Coup zu finanzieren. In Palm Beach, Florida, steht ein Benefizverkauf von Schmuck an, dessen Wert auf 12 Mio. Dollar taxiert wird. Da die Stadt als Domizil der Reichen und Superreichen gilt, ist die Polizeipräsenz enorm. Nur wenige und gut überwachte Straßen führen aus Palm Beach heraus. Deshalb will Melander ein Strandhaus kaufen, in dem sich die Bande nach dem Juwelenraub verstecken kann, bis eine Flucht möglich wird.

Melander hätte Parker besser umgelegt, denn dieser plant Rache auf seine Art: Er will abwarten, ob dem Verräter-Trio der Streich glückt, um den drei Räubern anschließend die gesamte Beute abzunehmen und sie umzubringen. Um in Palm Beach ungestört Nachforschungen anstellen zu können, nimmt Parker eine neue Identität an. Zufällig gerät er dabei in einen Kleinkrieg, den der Passfälscher gegen einen paranoiden Gangsterboss führt, der Parker prompt auf die Liste zu beseitigender Gegner aufnimmt. Zu allem Überfluss fliegt Parkers Tarnung bei einer misstrauischen Immobilienmaklerin auf, und auch ein eifriger Polizist wird aufmerksam.

Dennoch kann nichts Parker aufhalten. Die Maklerin wird seine Komplizin, und den Schergen des Gangsterbosses kann er dank der unfreiwilligen Hilfe einer paramilitärischen Bürgerwehr entkommen. Allerdings geht Parker schwer angeschlagen in den finalen Kampf mit Melander und Co., der nicht nur deshalb trotz sorgfältiger Planung so schief geht, wie ein Plan nur schiefgehen kann …

Wer mit dem (Parker-) Feuer spielt …

In einen der spektakulärsten Coups seiner ohnehin nie ereignisarmen Laufbahn gerät der Berufskriminelle Parker nicht, weil er ihn geplant hätte. Eine Kette gewaltreicher Überfalle und Morde kommt nur deshalb zustande, weil Parker gelinkt wurde. Der Aufwand, den er treiben muss, um seine verräterischen Komplizen zur Rechenschaft zu ziehen, übersteigt den Wert des Beuteanteils, um den er geprellt wurde, bei weitem; kein Wunder, dass besagte Komplizen zunächst gar nicht fassen können, dass und wieso ihnen Parker so erbittert im Genick sitzt.

Doch sie haben einen der wenigen Grundsätze verletzt, denen Parkers Leben folgt, und es ist der wichtigste: Profis müssen sich aufeinander verlassen können. Vorsätzliche Verstöße gegen diese Regel werden von Parker mit dem Tod geahndet. Er kann und will Verrat nicht durchgehen lassen. Dies ist für ihn keine Frage von Ganovenehre, sondern dokumentiert einen Standpunkt. Deshalb steht für ihn nicht nur die Rache, sondern auch die Aneignung der Gesamtbeute auf dem Programm: Parker denkt ökonomisch. Womöglich gelingt den Verrätern der Überfall tatsächlich. Er hat kein Problem damit, abzuwarten und abzukassieren.

Verbrechen als Handwerk

Kriminalität ist dort, wo Parker und Melander ihrem Job nachgehen, kein Sport, sondern harte, gefährliche Arbeit. Jeder Coup wird gründlich geplant. Nie gibt es die Garantie des Erfolgs. Stattdessen drohen jederzeit Gefangennahme oder Tod. Die Beute muss mit den Kosten für die Vorbereitungen verrechnet sowie geteilt werden. Wahrscheinlich verdient Parker nicht besser als einer der Bankfilialleiter oder Juweliere, die er überfällt. Falls er darüber nachdenkt, wird uns das vom Verfasser nicht mitgeteilt. Vermutlich nimmt Parker es hin, weil er ist, wer er ist: ein Verbrecher, der seinen Job beherrscht. Auf seine Art ist er stolz darauf. Mehr scheint da nicht zu sein; jedenfalls zeigt uns Verfasser Stark nie einen privaten Parker. Die Konsequenz ist bewundernswert, der Entschluss klug, denn ein ´menschlicher´ Parker wäre wahrscheinlich ein langweiliger Parker.

Deshalb wirkt Parkers Reaktion auf den Verrat ebenso logisch wie sein Vorgehen. Wütend aber kaltblütig trifft er Vorbereitungen der speziellen Art. Um sich das notwendige Kapital für die Rache zu beschaffen, überfällt er effizient und brutal einen Waffenladen und ein Wettbüro und bricht in leer stehende Häuser ein: Er wird zum Fließbandarbeiter des Verbrechens, denn er hat einen Plan, und den zieht er durch.

Mit unvorhergesehenen Zwischenfällen rechnet er, mit ihnen wird er fertig. Nicht einmal in extremer Lebensgefahr verliert er die Nerven. Schwer verletzt und dem Tod kaum entronnen, nimmt er den Faden umgehend dort wieder auf, wo er unterbrochen wurde. Den Tod seiner ehemaligen Komplizen, die er nun seinerseits berauben wird, ist fixes Element seiner Planungen und wird emotionsfrei vorbereitet.

Absolut kein sympathischer Held

Nicht nur wer mit dem Teufel essen will, braucht einen langen Löffel. Parker kennt höchstens einen Menschen, der ihm etwas bedeutet – Claire Willis, die in gewisser Weise ebenso gefühlskalt wie er ist. Was er treibt, will sie nicht im Detail wissen, obwohl sie grundsätzlich im Bilde ist. Dagegen geht Leslie Mackenzie, eine frustrierte Maklerin, die ihrem alten Leben entfliehen will, ein gewaltiges Risiko ein, als sie Parker erstens durchschaut und sich ihm zweitens als Komplizin andient. Sie ahnt Parkers Standpunkt zwar, ist von seiner eisklaren Logik aber überfordert, sodass ihr lange nicht klar ist, auf welch dünnem Eis sie sich bewegt:

 

Bis jetzt machte sie alles richtig. Sie gab ihm die Antworten, die er brauchte, und sie stellte selbst keine unnötigen Fragen. Sie versuchte nicht, sich aufzudrängen. Sie bewies Geduld. Das waren alles seltene Eigenschaften bei einem Amateur, und ihnen verdankte sie es, dass sie noch am Leben war. (S. 133)

 

Stark beschreibt Mackenzie als Person, die der Leser gut versteht. Sympathisch findet er sie allerdings nicht. Dieses Schicksal teilt sie mit sämtlichen Figuren dieses Romans. Das Parker-Universum wird durch Kälte gekennzeichnet. Auch außerhalb der kriminellen Kreise, in denen unser Anti-Held sich tummelt, bleibt diese Welt schlecht: Die High Society von Palm Beach wird von Stark spöttisch als verschworene Gemeinschaft einfach nur reicher Männer und Frauen charakterisiert. Der einzige Unterschied zu Parker besteht darin, dass die brutale Aneignung großer Geldsummen bereits Generationen zurückliegt. Vermögen altert in Starks USA wie Wein: Es lässt sowohl seinen Ursprung als simpler Traubensaft als auch die Herstellung vergessen. Politik und Gesetz ordnen sich dem Geld servil unter, weshalb Mitleid nicht aufkommen mag, wenn es gewaltsam seinen Besitzer wechselt.

Murphy’s Law und Parkers Gesetz

Wie für die Parker-Serie üblich gewinnt Irgendwann gibt jeder auf Spannung nicht allein durch die nur scheinbar kunstlose Art, mit der Stark seinen Plot umsetzt. Stets kommt es zu Zwischenfällen, denn der Zufall lässt sich auch von mit allen Wassern gewaschenen Profis nicht ausschalten. Sobald für Parker endlich alles glatt zu laufen scheint, tritt er unweigerlich auf den Plan. Daraus ergeben sich nicht nur für die Hauptfigur, sondern auch und vor allem für den Leser spannende Momente.

Der Zufall als Element der Handlung ist ein labiler Bundesgenosse. Stark hält die Zügel fest in den Händen. Ihm glaubt man sogar, wenn der eine Zufall den anderen ablöst und dabei unerwartete Synergien entstehen, die dem Geschehen eine unerwartete Richtung geben. In diesem Sinn trifft der deutsche Titel sogar besser ins Schwarze als der blasse Originaltitel Flashfire. "Irgendwann gibt jeder auf", philosophiert Stark auf Seite 138, als Parker zwischen zwei Killer eingeklemmt auf dem Weg in ein einsames Sumpfgebiet ist, das sein Grab werden soll. Nicht allein die Botschaft, sondern auch der der Witz besteht darin, dass Parker niemals aufgeben wird. Das Schicksal und Stark geben ihm recht, als in einer absurden aber keineswegs lächerlichen Szene die genannten Killer ahnungslos in ein ´Manöver´ durchgeknallter und schwerbewaffneter Möchtegern-Arier platzen lässt: Der Zufall ist launisch und spielt nicht nur Parker gern böse Streiche. Erzählerische Ökonomie und umso wirkungsvollere Überraschungen kennzeichnen die (aus sicherer Entfernung) erfrischend unmoralischen Romane des Richard Stark, von denen hoffentlich noch weitere ihren Weg nach Deutschland finden werden.

Irgendwann gibt jeder auf

Donald E. Westlake (Richard Stark), Zsolnay

Irgendwann gibt jeder auf

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