Keiner rennt für immer

  • Jumbo
  • Erschienen: Januar 2009
  • 10
  • Hamburg: Jumbo, 2009, Seiten: 4, Übersetzt: Dietmar Wunder
  • New York: Mysterious Press, 2004, Titel: 'Nobody Runs Forever', Seiten: 295, Originalsprache
  • München: dtv, 2011, Seiten: 286
Keiner rennt für immer
Keiner rennt für immer
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2009

Das große Ding scheitert an der Summe von Kleinigkeiten

Ein vielversprechender Coup führt Berufsverbrecher Parker in die Kleinstadt Rutherford im US-Staat Massachusetts. Dort löst man im Rahmen einer Fusionierung eine Bank auf. Die Geldeinlagen werden mit gepanzerten Transportwagen abtransportiert. Den Konvoi wollen Parker und seine Komplizen Nick Dalesia und Nelson McWhitney überfallen und ausrauben.

Das nötige Hintergrundwissen verschaffen ihnen Elaine Langen, die verbitterte Gattin des Bankchefs, und Jake Beckham, ein ehemaliger Polizist, der in besagter Bank tätig war, bis er wegen Unterschlagung gefeuert wurde. Ebenfalls an Bord ist Dr. Myron Madchen, der dafür sorgen soll, dass Beckham, der für die Polizei nach dem Überfall zum Hauptverdächtigen würde, ein Alibi erhält.

Während die Planung des eigentlichen Überfalls voranschreitet, mehren sich die Schwierigkeiten. Langen, Beckham und Madchen sind Amateure, die sich verdächtig benehmen und außerdem Nerven zeigen. Als Beckham von einer übereifrigen Langen ins Bein geschossen wird, übernimmt die außerordentlich neugierige und tüchtige Polizistin Gwen Reversa den Fall. Parker, Dalesia und McWhitney müssen sich mit dem Kopfgeldjäger Roy Keenan und seiner Partnerin Sandra Loscalzo plagen, die nach einem früheren Komplizen fahnden und nicht locker lassen wollen. Beckham vertraut sich seiner rechtschaffenden Schwester an, die den Überfall verhindern will.

Obwohl sie wie überforderte Zirkusjongleure immer mehr Bälle in der Luft halten müssen, beschließen Parker, Dalesia und McWhitney den Raub durchzuziehen. Ohne dass sie davon ahnen, gewinnen die Tücken des Objekts eine Eigendynamik, die ausgerechnet in der Nacht des Überfalls ihren spektakulären Höhepunkt findet ...

Immer diese Amateure!

Keiner rennt für immer: Dieser Titel - in der Übersetzung ausnahmsweise korrekt dem Original folgend - bedarf einer Erklärung, da Eile ganz und gar kein Element ist, das diesen Roman prägt. Tatsächlich beschränkt sich jener Teil der Handlung, den man ´Action´ nennen könnte, auf einige Seite ziemlich am Ende des Buches. Bis es soweit ist, wird viel geplant und noch mehr einander belauert.

Parker und seine Spießgesellen begeben sich dieses Mal in mehr als einer Beziehung auf ungewohntes Terrain. Sie sind eigentlich Stadtstrolche, die sich in der Provinz erst zurechtfinden müssen, was ihnen nie wirklich gelingt. Dabei machen sie sich von der Mitarbeit blutiger Amateure abhängig. Diese sind es, die genug vom Rennen haben, was ein Leben beschreibt, das sich im Kreis dreht und nichts als einen elenden Tod als Ausweg bietet. Der Ex-Polizist haust in einem Trailer-Park, die Bankiersgattin hasst ihren Gatten, der Doktor wird von seiner Ehefrau drangsaliert. Der große Überfall soll ihnen die Mittel zum Neuanfang verschaffen.

Stünden Parker & Co. nicht selbst finanziell unter Druck, hätten sie die Finger von diesem Coup gelassen. Sie sind Profis, die sich mit schweren Kapitalverbrechen den Lebensunterhalt verdienen. Nach vielen aktiven Jahren haben sie nicht nur die dafür erforderlichen Kenntnisse, sondern auch die notwendige Nervenstärke erlangt. Nüchtern wird vorbereitet, das Risiko ist eingeplant. Ganz anders denken dagegen die Komplizen: Sie treibt die Angst vor dem Gefängnis mindestens ebenso um wie ihre kriminelle Unerfahrenheit. Die Bankiersfrau betrinkt sich und muss für ihren kurzen aber unbedingt erforderlichen Einsatz erst geweckt werden, der Ex-Polizist verliert die Nerven. Immer wieder muss Parker seine unberechenbaren Schäfchen zur Ordnung rufen, statt sich auf die Planung des Überfalls zu konzentrieren.

Murphys Gesetz triumphiert

Autor Richard Stark schildert in seinem Roman detailliert die Vorbereitungen eines gewagten Verbrechens. Es wird scheitern, was kein Spoiler ist: Parkers Fischzüge enden in der Regel katastrophal, denn die Parker-Krimis beschreiben nie Coups, die glattgehen. Das Schiefgehen und die daraus folgenden Konsequenzen bilden das hauptsächliche Spannungsmoment. Nicht einmal fünfzig Seiten widmet Stark deshalb dem Überfall auf den Geldtransport. Der geht problemlos über die Bühne, denn hier sind Parker und seine beiden Kumpane unter sich.

Noch während pralle Geldsäcke den Besitzer wechseln, haben Parker, Dalesia und McWhitney dennoch das Spiel verloren. Sie waren zu optimistisch, wollten es sein, was den Erfolg ihres Unternehmens betraf. Dabei begannen die Schwierigkeiten bereits, als der Coup noch ein reines Gedankenspiel war. Fasziniert beobachtet man, wie das Rad ins Schlingern kommt. Wie das enden wird, weiß man genau: Alle verzweifelte Gegenmaßnahmen werden scheitern. Die Ereignisse schaukeln sich auf, bis sie im buchstäblich großen Knall münden. Zunehmend zornig aber immer noch ruhig sorgt Parker für Ruhe im Glied. Aber er kann nicht überall sein. Macht- und ahnungslos muss er auf das letztlich irrationale Handeln der verschreckten Laien reagieren; weder Steuerung noch Kontrolle sind möglich.

Die täuschend simple Kunst des (Be-) Schreibens

Stark ist ein Schriftsteller der einfachen, klaren Sprache. Die Sätze sind kurz, die Aussagen prägnant, die Dialoge knapp und eindeutig. Der daraus resultierende Stil ist unter der Feder eines fähigen Autoren für den Leser eine Offenbarung. Stark versteht sein Handwerk. Jederzeit hält er die Fäden in der Hand. Er kann sich Aussparungen leisten, denn der Kontext füllt die Lücken. Der Leser weiß sofort, was sich ereignet hat, obwohl es ihm nicht vorgekaut wurde. Dieses Buch wäre einem weniger ökonomisch schreibenden Verfasser vermutlich doppelt so lang aber sicher nicht besser geraten.

Keiner rennt für immer gliedert sich in vier Großkapitel. Stark schildert das Geschehen zunächst aus Parkers Perspektive. Die Figuren der Handlung werden vorgestellt, das Geschehen kommt in Gang. Mit Großkapitel 2 ´übernimmt´ Stark. Parker wird zur Nebenfigur. Als allwissender Erzähler liefert Stark Hintergrundwissen, das dem Leser wie Parker bisher unbekannt war. Parker kennt viele dieser Fakten nicht. Der Leser erkennt indes, wieso der Überfall scheitern wird.

Mit Großkapitel 3 kehrt Parker zurück. Das Geschehen spitzt sich zu, das Tempo zieht an. Die Ereignisse überschlagen sich, der bisher kontinuierliche Erzählfluss verebbt und wird durch kurze Schlaglichter ersetzt. Stark springt von Figur zu Figur, von Szene zu Szene. Der große Plan löst sich in Fragmente auf, was durch die Handlung widergespiegelt wird. Am Ende steht das Fiasko; ein von Hunden gehetzter Parker flüchtet in den Wald. Stark lässt sein Publikum nägelkauend zurück. (Der gemeine aber ausgezeichnet funktionierende Cliffhanger erfährt seine Auflösung erst in Ask the Parrot - dt. Fragen Sie den Pagagei -, dem 23. Parker-Abenteuer, das unmittelbar mit Parkers Flucht einsetzt.)

Tun, was getan werden muss

Wie üblich steigt Stark mit einem Knalleffekt in seine Geschichte ein. Sieben Gangster beraten über einen Coup. Dies ist der erste Satz:

 

"Als er sah, dass der Mann, der Harbin hieß, verdrahtet war, sagte Parker: ´Gib mir schon mal Karten´ und stand auf ... Während er um den Tisch herumging, löste Parker seine Krawatte ..., nahm sie doppelt und warf sie Harbin über den Kopf. Er zog die beiden Enden durch die Schlaufe und ruckte mit der Rechten kräftig nach hinten, während sein Körper sowohl Harbin als auch den Stuhl, auf dem er saß, gegen den Tisch drückte ..." (S. 7)

 

Das ist Parker in excelsis: ein Profi als Schwerverbrecher, für den Mord zum täglichen Geschäft gehört. Niemals hat Richard Stark diese Figur verwässert. Stark ist in 24 Bänden ein Mann ohne Vornamen und Skrupel geblieben. Er tötet nicht zum Vergnügen, aber tut es ohne Gewissensbisse. Davon setzt er die Laien unter seinen Komplizen sachlich in Kenntnis, als sie schwächeln, und sie sind klug genug, die Wahrhaftigkeit seiner Worte zu erkennen.

Freundschaft ist für Parker eine Schwäche, die er sich nicht leisten kann. Selbst bewährte Kumpane, mit denen er manches Ding gedreht hat, betrachtet er mit Misstrauen und Vorsicht. Anfänger wie Elaine Langen und Jake Beckham benutzt er. Spielen sie ihre vorgesehenen Rollen gut, wird er ihnen den zugesicherten Beuteanteil nicht vorenthalten. Wie sie sich die Polizei vom Hals halten, bleibt ihre Sache. Parker sorgt dafür, dass niemand wirklich etwas über ihn weiß. Das macht ihn zur idealen Serienfigur: Parker zieht seine Bahn durch ein kriminelles Untergrund-Amerika. Obwohl wir wissen, wie er sich verhalten wird, werden wir nie müde, ihn bei einem neuen Coup zu beobachten. Ein unermüdlich ideenreicher Richard Stark wird zuverlässig dafür sorgen, dass dieser wieder unterhaltsam in turbulentem Chaos endet.

Keiner rennt für immer

Donald E. Westlake (Richard Stark), Jumbo

Keiner rennt für immer

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