Wer andern eine Grube gräbt

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2001
  • 8
  • London: Headline, 1993, Titel: 'Where Old Bones Lie', Seiten: 278, Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Lübbe, 2001, Seiten: 349, Übersetzt: Axel Merz
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Michael Drewniok
35°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Paradebeispiel eines britischen Landhaus-Krimis

Neues Ungemach in Bramford, dem kleinen Landstädtchen, gelegen dort in England, wo die Welt sich so gibt wie sie die alltagsmüden Krimileser sich wünschen: harmonisch, idyllisch, friedlich und vor allem der Hektik der globalisierten Gegenwart enthoben. Selbst Mord & Totschlag kommen gepflegt daher, was die Jagd nach dem Täter zum sportlich- spannenden Ratespiel mutieren lässt.

Dieses Mal nimmt die Handlung auf den Hängen des Bramford Hill, einer sanften Erhebung in parkähnlicher Weidelandschaft, ihren Anfang. Archäologen haben dort damit begonnen, einen Friedhof der Sachsenzeit auszugraben. Die Eigentümer des Grundstücks - der junge Brian Felston und sein knarzig-exzentrischer Onkel Lionel - fühlen sich geschmeichelt über die Aufmerksamkeit, die dieses Projekt ihrem Heimatort verschafft; zudem kostet es sie nichts, was jeglicher Kulturarbeit in Bramford seit jeher förderlich ist.

Doch der sommerliche Friede zwischen alten Knochen wird jäh unterbrochen, als eine Gruppe anarchistischer Späthippies oder New-Age-Nomaden in Bramford einfällt. Ausgerechnet in der Nachbarschaft der Archäologen lassen sie sich nieder. Weder der alte Lionel mit seiner Schrotflinte noch die Polizei können die Eindringlinge vertreiben, die ihrem Traum vom Leben im Einklang mit Mutter Natur folgen und förmlich aufleben, sobald jemand dumm genug ist, sich ihnen in den Weg zu stellen.

Disharmonie bestimmt auch den Alltag im Lager der Ausgräber. Ursula Gretton, die leitende Archäologin, hat gerade ein Verhältnis mit Dan Woolard, dem Initiator der Grabung, in Unfrieden beendet. Woollard, der unglücklich mit der sehr erfolgreichen Schmalz-Schriftstellerin Natalie verheiratet ist, will den Bruch nicht wahrhaben und bedrängt die Ex-Geliebte. Die ist inzwischen misstrauisch geworden, nachdem ihr auffiel, dass niemand besagte Natalie seit einiger Zeit gesehen hat. Woollard wird doch wohl nicht ...?

Ursula fragt eine alte Freundin um Rat: Meredith Mitchell, die in London für das Foreign Office arbeitet. Gerade durch widrige Umstände aus ihrer Wohnung vertrieben, zieht Meredith in das Archäologenlager, wo sie hilft, des Nachts die Grabungsfläche zu bewachen. Tagsüber versucht sie ihren Freund, Chief Inspector Alan Markby von der Polizeiwache Bramford, dazu zu bringen, das angebliche Verschwinden Natalie Woollards zu untersuchen. Markby sträubt sich. Er hat schon genug damit zu tun, die zunehmend dreister auftretenden Hippies endlich des Ortes zu verweisen. Als dann auf der Müllkippe unweit des Bramford Hill die Leiche der ermordeten Natalie gefunden wird, ändert sich sich die Situation natürlich umgehend. Leider werden dem Inspektor die Verdächtigen nicht knapp, zumal sich zu den Ausgräbern die sonderlichen Felstons und der leicht verrückte Kriegsheld a. D. und selbst ernannter Müllkippen-Wächter Finny gesellt - allerdings nicht lange, denn Neugier bringt nicht nur die sprichwörtliche Katze um ...

Der fünfte Fall des seltsamen Paars Mitchell und Markby unterscheidet sich von den übrigen vier nur marginal - das ist durchaus Absicht, denn wir haben es hier mit dem Paradebeispiel eines britischen Landhaus-Krimis zu tun, dessen Fans nicht mehr hassen als Unruhe & Überraschungen. Geruhsam soll es zugehen, idyllisch und friedlich. Mord ist da kein Hindernis, sondern fügt sich problemlos ins Gesamtbild ein: So sind sie halt, die Briten - ein Volk liebenswerter Exzentriker, die nichts fürchten als dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt ... das ist zwar ursprünglich auf ein gewisses Gallierdorf gemünzt, passt aber auch hier, denn schließlich gehören die Briten ebenfalls zum Volk der Kelten.

Mit den Konventionen des "Cozies", wie diese Unterart des Kriminalromans auch genannt wird, muss sich der Leser schon abfinden, sonst wird sich der Lesespaß in Grenzen halten. Ann Granger weicht auch nicht ein Jota von den Regeln ab, was schade ist, da sich der Reiz, der den ersten beiden Mitchell & Markby-Thrillern Originalität und Witz verlieh, inzwischen definitiv in Luft aufgelöst hat. Die fest gefahrene Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren ist unfreiwillig ein ausgezeichnetes Bild dafür; auch im fünften Band der Serie umkreisen sich Mitchell und Markby mit längst ermüdender Unentschlossenheit. Nur im Schneckentempo entwickelt sich die Beziehung, die weiterhin eigentlich keine ist; sollte Granger meinen, auf diese Weise die eigentliche Krimihandlung durch Seifenoper- Elemente konterkarieren zu können, irrt sie sich gewaltig - ob Mitchell und Markby sich nun irgendwann "kriegen" (und das werden sie, damit´s idyllisch bleibt) wenn interessiert´s denn noch?

Der eigentliche Krimi-Plot funktioniert; das lässt sich nüchtern konstatieren, denn sobald Emotionen ins Spiel kommen, muss zwangsläufig Ärger aufkommen: Ein wenig mehr Mühe hätte sich Granger schon geben können mit dem Rätselraten. Aber vermutlich ging der Großteil ihrer schöpferischen Kraft in die Schöpfung ulkigen Landvolks und tumber Dörfler, die unmissverständlich deutlich machen, dass Agatha Christie selbst vielleicht gestorben, ihr Geist aber lebendiger denn je ist! Es fehlt nicht einmal ein seniler Coroner, der direkt dem untergegangenen Empire entsprungen zu sein scheint.

Wie gesagt: Man muss eine Antenne haben für herbei gezwungene Harmonie der beschriebenen Art. Die Mitchell & Markby-Krimis verlaufen nunmehr endgültig nach Schema F und auf Schienen ins stets vorhersehbare Finale. Die von der Originalausgabe übernommenen Titelbilder treffen direkt ins Schwarze (was heutzutage selten ist, wo die Cover aus zentralen Bildstöcken nach dem Zufallsprinzip gewählt werden): Naives Schreibkunsthandwerk von der Stange für ein farbloses Feierabend-Publikum. Klingt dies abfällig? Das soll es gar nicht, denn Harmoniesucht ist ein lässliches Vergehen.

Ihr Rezensent ist nur ein wenig verbittert, weil der Siegeszug des "Cozies" in Deutschland gleichbedeutend mit dem Ende des "harten" oder "schwarzen" Thrillers ist, deren Vertreter offensichtlich allzu unangenehme Wahrheiten thematisierten: Niemand unterschätze die reale Macht der gern verspotteten Kamillentee-Fraktion! Aber immerhin - Menschen, die nur mehr Romane wie "Wer andern eine Grube gräbt" lesen, werden gewiss nicht Amok laufen, wenn sie im täglichen Ausbildungs- und Arbeitskampf ins Abseits gedrängt werden, sondern sich in ihr Schicksal fügen und friedlich für Euro-Cents tanzen in Deutschlands Fußgängerzonen ...

Wer andern eine Grube gräbt

Ann Granger, Lübbe

Wer andern eine Grube gräbt

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