Kalte Wut

  • Hoffmann & Campe
  • Erschienen: Januar 1998
  • 2
  • London: Macmillan, 1996, Titel: 'Fury', Seiten: 514, Originalsprache
  • Hamburg: Hoffmann & Campe, 1998, Seiten: 510, Übersetzt: Christel Wiemken
  • München: Heyne, 2000, Seiten: 571
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Michael Drewniok
1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2004

Jean, Ehefrau des Geheimdienst-Agenten Philip Cardon, stirbt an den Folgen einer abgefeimten Folter. Ihr Gatte beginnt einen Rachefeldzug. Unterstützt wird er von Tweed und den Männern (plus einer Frau) des "Secret Intelligence Service" Ihrer Britischen Majestät, die bald herausfinden, dass hinter dem Mord Walvis, der reichste Mann der Welt, steht, dem Jean Cardon bei seinem Versuch, die Herrschaft über die westliche Welt an sich zu reißen, auf die Schliche gekommen ist. Eine wilde Jagd kreuz und quer durch Europa beginnt, bis Tweed und seine Mitstreiter den Schurken ausschalten können.

Für einen Roman mit mehr als 500 Seiten mag diese Zusammenfassung ziemlich knapp erscheinen. Doch sie beschreibt tatsächlich die ganze Geschichte, auf der Colin Forbes’ Tweed-Abenteuer aufbaut. Entlang dieses dünnen roten Fadens zieht sich eine endlose Kette von Verfolgungsjagden, Mordanschlägen und wüsten Kämpfen.

Tweed: ein Name ist Programm; die Bezeichnung für einen robusten und widerstandsfähigen, aber auch ziemlich grob gestrickten Stoff. Erstaunlich, wie sich diese Metapher auf den vorliegenden Roman übertragen lässt. Der superreiche, skrupellose Bösewicht, der die Weltherrschaft erringen will, flankiert von einer Garde bizarrer und verrückter Helfershelfer, umgeben von einem Heer tumber Totschläger, gegen den mutigen, entschlossenen Held, der sich (leider) an die Gesetze halten und daher quasi mit einer Hand auf den Rücken gebunden kämpfen muss, und seine gewitzten Helfer (von denen mindestens einer im Verlauf der Handlung ins Gras beisst, um für das dramatische Moment zu sorgen): Das ist eine bewährte Konstellation, die nicht zuletzt James Bond seit vier Jahrzehnten sein Kino-Leben garantiert. (Forbes’ SIS-Streiter erinnern allerdings mehr an das rabiate "A-Team", das durch die zivilisierte Welt irrt, um das Verbrechen zu bekämpfen, wo immer es sein Haupt erhebt.) Dazu als Verstärkung eine Rachegeschichte - man sollte meinen, dies sei eine solide Basis für ein paar vergnügliche Lektüre-Stunden in der Bahn oder am Strand.

Leider macht sich Forbes die Sache ein wenig zu einfach. Seine Helden sind wie seine Bösewichter reine Pappkameraden, eindimensional bis zum Klischee und darüber hinaus. Die Schurken sind immer hässlich und quasi von Geburt an zu einer Existenz als Strolch verdammt (außer die Frauen; die sind schön und deshalb besonders heimtückisch und mit besonderer Vorsicht zu genießen); sie foltern und morden voll reiner Wonne und verdienen ihr (mit liebevoller Detailfreude gezeichnetes) Ende. Die Helden wirken demgegenüber deutlich weniger farbenfroh und sind damit im Streit um die Gunst des Lesers ein wenig im Nachteil. Forbes gleicht das aus, indem er sie kaum weniger brutal als ihre Gegner zu Werke gehen lässt - aber natürlich nur, weil diese gar zu scheußlich sind (siehe oben).

Der eigentliche Plot der Geschichte ist, gelinge ausgedrückt, hanebüchen: Hauptschurke Walvis plant, Aussiedler und Flüchtlinge aus Osteuropa (S. 438: "... riesige Flüchtlingshorden, die nur darauf warten, über Westeuropa hinwegzufegen ...") zu bewaffnen und in den Westen zu schleusen, wo sie die bestehenden politischen Strukturen zerstören sollen, bis Walvis schließlich auf den Trümmern eine neue Ordnung nach seinem Gusto errichten und das Paradies auf Erden schaffen kann.

Man fragt sich angesichts solchen Schwachsinns, wie es Walvis geschafft hat, zum reichsten Mann der Welt zu werden. Aber auch sonst fällt es schwer, ihn ernst zu nehmen. Da sitzt er wie die Spinne im Netz, gebietet über schwerbewaffnete Horden, die vor keiner Schandtat zurückschrecken, und über die modernste Technik, die sich für Geld kaufen lässt - und doch können ihm Tweed und seine Freunde ein Schnippchen nach dem anderen schlagen. Streich um Streich setzen seine Spießgesellen in den Sand. Die Reaktion ist immer identisch: Walvis schimpft und droht - und setzt anschließend unverdrossen dieselben Versager erneut auf Tweeds Team an.

Übertriebene Realitätsnähe kann man Forbes also nicht vorwerfen. Das verleiht auch seinen Ortsbeschreibungen eine ganz eigene Qualität. Tweed und Walvis und die Ihren bewegen sich durch ein Europa, das ungefähr soviel mit der Wirklichkeit zu tun hat wie jene englischen Dörfer und Landhäuser, in denen Miss Marple und Co. ihre Morde aufklären. Das sorgt für unfreiwillige Heiterkeit, zumal ein großer Teil der Handlung in Deutschland spielt - oder in einer Art Euro-Disney-Deutschland, in dem unentwegt Bier getrunken und Mercedes, BMW oder Audi gefahren wird und dessen Ordnungshüter es sich gern gefallen lassen, wenn entschlossene Briten schwerbewaffnet durch die Lande fahren, um im Dienst der guten Sache Übeltäter hordenweise ausrotten, Hubschrauber abzuschießen oder Waffenlager in die Luft zu sprengen.

Und sollten Tweed und seine Freunde in der Wahl ihrer Mittel einmal schwächeln, weist ihnen ihr treuer Verbündeter Otto Kuhlmann vom Bundeskriminalamt den rechten Weg: "Wir werden schwere Geschütze auffahren lassen und dann warten, bis sie tatsächlich anfangen, das Eis zu überqueren, und dann das Feuer eröffnen. Dann sehen die anderen, wie ihre Genossen im Wasser versinken. Hart, ich weiß, aber zu diesem Mob gehören auch Tataren aus Russland, und die schrecken vor nichts zurück. Besser, als Europa wieder ins Mittelalter zurückfallen zu lassen." (S. 398f.) Colin Forbes weiß eben, wie man in Deutschland solche Dinge regelt!

So schreitet die Geschichte ohne Überraschungen bis zum immer vorhersehbaren Ende voran. Sollte man beim Lesen eingenickt sein, findet man den Anschluss nach dem Erwachen problemlos - auch wenn man einige Seiten übersprungen haben sollte. Die wirre Geschichte wird zudem kongenial holprig übersetzt. (Wann hat man schon einmal einen Bösewicht, der gerade in einem Regenfass ertränkt wird, auf die Frage nach seinem Auftraggeber so antworten hören: "Ich getraue mich nicht, das zu sagen." [S. 380]?)

Fazit: ein wüster Kolportage-Thriller ohne Sinn und Verstand, dessen Widmung ("für meine verstorbene Frau") offenbar ernst gemeint ist und der so Geehrten garantiert zu einem Weiterleben verholfen hat - als Rachegeist nämlich, der den schriftstellerndem Gatten hoffentlich ordentlich piesacken wird.

Kalte Wut

Colin Forbes, Hoffmann & Campe

Kalte Wut

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