Der Kommissar und das Schweigen

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2001
  • 25
  • Stockholm: Bonnier, 1997, Titel: 'Kommissarien och tystnaden', Seiten: 321, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2001, Seiten: 317, Übersetzt: Christel Hildebrandt
  • München: Goldmann, 2003, Seiten: 317, Übersetzt: Christel Hildebrandt
  • Augsburg: Weltbild, 2006, Seiten: 6, Übersetzt: Dieter Moor
Der Kommissar und das Schweigen
Der Kommissar und das Schweigen
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Peter Kümmel
38°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Nesser schwimmt nur auf der Schweden-Krimi-Welle mit

Ein anonymer Anruf einer Frau erreicht den Polizisten Merwin Kluuge in der ländlichen Kleinstadt Sorbinowo. Aus dem dortigen Ferienlager, dem Aufenthaltsort einer obskuren Sekte, sei ein Mädchen verschwunden und ermordert wordet worden und die Polizei müsse sofort etwas unternehmen, damit nicht noch weitere Verbrechen geschehen. Kluuge ist allerdings nur die Urlaubsvertretung auf dem Posten des dortigen Polizeichefs, war davon ausgegangen, die heißen Sommermonate geruhsam verbringen zu können und weiß nun nicht so recht, wie er auf den Anruf reagieren soll. Also ersucht er um Amtshilfe bei Kommissar Van Veeteren aus Maardam, einem guten Bekannten seines Vorgesetzten.

Dieser plant gerade seinen Urlaub im sonnigen Kreta sowie seinen Ausstieg aus dem Polizeidienst, als ihn der Hilferuf seines jungen Kollegen erreicht. Daraufhin begibt sich van Veeteren nach Sorbinowo und stattet zusammen mit Kluuge zunächst der Sekte im Lager des Reinen Lebens einen Besuch ab, wo sie nur äußerst dürftige Auskünfte erhalten. Leiter des Ferienlagers ist der Oberguru Oscar Jellinek, vorbestraft wegen sexueller Nötigung. Unterstützung erhält Jellinek von drei Frauen, die ihm sehr ergeben sind und mit denen er vermutlich sexuelle Kontakte unterhält. Insgesamt halten sich zwölf Mädchen im Alter von etwa 12 bis 14 Jahren im Lager des Reinen Lebens auf. Und verschwunden sei keines der Mädchen.

So verbringen die Polizisten zunächst mal ihre Zeit damit, sich Informationen über die Sekte zu beschaffen. Erst durch einen weiteren Anruf der mysteriösen Frau werden sie zu der Leiche eines Mädchens gebracht. Das Kind, das am Vortag noch vom Kommissar befragt wurde, wurde vergewaltigt und erwürgt. Doch kann die Tote keinesfalls mit dem angeblich verschwundenen Mädchen identisch sein.

Zurück auf dem Gelände der Sekte muss die Polizei feststellen, dass ihr Priester Jellinek seit der vergangenen Nacht verschwunden ist. Laut Auskunft seiner Helferinnen wurde er von Gott berufen und keiner kennt seinen Aufenthaltsort. Sowohl die drei Frauen als auch die Mädchen verweigern auf Befehl von Jellinek jegliche Auskunft. Erst nach und nach geben ein paar der Mädchen vereinzelt Auskünfte. So erfährt die Polizei, dass bereits vor einigen Tagen ein anderes Mädchen aus dem Lager verschwunden ist. Sowohl für die Ermittler als auch für die Bewohner des Dorfes steht fest, dass nur der verschwundene Sektenführer für den Tod des Kindes verantwortlich sein kann.

Nesser unterscheidet sich in der Art, seine Kriminalromane aufzubauen, grundlegend von anderen bekannten skandinavischen Kriminalautoren. Im Gegensatz zu den eher hektischen und vollgepackten Krimis seiner Kollegen bleibt Nesser fast puristisch.

Es passiert zunächst mal überhaupt nichts. Es liegt noch nicht mal ein Verbrechen vor. Auch nachdem die Leiche gefunden wurde, tut sich nicht viel. Es gibt keine Verdächtigen außer dem verschwundenen Jellinek und seinen drei schweigenden Begleiterinnen. Die Polizei beschäftigt sich mehr oder weniger damit, die aus verschiedene Richtungen zusammengerufenen Beamten zu koordinieren.

Auch Sozialkritik, wie man sie beispielsweise von Mankell und Edwardsson kennt, sucht man hier vergeblich. Als das Thema Sekte ins Spiel kam, vermutete ich hier einen Ansatz, den der Autor im Laufe der Handlung vertiefen würde. Doch sah ich mich darin leider getäuscht. Genauso gut hätte die Handlung auch in einer Jugendherberge spielen können.

Einzig durch seinen einfachen und flüssigen Schreibstil kann Nesser der schwedischen Krimiautorengilde zugehörig erkannt werden. Die eingeschobenen Verhöre in Protokollform bringen weiteren Schwung in den Lesefluss, doch sind diese leider allesamt ziemlich nichtssagend und völlig überflüssig. Nesser gelingt kein Spannungsaufbau. Es fehlen einfach die Mosaikstückchen, mit denen der Leser Schritt für Schritt neue Informationen bekommt, der Lösung näher gebracht oder auch mal auf falsche Fährten gelockt wird. Statt dessen werden immer wieder die gleichen schweigenden Zeugen vernommen. Dem Leser wird keine Gelegenheit gegeben mitzuraten. Dies an sich ist zwar als Einzelkriterium kein Manko, doch sollte ein Kriminalroman in diesem Falle andere Stärken aufzuweisen haben.

Der Protagonist Van Veeteren ist mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Fall, den es zu lösen gilt. So drehen sich seine Gedanken darum, aus seinem Beruf auszusteigen. Mit dem Ausspruch: "Pervers, dachte er. Eines Tages halte ich es hier auf der Welt nicht mehr aus. Es ist nur eine Frage der Zeit." nimmt er schon auffallend Wallander-mäßige Züge an. Er sondert sich weitgehend vom Ermittlerteam ab und schlägt eigene Wege ein, die ihn jedoch bis kurz vor Schluss auch nicht weiterbringen. Wie er dann zum Schluss auf die richtige Lösung gebracht wird, das wirkt schon sehr zufällig und plump.

Dass Van Veeteren auch nach diesem für mich zweiten Buch noch immer farblos bleibt, habe ich bereits geschildert. Doch auch die anderen Charaktere werden weitgehend stereotyp dargestellt. Einzig dem jungen Polizisten Kluuge sowie dem Polizisten mit der Beinprothese gesteht Nesser ein klein wenig Individualität zu. Dabei bleibt vor allem nachhaltig die Szene in Erinnerung, in der der Beamte schildert, wie er sein Bein verloren hat. Einige weitere gute Ansätze werden relativ abrupt abgebrochen.

Ungewöhnlich in Nessers Krimis ist der Ort der Handlung. Nicht nur, dass der Autor mit Maardam einen fiktiven Namen gewählt hat, er gibt dem Leser noch nicht mal einen Anhaltspunkt, in welchem Land sich die Geschehnisse überhaupt abspielen. So mischen sich unter die weitgehend holländisch klingenden Namen auch andere, die man eher nach Skandinavien, Mittel- oder Osteuropa einordnen könnte. Auf diese Art und Weise bleibt der Autor zwar absolut unabhängig von realem Zeitgeschehen, doch wirkt dies dafür auf den Leser, der sich gerne nicht nur in Personen, sondern auch in den Ort der Handlung hineinversetzen möchte, um so abstrakter.

Håkan Nesser schwimmt nur auf der Schweden-Krimi-Welle mit. Seit die Wallander-Krimis ihren Siegeszug angetreten haben, wird alles, was sich in Nordeuropa aus diesem Bereich finden lässt, von deutschen Verlagen veröffentlicht. Angesichts des vielen Schweigens in dem Roman möchte man dem Autor gerne sagen: Hättest Du doch besser auch geschwiegen. Ein überflüssiger Roman.

Der Kommissar und das Schweigen

Håkan Nesser, Goldmann

Der Kommissar und das Schweigen

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