Alte Freunde - neue Feinde

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 1996
  • 5
  • London: Viking, 1991, Titel: 'A German Requiem', Seiten: 306, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1996, Seiten: 313, Übersetzt: Hans J. Schütz
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1998, Seiten: 382
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2000, Seiten: 382
Alte Freunde - neue Feinde
Alte Freunde - neue Feinde
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Jörg Kijanski
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2003

Ein historisches Durcheinander in den Wirren der Nachkriegszeit

Berlin im Jahr 1947. Die Stadt ist vom Krieg schwer gezeichnet, Lebensmittel sind stark begrenzt und das Einzige was richtig läuft ist der Schwarzmarkt. So wundert sich Privatdetektiv Bernhard Gunther schon seit geraumer Zeit, dass es seiner Frau immer wieder gelingt, an Lebensmittel aus amerikanischen PX-Läden zu kommen oder kostbare Zigaretten mitzubringen. Allein ihre Tätigkeit als Kellnerin in einer Bar, die überwiegend von US-Soldaten besucht wird und deren Wohlwollen, scheinen ihm als Begründung wenig glaubhaft und so ist er letztlich nicht sehr verwundert, dass ihm eine abendliche Observation seiner Frau seine Vorahnungen bestätigt. Ein US-Captain, mit der er sie in flagranti erwischt, ist offensichtlich (einer) der "Wohltäter".

Dieses Ereignis trägt - neben seinen finanziellen Problemen - wenig später dazu bei, dass Gunther einen Auftrag annimmt, welcher ihn nach Wien führt, wo sein früherer Arbeitskollege von der Berliner Kripo, Emil Becker, von der amerikanischen Militärpolizei verhaftet wurde, da er angeblich den US-Offizier Linden erschossen haben soll. Der Auftrag wird ihm über den KGB-Oberst Poroschin, Mitglied der russischen Kommendatura, in Berlin angetragen, der Becker sein Leben verdankt. Als Poroschin sich vor Jahren bei einer Geliebten mit Syphillis infizierte besorgte ihm Becker das kaum erhältliche, aber lebensnotwendige Penicillin.

Bevor Gunther nach Wien reist erfährt er, dass Linden wie ein Sohn für das jüdische Berliner Ehepaar Decker war. Als er diese in Steglitz aufsuchen will, findet er sie jedoch ermordet in ihrem Schlafzimmer vor, vergiftet mit dem Giftgas Zyklon-B, welches erstmals in den deutschen KZs zum Einsatz kam. Wie Gunther weiter ermittelt waren die Deckers Jäger der Nazi-Kriegsverbrecher.

In Wien sollte Emil Becker für den Geschäftsmann König Kurierdienste über die Grenze nach Berlin wahrnehmen. Die Päckchen enthielten Dokumente über Partei, Armee, SS etc. und waren über den Mittelsmann Eddy Holl für Linden bestimmt, der für das Document Center in Berlin arbeitete und - wie die Deckers - ebenfalls als Nazi-Jäger aktiv war. Nachdem Becker Linden in Begleitung eines fremden Mannes in Wien begegnet, beschattet er die beiden bis zu einem Atelier, aus dem er kurz darauf einen Schuss hört. Der Fremde flüchtet, Linden ist tot und Becker begeht am nächsten Tag den Fehler, an den Tatort zurückzukehren. Er wird verhaftet und die Ermittler identifizieren Beckers Waffe als die Mordwaffe. Kurz nach Gunthers Eintreffen in Wien beginnt sich die amerikanische Seite (Militärpolizei und Geheimdienst) für ihn zu interessieren...

Im dritten und letzten Teil der Serie um Privatdetektiv Bernhard Gunther gelingt es Philip Kerr die herausragenden Schwachstellen der ersten beiden Folgen ("Feuer in Berlin" und "Im Sog der dunklen Mächte"), nämlich eine triefend bildgewaltige Sprache sowie die extrem schnoddrige Redensart des Protagonisten (für die damalige Zeit schlichtweg nicht vorstellbar, mit so einem "Mundwerk" länger als einen Tag überleben zu können), weitgehend in den Griff zu bekommen.

Gleichwohl vermag aber auch der Plot zu überzeugen, in dem es neben dem oben skizzierten Sachverhalt in der Folge vielmehr darum geht, wie die Geheimdienste nach Ende des Krieges sich gegenseitig auszutricksen versuchten und wie es ehemaligen Nazigrößen bzw. Kriegsverbrechen in dieser Zeit gelingen konnte, unterzutauchen bzw. weiterhin - sei es auf russischer oder amerikanischer Seite - mitzumischen.

Was wurde aus Heinrich Müller?

Aufhänger der eigentlichen Story ist das fragliche Schicksal von Heinrich Müller, vormals Chef der Gestapo, der in den Kriegsjahren gestorben sein soll, nach Kriegsende aber angeblich für die Amerikaner "arbeitete". Die Darstellung, wie einzelne Personen zu einer neuen Identität kommen ist überzeugend und so verwundert es nicht, dass ehemalige Nazischergen versuchen, den Amerikanern beim Kampf gegen die Russen zu helfen, die gerade dabei sind, Berlin nach außen abzuschotten (>Luftbrücke). Dabei dient ausgerechnet die "Org", welche eigentlich deutsche Kriegsverbrecher aufspüren soll, eben diesen um hier einen Platz zum Untertauchen zu finden.

Was den Leser am vorliegenden Buch vielleicht abschrecken könnte ist, wie bei klassischen Spionageromanen üblich, nicht nur die Zahl der mitwirkenden Personen, sondern vielmehr, dass man ständig, wie Bernhard Gunther auch, irritiert ist, wer denn nun auf welcher Seite steht (Stichworte: Gegenspionage und Doppelagenten). Dabei beharken sich auf amerikanischer Seite noch zusätzlich die Militärpolizei (MP) und der Geheimdienst (CIC), von den Aktivitäten der Crowcass, der Kommission für Kriegsverbrechen, ganz zu schweigen. Ziemlich viel (oberflächliches) Durcheinander also auf gerade einmal rund 310 Seiten.

Gut gelungen aber ist die Atmosphäre des Romans, insbesondere zu Beginn, wo die Situation der Menschen im Nachkriegsdeutschland sehr plastisch geschildert wird. Bei den Charakteren dagegen macht Kerr erneut wenig Umwege. Warum sich länger als nötig mit sorgfältigen Figurenzeichnungen aufhalten, wenn man dem Leser stattdessen Action bieten kann? Deshalb muss man auch nicht jedesmal die Hintergründe des Plots beleuchten. Wie in seinen neueren Werken ebenfalls üblich (siehe Newtons Schatten), greift sich Kerr lediglich jene historischen Fragmente heraus, welche seiner Story dienlich sind. Wer es genau wissen will, kann ja schließlich zur Fachliteratur greifen. Insgesamt also ein kurzweiliges Vergnügen vor einer interessanten historischen Kulisse.

Alte Freunde - neue Feinde

Philip Kerr, Rowohlt

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