Segel aus Stein

  • Claasen
  • Erschienen: Januar 2003
  • 33
  • Stockholm: Norstedt, 2002, Titel: 'Segel av sten', Seiten: 463, Originalsprache
  • München: Claasen, 2003, Seiten: 480, Übersetzt: Angelika Kutsch
  • Berlin: List, 2005, Seiten: 510
  • Berlin: List, 2006, Seiten: 528
  • Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: Boris Aljinovic
Segel aus Stein
Segel aus Stein
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Lars Schafft
47°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2003

Zwei Stories - eine überflüssig

Nach dem fulminanten Himmel auf Erden durfte man auf den neuen Krimi mit der Ermittlertruppe um Kommissar Erik Winter aus Göteborg gespannt sein: Gelingt es Ake Edwardson, Henning Mankell vom Thron der zeitgenössischen skandinavischen Krimi-Autoren zu verdrängen? Schafft Edwardson es, seine Figuren weiterzuentwickeln und dies mit einem spannenden Plot zu kombinieren? Wird man den Autor jetzt, mit dem sechsten Winter-Roman, ebenfalls in einem Atemzug mit Sjöwall / Wahlöö nennen? Nun, der Schwede bleibt seiner Linie treu. Und leider nur insofern, dass seine Krimi-Reihe auch weiterhin einer Achterbahnfahrt aus spannend geschriebenen Thrillern und langweiligen Marathon-Psychogrammen ähnelt. "Segel aus Stein" gehört leider zur letzteren Sorte.

Zwei Handlungsstränge führt Edwardson recht schnell ein: Zum einen verschwindet Axel Osvald, Vater von Johanna Osvald, einer "Verblichenen" unseres Kommissars, spurlos in den schottischen Highlands. Ein anonym an ihn addressierter Brief, der besagte, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zu sein scheinen, genügte, um Hals über Kopf in den Norden der britischen Insel zu reisen. Diese Nachricht bezog sich vor allem auf den als ertrunken geglaubten Vater Osvalds, der - dessen ist man sich in Göteborg sicher - zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zusammen mit der Mannschaft der "Marino" vor Island untergegangen ist. Zum anderen gehen Erik Winters Kollegen Aneta Djanali und Halders einer vermeintlichen Misshandlung nach, wo die Dinge eigentlich das zu sein scheinen, was sie vorgeben. Doch die potenziell Misshandelte ist für die Polizei nicht zu sprechen. Und so fehlt auch hier jeder rationale Ansatz für ein Verbrechen.

Genau deswegen herrscht auf den ersten der gut 500 Seiten von Segel aus Stein auch in jeder Hinsicht Flaute, um im maritimen Bild von "Segel aus Stein" zu bleiben. Djanali und Halders versuchen einem Verbrechen auf die Spur zu kommen, dass keiner gesehen haben will. Winter versucht ein Verbrechen aufzudecken, das wohlmöglich nie geschehen ist. Und das über 250 Seiten!

250 Seiten viel Geplänkel, 250 Seiten tiefe Einblicke in die Psyche von Aneta Djanali, die sich nach Afrika sehnt, obwohl die schwarze Polizistin in Schweden geboren ist. 250 Seiten Momentaufnahme der Gedankenwelt des jüngsten Kommissars Schweden, wie für diesen die Polizeiarbeit weniger wichtig und wie der Snob und Karrierist Erik Winter zum mehr oder minder spießigen Familienmenschen wird, der davon träumt, mit seiner Frau Angela und Töchterchen Elsa an der Küste ein Haus zu bauen.

Relevant ist das alles - und damit ist nichts vorweggenommen - für den weiteren Verlauf der Handlung nicht. Mag sein, dass dies die Grundsteine für weitere Romane dieser Serie darstellen und elementar für das Gesamtkonzept der Winter-Reihe sind - auf jedenfall sind diese 250 Seiten grottenlangweilig und selbst große Fans skandinavischer Kriminalliteratur und auch Anhänger Edwardsons kann kaum verübelt werden, bis dahin das Buch wegzulegen.

Schließlich, nach immerhin der Hälfte des Buches, geschieht doch noch etwas. Axel Osvald wird tot in den Bergen bei Loch Ness aufgefunden. Völlig entkleidet - aber auch hier lässt sich beim besten Willen kein Kriminalfall daraus machen: Spuren von Gewalt suchen die Ermittler an der Leiche vergebens. Da die Sachlage sich aber zum einen recht eigenartig gestaltet und Erik Winter die Chance nur allzu gern ergreift, seinen Freund und Kollegen Steve Macdonald, gebürtiger Schotte, an Ort und Stelle wiederzutreffen, machen sich die beiden auf, Licht ins Dunkel des Untergangs der "Marino" und damit des Verbleibs von John Osvald zu bringen ... Sollte der schwedische Fischer gar noch am Leben sein?

Erst - und das ist beinahe unverzeihlich - gewinnt "Segel aus Stein" an Fahrt, als Erik Winter schottischen Boden betrifft. Das Tempo nimmt zu, die Reise durch ehemals belebte Fischerdörfer, durch die Highlands und vor allem durch die Geschichte ist endlich das, was man von Edwardson kennt: Spannende Unterhaltung und diesmal mit dem besonderen, da nicht-skandinavischem, Flair. Hätte der Roman doch direkt damit angefangen! Hätte Edwardson doch auf die Parallelhandlung mit der misshandelten Göteborgerin verzichtet. Hätte, wäre, wenn - hat er nicht und somit "Segel aus Stein" ganz gehörig in viel zu seichte Wasser gesteuert.

Es ist einfach ärgerlich, für 200 sehr gute Seiten Kriminalroman 300 völlig belanglose in Kauf nehmen zu müssen. Denn am Ende muss der ausdauernde Leser leider feststellen, dass das ganze Drumherum, die Parallelhandlung, die Psychogramme von Aneta Djanali, Halders und - völlig überflüssig! - Lars Bergenheim (einem weiteren aus der Ermittlertruppe), nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Verschwinden Axel Osvalds zu tun hat. Da ist der Krimileser von heute mit ausgeklügelten Plots, wo wirklich jeder Faden zusammen läuft, einfach zu verwöhnt, um am Aufbau von "Segel aus Stein" Gefallen finden zu können.

Dazu kommt, dass Ake Edwardson das Einbinden von englischsprachigen Songtexten und Dialogen auf die Spitze treibt. Hier und da ein, zwei englische Sätze mögen den mordernen Anspruch des Autors unterstreichen - ganze Unterhaltungen unübersetzt zu lesen, ist schlichtweg nervig. Und wenn Zitate aus Evergreens aus Rock und Jazz das einzige sind, was den Gefühlszustand einer Person beschreiben kann, muss schon die Frage erlaubt sein, ob der Autor nicht in der Lage ist, Emotionen mit eigenen Worten wiederzugeben.

Unterm Strich bleibt eine der zwei Handungsstränge in Erinnerung, nämlich die Verfolgung eines Phantoms an der Küste Schottlands. Alles andere ist schnell vergessen, was letztendlich dazu führt, dass der Leser für seine Ausdauer zwar mit einem Happyend belohnt wird, dennoch aber arg unbefriedigt die "Segel aus Stein" in den Wind schießt. Ob der Vorgänger ein Ausrutscher nach oben und dieses Buch die wahre Fähigkeit Edwardsons beschreibt, einen guten Krimi abzuliefern oder ob "Segel aus Stein" nur ein misslungenes literarisches Experiment darstellt und Ake Edwardson mit dem sicherlich erscheinenenden Nachfolger zu bereits gezeigter Stärke zurückfindet, wird die Zukunft zeigen. "Segel aus Stein" ist zumindest ein Beleg dafür, wie ein an sich guter Schriftsteller mit einem viel zu aufgeblasenen Roman Schiffbruch erleiden kann.

Segel aus Stein

Ake Edwardson, Claasen

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