Aufgeklärt:
Locked Room Mystery

„Wie wurde das Verbrechen begangen?“

Das Locked Room Mystery (Geheimnis des verschlossenen Raums), auch Impossible Case (unmögliches Verbrechen) genannt, ist ein enger Verwandter des klassischen Whodunit/Whodunnit (Wer ist’s gewesen?). Mit dem Unterschied, dass nicht die Frage nach dem Täter im Mittelpunkt steht, sondern das „Wie wurde das Verbrechen begangen?“, also die Methode der Durchführung.

Die gerne gewählte Ausgangslage:

Ein Toter liegt in einem Raum, die Mordwaffe ist entweder zu weit entfernt, um Selbstmord begangenen zu haben oder gar nicht vorhanden. Türen und Fenster des Raums sind von innen verriegelt. Die zwei dringlichsten Fragen, die der Ermittler beantworten muss: Wie konnte der Mörder seine ruchlose Tat vollbringen und anschließend unbemerkt entkommen?

Ein geradezu biblisches Vergnügen:

Ein frühes Rudiment des Themas findet sich bereits im Alten Testament. Im „Buch Daniel“ soll Daniel seinem Gott abschwören und den großen Bel anbeten („Daniel und die Diener des Bel“). Daniel lehnt ab, mit der Begründung, dass Bel lediglich eine leblose Statue sei. Wie er dann die Unmengen an Speisen vertilgen könne, die ihm in einer Höhle dargereicht werden, fragt der König. Daniel bezweifelt, dass der Götze überhaupt essen könne. Er lässt sich auf einen Test ein, die Höhle wird mit Essen vollgestopft und anschließend versiegelt. Am nächsten Morgen sind die Nahrungsmittel verschwunden.  Der König sieht sich bestätigt, doch Daniel, ganz kluger Detektiv, hat einen Aschering ums Warenlager gezogen, der von zahlreichen Fußspuren zerstört wurde. So kommt heraus, dass die Priester des Bel durch einen Geheimgang die Höhle betreten haben, um sich die Opfergaben selbst zu Gemüte zu führen.  Bekommt ihnen nicht gut. Der König gibt Daniel Recht und das vermutlich erste Locked Room Mystery ist aufgeklärt.

Edgar Allan Poes mörderischer Affe und die Folgen

In die Kriminalliteratur hielt das Genre ebenfalls früh Einzug mit Edgar Allan Poes Geschichte „The Murders In The Morgue“ („Die Morde in der Rue Morgue“) aus dem Jahr 1841, in der Poes Detektiv Auguste C. Dupin stichhaltig beweist, dass die Morde im vierten Stock eines Hochhauses nur von einem dressierten Orang Utan begangen worden sein können.   Das Thema fand schnell Beliebtheit und wurde in der Folgezeit häufig aufgegriffen. Mal als Teil eines umfassenderen Werks (Wilkie Collins „The Moonstone“ (1868), dt. „Der Monddiamant“), mal als zentrales Thema wie in Gaston Leroux‘ kleinem Meisterwerk „Le mystère de la chambre jaune“ (1907), dt. erstmals 1911 als „Das Geheimnis des gelben Zimmers“ publiziert.

Eingeschlossen mit den Schlüsselmeistern Carr und van Dine

Seine Höhepunkte erlebte das Locked Room Mystery im Golden Age (die ausgehenden Zehnerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs), insbesondere in Gestalt von S. S. van Dine, die „Murder“-Reihe mit dem Detektiv Philo Vance, dem literarischen Duo mit einzelnem Namen, Ellery Queen und  zuvorderst John Dickson Carr (aka Carter Dixon), der zahlreiche Bücher über unmögliche Verbrechen verfasste (und selbst Bewunderer von Gaston Leroux war).

Dr. Michael Drewniok, unser Spezialist für klassische Kriminalromane, empfiehlt als Primus inter parers den 1938 erschienen „The Crooked Hinge“ („Die Tür im Schott“), der hierzulande 2001 im DuMont-Verlag neu übersetzt und ungekürzt veröffentlicht wurde.

Natürlich haben auch Arthur Conan Doyle und Agatha Christie sich unmöglichen Fällen gewidmet. Sherlock Holmes bekommt es unter anderem in seinem zweiten Roman „The Sign Of The Four“ (1890), „Im Zeichen der Vier“, und der  Kurzgeschichte “ The Speckled Band“ (1892), „Das gefleckte Band“, mit hermetisch abgeschlossenen Räumen zu tun, Agatha Christie schuf mit dem von der Entführung des Lindbergh-Babys beeinflussten „Murder In the Orient Express“ (1934), „Mord im Orient Express“, und dem derzeit meistverkauften Kriminalroman aller Zeiten, „And Then There Were None“ (1939), „Und dann gabs keines mehr“, Variationen des Themas.

Der verschlossene Raum öffnet sich zur Straße hin

Als das Verbrechen die Straßen zurückeroberte, gesellschaftliche und politische Implikationen wichtiger wurden, die Detektiv- und Polizeiarbeit mehr körperliche Einsatz zur Beweismittelbeschaffung forderte, das Durchmessen desolater Seelenlandschaften im Noir seinen Tribut fordert oder gar die Faszination für serielles Töten sich gewaltsam Raum verschaffte, rückten artifizielle Rätselkrimis in den Hintergrund. Ohne, dass Verbrechen in geschlossenen Räumen komplett an Faszination verloren und vom Buchmarkt verschwanden.

So widmeten sich unter anderem Sjöwall und Wahlöö 1972 in ihrem Roman „Det slutna rummet“, „Verschlossen und verriegelt“, dem Thema,  vor wenigen Jahren trug sich Adrian McKinty in seiner Sean Duffy-Reihe mit gleich zwei gelungenen Widmungen ins große Buch der Locked Room Mysteries ein, mit den wohlgeratenen Romanen  „In The Morning I'll Be Gone“ (2014), „Die verlorenen Schwestern, und „Rain Dogs“ (2015).

Es bleibt ein faszinierenderes Sujet und wird auf unabsehbare Zeit weitere Bewunderer finden. Vielleicht sogar während eines derzeit angesagten Events namens „Escape Room“. Dass einen verschlossenen Raum nutzt, nicht einen Mörder zu entlarven, sondern Fluchtstrategien zu entwickeln und die Hilfsmittel zu finden, die für ein Entkommen nötig sind. Sozusagen Locked Room Mystery in reverse.

"Aufgeklärt: Locked Room Mystery" von Jochen König
Foto: © istock.com/peepo

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