Dr. Siri sieht Gespenster

  • Manhattan
  • Erschienen: Januar 2009
  • 13
  • New York: Soho Press, 2005, Titel: 'Thirty-Three Teeth', Originalsprache
  • München: Manhattan, 2009, Seiten: 320, Übersetzt: Thomas Mohr
  • London: Quercus, 2008, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2010, Seiten: 318
Dr. Siri sieht Gespenster
Dr. Siri sieht Gespenster
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Wolfgang Franßen
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2008

Laugh out louder

Mal ehrlich: Interessiert sich einer für Laos? Vielleicht jemand, der letztes Jahr billig sechs Wochen in Vietnam verbracht hat. Aber Laos. Mal ehrlich: Wer weiß schon, wo das liegt. Und dann ist es auch noch kommunistisch, gehört somit ins Wachsfigurenkabinett der Geschichte. Dr. Siri Paiboun ist mangels geeigneter Kandidaten zum staatlichen Leichenbeschauer bestellt worden und quält seine Vorgesetzten mit Eigenwilligkeit und der Einsicht, dass, wer sowieso nicht mehr lange zu leben hat, sich Freiheiten herausnehmen kann. Sein messerscharfer Verstand, in Sherlocks Logik, ist in der genauen Beobachtung verankert, hört zu. Ein durchweg sympathischer Held. Vor allem humorvoll. So jemandem folgen wir gerne nach Laos.

Zumal kein anmutender Reisejournalismus uns erwartet. Die verkohlten Überreste zweier Piloten müssen identifiziert werden. Was in einem Land, in dem nicht jeder wissen darf, was er wissen müsste, einiger Bauernschläue bedarf, um sich Schritt für Schritt der Auflösung eines Verbrechens zu nähern.

Cotterill ist clever. Er serviert uns seine Geschichten mit einem Augenzwinkern, stattet Dr. Siri mit den Kräften eines Schamanen aus, der plötzlich Sprachen versteht, die außer den Einheimischen niemand spricht, und selbst nicht weiß, woher er seine fundamentalen Kenntnisse bezieht. Pech für die Obrigkeit, dass der Mann schon so alt ist, dass er sich leisten kann, eine eigene Meinung zu vertreten und Vorkommnissen auf den Grund zu gehen, die mancher Parteibonze lieber unter den Tisch kehren würde.

The Marx Brothers

Ein einzelner Held macht keine gute Geschichte aus. Das Trio besteht aus dem unter dem Down-Syndrom leidenden Mr. Geung und der vorlauten Krankenschwester Dtui. Mit ihnen zusammen leitet Dr. Siri ein Nest der Subversiven, des Zynismus, eine Enklave im Zentrum der Macht, die einer Wirklichkeit entgegentritt, die Tag für Tag neue Maximen des Überlebens erfordert. Immergin droht jedem das Umerziehungslager.

Cotterills Geschichte ist bizarr. Es treiben sich darin ein Bär, eine Truhe voller Aggressionen und ein König herum. Die wahre Stärke des Autors jedoch beweist sich in der Leichtigkeit, mit der Biographien entwirft. Selbst dem größten Schicksalsschlag wie Dtuis Verlust ihrer Familie gewinnt Cotterill Bilder wie die elffache Liebe einer Mutter zu ihrem einzigen überlebenden Kind ab. Dialoge fliegen hin und her, enden zumeist in einer Pointe, dienen nicht als Zeilenfüller.

In Trance

Grandios ist die Zusammenkunft der Schamanen, die sich versammeln müssen, um dem hehren Ziel zu dienen, ein Problem der Machthaber zu lösen. Wenn den Geistern ein Ultimatum gestellt wird, muss das Konfusion auslösen. Hier zeigen sich die komischen Züge einer Gesellschaft auf der Suche nach einer Vergangenheit, nach rituellen Wurzeln, die auf keinem Parteitag in den Statuten Aufnahme finden. Regime wechseln, aber zuweilen vergessen sie, wen sie da regieren. Und so tanzt Tik für den guten Zweck vor den Schamanen, variiert den Rhythmus so mitreißend, dass sich plötzlich eine Polonaise durch den Raum bewegt. Die Genossen Geister jedoch haben besseres vor an diesem Nachmittag.

Cotterills Dr. Siri macht Mut. Alles ist nicht so schlimm, als dass man nicht darüber schmunzeln darf. Für jemanden der sich beim Überleben nicht erwischen lässt, gibt es immer ein Schlupfloch. Cotterill ist mit seinem Dr. Siri etwas gelungen, was sich viele Autoren wünschen: einen Menschen zu erfinden, den es vorher so nicht gab. Die fein gesponnen Morde geraten dabei fast ins Hintertreffen.

Dr. Siri sieht Gespenster

Colin Cotterill, Manhattan

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