Falsche Opfer

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2004
  • 17
  • Malmö: Bra böcker, 2000, Titel: 'Upp till toppen av berget', Originalsprache
  • München, Zürich: Piper, 2004, Seiten: 389, Übersetzt: Wolfgang Butt
  • München; Zürich: Piper, 2007, Seiten: 387
  • München; Zürich: Piper, 2005, Seiten: 387
Falsche Opfer
Falsche Opfer
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Wolfgang Reuter
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2003

Nach einem Drittel schreibt sich Dahl frei, wird endlich locker

Das Buch ist der bislang dritte auf Deutsch übersetzte Band der Serie über das sog. A-Team, eine Sondereinheit der Polizei für Spezialaufträge in Schweden. Eine kleinen Gruppe von Spezialisten für Verbrechensbekämpfung.

Nach Misterioso, wo es um einen Serienmord innerhalb höchster Wirtschaftskreise geht, kommt es am Ende von Böses Blut zur Auflösung des Teams. In Falsche Opfer begegnen wir zunächst den einzelnen Mitgliedern in verschiedenen neuen polizeilichen Funktionen: Paul Hjelm und Kerstin Holm sind nach ihrer Versetzung zur Abteilung für Gewaltverbrechen mit einem Totschlag innerhalb rivalisierender Fußballfans konfrontiert und entdecken äußerst merkwürdige Begleitumstände der Tat. Gunnar Nyberg ist beim Reichskriminalamt in der Abteilung für Pädophilie gelandet, seine Kollegin Sara Svenhagen ist kurz davor, ein Pädophilennetzwerk im Internet hochgehen zu lassen.

Explosion in der Strafanstalt

Viggo Norlander und Arto Söderstedt arbeiten bei der Provinzialpolizei und untersuchen den Fall einer Explosion in der Strafanstalt Kumla, bei der ein Häftling ermordet wurde. Es war Lordan Vukotic, die rechte Hand des berüchtigten Drogenhändlers Rajko Nedic. Jorge Chavez bildet sich aus Karrieregründen an der Polizeihochschule weiter. Jan-Olov Hultin, der Chef, ist in Pension.

Da ereignet sich ein Massaker in einem Industriegebiet am Hafen. Man findet mehrere Tote, erschossen oder in die Luft gesprengt. Es sind offensichtlich Angehörige verschiedener Banden, schwedische paramilitärische Rechtsextremisten einerseits und Kriegsverbrecher aus Jugoslawien andererseits. Ein geheimnisvoller Koffer ist verschwunden. Was war sein Inhalt? Wer hat ihn? Ein ungewöhnlicher Sprengstoff wurde verwendet, derselbe wie bei der Explosion in Kumla. Bestehen Verbindungen zu Rajko Nedic? Steht ein Terroranschlag bevor? Grund genug, das A-Team zu reaktivieren und Hultin aus seiner Pension zurückzuholen...

"Ich mache Kunst" (Herbert v. Karajan)

Arne Dahl, Pseudonym für den Schweden Jan Arnald, ist ein Perfektionist, der höchste Ansprüche an sich als Autor stellt. In Misterioso schießt er damit zunächst eindeutig übers Ziel. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles ist bis ins Kleinste konstruiert. Es gibt keine Spontaneität, kein Leben, alles wirkt steril. Im Handlungsablauf aber ist der Zufall und das intuitive Handeln der Protagonisten ein oft plumpes, vordergründiges Faktum. Das A-Team wirkt manchmal etwas unbeholfen.

Nach der Lektüre des Interviews von Arne Dahl mit dem Literaturportal schwedenkrimi.de stellte ich mir Arne Dahl in seiner kreativen Phase folgendermaßen vor: Eine kleine Schreibstube in den Schären vor Stockholm, im Hintergrund leise Musik von Keith Jarrett.

Gruppenfoto Dahl-Sjöwall-Wahlöö

An der Wand eine große Tafel mit unzähligen Zeitungsausschnitten aktueller weltpolitischer Ereignisse, eine Highscoreliste der "zwanzig größten Verbrechen der letzten Jahre", eine Rankingliste der "hundert stärksten Betroffenheiten des durchschnittlichen Mitteleuropäers", sowie ein computergraphisch hergestelltes Gruppenfoto Dahl-Sjöwall-Wahlöö .

Auf dem großen Schreibtisch liegt ein Reißbrett mit einem überdimensionalen Flussdiagramm, welches den Titel "Mein nächster Roman" trägt. Auf mehreren Beistelltischen türmen sich politische, historische, philosophische und gerichtsmedizinische Bücher sowie manches aus der Werkstatt von Johannes Mario Simmel. Natürlich sämtliche skandinavische Kriminalromane und etwas vom Rest der Welt. Zwischen all dem bewegt sich Arne Dahl gemessenen Schrittes mit dem Gesichtsausdruck des Dr. Faust in der Inszenierung von Gustav Gründgens.

Fast wieder im alten Trott

In Falsche Opfer beginnt Arne Dahl fast wieder im alten Trott. Ich habe mich gefragt, was eigentlich das Individuelle an Arne Dahl ist? Alles wirkt wie eine Collage aus gelungenen literarischen Versatzstücken unterschiedlicher Autoren. Freilich sehr spannend und abwechslungsreich, aber ein Kunstprodukt. Dahl zeigt oftmals wirklich erstaunliche sprachliche Fähigkeiten, psychologisches Einfühlungsvermögen und Phantasie. Aber jedes Mal nach einem gelungenen Abschnitt bricht der Perfektionist durch und muss noch irgendwelche rhetorische Sahnehäubchen anbringen, die vieles einfach in die Banalität abgleiten lassen.

Jede Landschaftsbeschreibung, jede psychologische Analyse, jede zwischenmenschliche Szene, jeder Dialog muss absolut ausgefeilt sein und zu ständiger Bewunderung Anlass geben. Man nehme nur das Wort "Metamorphosen", welches eine geheimnisvolle Bedeutung im Handlungsablauf haben soll und leitmotivartig das ganze Buch durchzieht, was Dahl wahrscheinlich für ein gelungenes schriftstellerisches Detail hält, in Wirklichkeit aber derartig plump und aufgesetzt wirkt, dass es schon fast peinlich ist.

Ein sperriges, inhomogenes Gebilde

Dazu immer wieder die unsägliche "Sozialkritik", "Gesellschaftskritik" oder was sonst noch. Ein Dauerfeuer schriftstellerischer Brillanz. Dadurch entsteht aber ein sperriges, inhomogenes Gebilde, das einen unbefriedigt zurücklässt.

Aber nach etwa einem Drittel des Buches geschah dann etwas, das ich eigentlich schon nicht mehr erwartet hätte: Arne Dahl wird endlich locker, unverkrampft und beginnt zu erzählen. Er lässt den ganzen überheblichen Popanz beiseite und schreibt sich frei. Alles wird dadurch lebendiger, glaubwürdiger, auch wenn Zufall und Intuition wieder wesentlichen Anteil am Geschehen haben, plötzlich zieht einen das Buch in seinen Bann und es ist ein ausgezeichneter Thriller daraus geworden. Auf einmal hat alles seinen richtigen Platz, wunderbare Stimmungsbilder Stockholms gelingen ebenso wie die plastische Charakterisierung der Protagonisten und ihr Verhältnis zueinander. Aus Figuren werden Menschen. Quasi aus dem Handgelenk schüttelt er eine sehr spannende, komplexe, aber genau durchdachte Handlung.

Arne Dahl könnte einer der Großen werden

Ich hoffe, dass er so weiterschreibt, dann könnte er tatsächlich einer der Großen in der skandinavischen Kriminalliteratur werden. Er darf nur nicht zuviel auf einmal wollen. Der freie Fall vom Himmel endet nämlich nicht für alle selbsternannten Meister auf einem Matratzenlager.

Falsche Opfer

Arne Dahl, Piper

Falsche Opfer

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