Das achte Gebot

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2001
  • 16
  • Oslo: Cappelen, 1999, Titel: 'Død joker', Seiten: 473, Originalsprache
  • München; Zürich: Piper, 2001, Seiten: 443, Übersetzt: Gabriele Haefs
  • München; Zürich: Piper, 2002, Seiten: 443
  • München; Zürich: Piper, 2003, Seiten: 443
  • München; Zürich: Piper, 2004, Seiten: 448
Das achte Gebot
Das achte Gebot
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Wolfgang Weninger
58°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2003

Ein 'Frauenroman' mit polizeilichem Hintergrund

Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten. So lautet in der christlichen Religion das achte Gebot. Und auch Anne Holts neuer Roman "Das achte Gebot" dreht sich rund um dieses Thema. Vorschußlorbeer gab es in den Medien schon genug und auf dem Taschenbuch, das im Piper Verlag erschienen ist, klebt ein Werbesticker "Bestseller". Aber ist das nur Verkaufstaktik oder hält der Krimi seinen Spitzenplatz in den Belletristikcharts zurecht? Stürzen wir uns zuerst auf eine kleine Inhaltsangabe.

Tatort Oslo.

Stale Salvesen, ein ehemals erfolgreicher Geschäftsmann ist auf den Hund gekommen und sieht keine andere Lösung, als sich mit einem Sprung von einer Brücke in den Fjord das Leben zu nehmen. Da hätten wir Leiche Nummer Eins, aber die versinkt in den Fluten und taucht die nächsten 326 Seiten nicht mehr auf.

Leiche Nummer Zwo ist die hübsche Frau des Oberstaatsanwalts Sigurd Halvorsrud. Sie liegt auf dem Fußboden im Wohnzimmer, aber leider ohne Kopf. Und ihr verstörter Ehemann hockt mit blutigen Händen daneben und guckt das Samuraischwert an, welches das liebend Weib enthauptet hat und zu allem Unglück auch die Fingerabdrücke des Herrn Staatsanwalts birgt. Aber als Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen ermittelt, beteuert Herr Halvorsrud, dass es jener Typ die Waffe benützt hat, der einige Zeilen weiter oben schon ins kalte Nass gehüpft ist. Ziemlich unglaublich ist das Ganze und da auch noch die Computerdaten auf dem PC der Ermordeten gelöscht wurden und im Keller eine ansehnliche Summe Bares und ein paar belastende Disketten versteckt sind, muss der fast offensichtliche Täter in Untersuchungshaft genommen werden.

Frau Wilhelmsen hängt sich in den Fall voll hinein und kümmert sich so gar nicht um ihre Lebensgefährtin, bei der die Ärzte einen riesigen Tumor im Abdomen prognostizieren und deren Lebenserwartung folglich kürzer ist als 444 Romanseiten. Aber die todkranke Cecilia schafft es doch, der ständig kaputten Frau Hauptkommissarin die Wahrheit ins Gesicht zu sagen und damit kommt diese erst recht ins Dilemma. Der Zoff bei den Ermittlungen, die so gar nicht voranschreiten wollen und ständig neue, aber falsche Spuren erbringen und gleichzeitig die Angst um die Geliebte, das beutelt die arme Hanne ganz schön durcheinander.

Kein Wunder, dass sie für ihre Kollegen und Freunde zu einem satten Alptraum wird. Einerseits sucht sie nach einem Strohhalm, um endlich Licht ins kriminalistische Dunkel zu bringen, in dem es von Anschuldigungen zur Wirtschaftskriminalität und Pädophilie nur so wimmelt, weil auch noch ein pädophiler Wirtschaftsjournalist seinen Kopf im wahrsten Sinne des Wortes verliert, und das ausgerechnet im Keller des doch schon so lange in den Fjord gesprungenen Salvesen. Andrerseits fehlen der armen Frau menschliche Zuneigung und Wärme, die sie sich sowohl bei ihren (männlichen) Kollegen holt, als auch in den letzten Streicheleinheiten mit ihrer Freundin.

Dass der Zufall genau in dem Moment die Lösung des Falles bringt, als die Liebste über den Jordan geht, verrate ich aber nicht.

Wer jetzt neugierig geworden ist und sich das Buch kaufen will, der sollte mein Resümee dazu besser nicht beachten. Für mich ist dieses Buch nämlich bei Weitem nicht der große Kriminalroman, für den ihn die Medien hochstilisieren.

Mindestens siebzig Prozent des Buches beschäftigen sich nicht mit dem Mord und seiner Aufklärung, sondern mit den privaten Problemen der Ermittler. Wenn ich psych(ot)ische Lebensbilder lesen will, greife ich zu einer anderen Gattung Literatur, sei dies Heimat- oder Arztroman, aber sicher nicht zu einem Krimi. Für einen Psychothriller fehlt in allen Bereichen die Spannung und für einen Detektivroman ist zwar eine verworrene und irreführende Grundstruktur mit überraschendem Ausgang gegeben, aber irgendwie spielt sich der Fall so nebenbei ab und lebt nicht von kriminalistischer Brillanz, sondern von Zufällen.

Frau Holts Schreibstil ist zwar gewohnt leicht zu lesen, aber an die Qualitäten einer Patricia Highsmith reicht sie von der Ideenumsetzung her leider noch lange nicht. Auch sind ihre Charaktere so deprimierend beschrieben, dass eine positive Identifikation mit den Figuren nie erfolgen kann. Vielleicht liegt es ja an den langen nordischen Wintern, dass die Hauptpersonen in skandinavischen Krimis, seien sie von Holt, Mankell, Småge oder Edwardson, ständig in Müdigkeit, Depression und Selbstzweifel verfallen. Aber dabei darf man nicht das Grundthema übersehen und das liegt nun mal im kriminalistischen Milieu.

Für mich ist dieses Buch guter Durchschnitt, wobei das "gut" sich hauptsächlich durch die klare und variantenreiche Sprache ergibt, die Gabriele Haefs vom Norwegischen ins Deutsche transponiert hat. Wer Krimis mit geschliffenen Handlungsideen und kommissarischem Gehirnschmalz bevorzugt, der kann von diesem Buch getrost die Finger lassen. Wer "Frauenromane" mit polizeilichem Hintergrund liebt, kann bei diesem Buch einfach nichts falsch machen und genau für diejenigen würde ich eine Topempfehlung aussprechen.

Das achte Gebot

Anne Holt, Piper

Das achte Gebot

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