Mexikoring

  • Suhrkamp
  • Erschienen: September 2018
  • 7
  • Berlin: Suhrkamp, 2019, Seiten: 280, Originalsprache
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Thomas Gisbertz
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2018

Kriminalroman mit ausdrucksstarker Sprache

Die kriminellen Machenschaften der Mhallamiye-Clans gehen weit über die Grenzen Bremens hinaus. Einst Flüchtlinge aus der Türkei oder dem Libanon sind die einzelnen Familien längst untereinander zerstritten, teilweise sogar verfeindet. Dabei geht es meist um Nichtigkeiten, aber auch die Neuaufteilung des Drogengeschäfts lässt die einzelnen Clans aufeinander losgehen. Der Familie des Verstorbenen scheint dessen Tod gleichgültig zu sein. Mit Hilfe der Bremer Kollegen sucht das Ermittlerteam verzweifelt nach Anhaltspunkten.

Gleichzeitig geht es in Rückblicken aber auch um Nouri und Aliza, die beide, weil sie aus verfeindeten Clanfamilien stammen, nicht zueinander kommen dürfen und es dennoch versuchen. Es ist die Geschichte einer Liebe, die das Unmögliche wahr machen möchte, aber letztendlich tragisch scheitert. Kurz bevor sie gemeinsam nach Mexiko fliehen können, begeht Nouri einen Fehler, der tödlich endet und mit dem der Leser sicherlich nicht gerechtet hat.

Ermittlerteam mit eigenem Charme

Chastity Riley ist sicherlich die zentrale Figur des Romans. Dabei tritt sie oftmals eher unfraulich auf: Sie trinkt gerne einen über den Durst, raucht und spricht oft, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Dennoch bleibt sie in ihrem Denken sehr feinfühlig. So versteht sie es zum Beispiel überhaupt nicht, warum besonders die Mutter nicht um ihren toten Sohn Nouri trauert.

Sie ergänzt sich sehr gut mit Ivo Stepanovic, der ihr als neuer Partner seit dem letzten Band der Reihe, »Beton Rouge«, zur Seite steht. Er sieht jedoch in Chastity mehr als nur eine Kollegin und zeigt ihr das auch ganz offen. Riley ist ganz hin- und hergerissen, spätestens als Inceman, ihr ehemaliger Kollege und Geliebter wieder nach Hamburg kommt. Sofort flammt ihre alte Liebe wieder auf. Die jungen Kollegen Lindner und Rocktäschel sorgen innerhalb des Teams für frisches Blut und tun dem Roman ebenfalls gut.

Achter Fall der Chastity-Riley-Reihe

Vor zehn Jahren veröffentlichte Simone Buchholz mit »Revolverherz« ihren ersten Kriminalroman um die in Hamburg ermittelnde Staatsanwältin Chastity Riley. Die gebürtige Hanauerin hat in den letzten Jahren zahlreiche Auszeichnungen für diese Reihe erhalten, u.a. im letzten Jahr den Stuttgarter Krimipreis. Die Autorin setzt mit ihrer Art zu schreiben sicherlich besondere Maßstäbe.

Ausdrucksstarker Kriminalroman

Buchholz’ Schreibspiel ist unverwechselbar und sucht in der deutschen Krimiliteratur aktuell seinesgleichen: oftmals melancholisch und wehmütig in einer poetischen Sprache, die einen fast schon vergessen lässt, dass man einen Kriminalroman liest. Aber genau diese Diskrepanz zwischen der einfühlsamen, lyrischen Ausdrucksweise und den leider allzu realistischen, traurigen Fällen, die das Ermittlerteam zu bearbeiten hat, macht den besonderen Reiz der Romane aus. Die Autorin schafft es, Betonwüsten und heruntergekommene Wohnviertel zu romantisieren, in deren Mitte sich menschliche Abgründe auftun.

Erinnerungen an Jakob Arjouni

Die Handlung wird immer wieder zur Randnotiz, wenn man den wortgewaltigen Bildern Buchholz’ folgt. Aber schon im nächsten Augenblick bricht die betont lässige, ungeschliffene Art eines Ivo Stepanovic, aber auch von Chastity Riley dieses Bild wieder auf und man ist wieder mitten im Fall. Vielleicht ist es auch genau diese Verklärung der Welt, die Buchholz’ Figuren benötigen, um mit der brutalen, grausamen Realität klarzukommen.

Die Figuren und der Schreibstil erinnern an die Fälle des in Frankfurt ermittelnden Privatdetektivs Kemal Kayankaya. Buchholz schildert genauso wie der leider viel zu früh verstorbene Arjouni die Umwelt ihrer Figuren sehr genau und beschreibt sie oftmals in einer fast schon sehnsüchtigen, dann aber auch wieder trübsinnigen Stimmung.

Eine Autorin als Seismograf der Zeit

Immer wieder moralisiert Buchholz dabei ohne zu moralisch zu werden. Sie wirft den Lesern in einer Zeit, in der es mehr als nötig ist, Anker zu, die Halt geben sollen und als Orientierung dienen. So sollten sich die Menschen zum Beispiel nicht über den Lärm der Hubschrauber beschweren, die jede Nacht Hamburg nach Brandherden absuchen, da erneut Autos angezündet wurden: »Sie sollten sich über das aufregen, was Menschen dazu bringt, Sachen anzuzünden. Die Wut, den Zorn, die Dummheit. Wir halten uns die Ohren zu, als könnten wir unsere Gehirne dann gleich mit zuhalten.« Buchholz hat ein feines Gespür für aktuelle gesellschaftliche und soziale Entwicklungen, was sich auch in ihrem aktuellen Roman wieder zeigt.

Shakespeare’sche Romantik

Es passt zum Schreibstil Buchholz', dass die Romanze zwischen Nouri und Aliza das zentrale Element des Romans darstellt. Beide stammen aus unterschiedlichen, sogar verfeindeten Clans. Die junge Frau ist auf der Flucht vor ihrer Familie, vor deren Gewalt und deren Selbstverständnis, die Mädchen gegen ein Brautgeld zwangszuverheiraten. Aliza hat ihre Schwestern leiden sehen und will diesem Schicksal entkommen.

Nouri studiert in Hamburg, wird aber nach dem vermeintlichen Mord an einem jüngeren Bruder von seinem Vater nach Hause beordert, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Nouri weigert sich aber und will mit den Verbrechen seiner Familienangehörigen nichts zu tun haben.

Er wendet sich von seiner Familie ab und macht sich auf die Suche nach seiner Liebe Aliza, mit der er seit längerem keinen Kontakt mehr hat. Als er sie findet, scheint sich alles zum Guten zu wenden, aber leider wird Nouris Gerechtigkeitssinn ihnen zum Verhängnis.

Kriminalroman ohne unnötige Gewaltdarstellungen

Wer eher gewalttätige, brutale Krimis und Thriller mag, ist bei Simone Buchholz an der falschen Adresse. Leider fehlt es dem Roman auch etwas an Spannung und Tempo. Aber dennoch ist ihr aktueller Roman keineswegs gehaltlos oder gar langweilig. Zwangsheirat, Ehrenmord oder auch Gewalt gegen Frauen sind Themen, denen es leider nicht an Aktualität mangelt.

Aber Buchholz’ Romane sind mehr als Krimis. Sie sind poetisch ohne zu verklären, gesellschaftskritisch ohne zu politisieren und unterhaltsam ohne zu banal zu werden. Es sind die leisen Zwischentöne gepaart mit dem ausgefallenen Ermittlerteam, die den Roman auszeichnen und ihn so lesenswert machen.

Mexikoring

Simone Buchholz, Suhrkamp

Mexikoring

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