Thomas Raab

Titelfinden ist wie Trüffelsuchen

11.2009 Ohne ein entsprechendes Schwein oder Hündchen zu sein. Der Österreicher Thomas Raab über seinen Roman Der Metzger geht fremd, Leichtes und Schocker sowie sein Dasein als Musiker.

Krimi-Couch: Mit Der Metzger geht fremd ist gerade der dritte Band mit dem gemütlichen und kultivierten Restaurator Willibald Adrian Metzger erschienen. Erstmals bei Piper (d.h. die Taschenbuchausgabe von Der Metzger sieht rot erschien fast zeitgleich eben dort.). Wie kam es zu dem Verlagswechsel? Leykam dürfte doch froh gewesen sein, einen Autor in seinen Reihen zu haben, der – von übellaunigen Kritikern abgesehen – hoch gelobt wird und sich gut verkauft?

Thomas Raab: Das ist das Los der mittelständischen österreichischen Verlage. Da wird ein Autor aufgebaut, und kaum steht er in der Bestsellerliste, interessieren sich auch die Großen. Und weil einem Autor im (zu) kleinen österreichischen Markt in überlebenstechnischer Hinsicht das Vater Unser sehr schnell geläufig wird: »Gib uns unser täglich Brot!«, und weil es natürlich eine ausgesprochene Ehre, wenn nicht sogar ein Wunder ist, wenn plötzlich renommierte deutsche Verlage anklopfen, und weil ich dermaßen Freude am Schreiben habe und wirklich gern davon leben können würde – ist das Unmögliche möglich geworden. Mann bin ich froh darüber. Abgesehen davon war das zwischen Piper und mir Liebe auf den ersten Blick.

Krimi-Couch: Für einen friedliebenden Restaurator wird der Metzger sehr häufig mit Verbrechen konfrontiert. Dabei ist er eigentlich nicht mal ein klassischer Hobbydetektiv. Wie würden sie ihn bezeichnen?

Thomas Raab: Als Menschen wie du und ich. Und Verbrechen finden um uns herum ständig statt, das fängt bei den Benzinpreisen an und hört bei den Kinderbetreuungsplätzen auf. Der Metzger schaut halt nicht immer nur weg und das bringt ihn in diverse Schwierigkeiten. Abgesehen davon: Was ist interessanter als der Frage nachzugehen: »Was bitte treibt denn der Nachbar da drüben?«

Was bedeuten könnte: In jedem steckt ein Ermittler.

Krimi-Couch: Es scheint fast so, als kämen Ermittlungen fast unweigerlich zum zaudernden Metzger, statt umgekehrt. Gerne bedingt durch seine umtriebige Freundin, die »beste Frau der Welt für Willibald«, Danjela Djurkovic. Die eigentlich die Kriminalhandlung vehementer voran treibt als der zurückhaltende Metzger. Gebührt ihr dadurch nicht ein Plätzchen auf dem Titel?

Thomas Raab: Gute Frage. Aber glauben Sie mir, Titelfinden ist sowieso wie Trüffelsuchen – ohne ein entsprechendes Schwein oder Hündchen zu sein. Da wird in den Untiefen der Phantasie herumgewühlt, wird viel Dreck aufgewirbelt, bei mir sind das oft an die 50 Vorschläge, dann wird aussortiert, hin- und hergemailt, abgestimmt, dann das Buch gedruckt und dann denkt man sich: Hätt ich mir doch noch 50 andere zusätzlich einfallen lassen. Aber das mit der Djurkovic an frontaler Stelle wär mir noch nicht eingefallen. Die Frage ist nur: Wird’s jetzt leichter?

Krimi-Couch: In ihrem aktuellen Roman wechseln sie des öfteren die Erzählperspektive. Ein paar Dialogpassagen gehören den Schwarzspitzenriffhaien Anton und Ernst. Wie kamen sie auf diese, nennen wir es mal, sehr eigenwillige Idee?

Thomas Raab: Ich schreibe zu Beginn völlig ohne Plan, ohne Vorsätze, stürz’ mich ins Vergnügen und lass mich überraschen. Erst im Lauf des Buches beginne ich die Teile zusammenzusetzen. Teile, von denen ich vorher nichts wusste. Ja, und dann ist da eben plötzlich aus dem Mund der Danjela diese Frage am Papier gestanden, »Was denkt so ein Fischerl?« – da war’s um mich geschehen. Außerdem ist das ja so in einem Krimi: Es dürfen keine Fragen unbeantwortet bleiben …

Krimi-Couch: Bestand nicht die Gefahr, dass diese Kapitel zu albern geraten könnten?

Thomas Raab: Sicher. Denn grundsätzlich schreibe ich, um mich selbst zu unterhalten und ich kann da wirklich ganz schön blöd werden, das muss ich zugeben. Aber zum Glück hab ich in Thomas Tebbe einen fantastischen, mich durchaus fordernden Lektor gefunden, und zweitens denk ich: Was das Schreiben angeht, gibt es ein ŽGeht nicht’ sowieso nicht – mit dem Rest müssen sich die Kritiker herumschlagen. Leicht habt ihr’s also nicht!

Krimi-Couch: Haie sind nicht gerade typische Aquariumsbewohner, ihre Haltung in Gefangenschaft ist aus verschiedenen Gründen nicht ganz unproblematisch. Anton macht seinem Freiheitsdrang ja auch vehement Luft. Gibt es reale Vorbilder für die beiden?

Thomas Raab: So absurd kann der Mensch gar nicht denken, dass es dieses Absurde aus seiner eigenen Hand gar nicht gäbe. Was bedeutet: Ja, die Fischerl gibt es. Im Zoo, im Haus des Meeres, in einem großen Hotel in Österreich, vielleicht sogar mitten in einem Wohnzimmer einer Bonzenvilla. Das hat mich natürlich stutzig gemacht, mir offenbar nachhaltig zugesetzt und die Frage stellen lassen: Wozu um Gottes, oder wessen Willen auch immer, gibt es das? Wer braucht wofür solche Fische hinter Panzerglas? Derartige Gedanken führen dann zu Kopfschmerzen und folglich zu tierischen Dialogen.

Krimi-Couch: Die Familiengeschichte der Hirzingers und sämtliche dramatischen Verwicklungen darum herum, sind eigentlich ganz düstere Kapitel. Ohne die Konsequenzen zu unterschlagen, mildern sie diese Episoden durch des Metzgers Augen gesehen mit milder Ironie ab, und schaffen mit der Familie Kaiser ein fast märchenhaftes Pendant zu der soghaften Schwärze, die vom Hirzinger-Hof ausgeht. Läge es bei ihrer Themenwahl nicht nahe, die ironische Distanz zu verringern und sich ganz dem »Noir« hinzugeben, ohne Schnörkel, direkt ins Herz der Finsternis?

Thomas Raab: Das bin ich nicht, das würde ich beim Metzger-Schreiben auch nicht ertragen: So lange ins Dunkel abzutauchen, bis Erstickungsgefahr droht. Dazu reicht bei mir die Puste nicht und dazu finde ich den Metzger auch nicht geeignet. Das erfüllen andere Bücher. Mal einen echten Schocker zu schreiben, wäre sicher interessant. Was den Metzger betrifft, seh’ ich das so: Es entspricht doch mehr der Realität, dass, während in einem Bauernhof hinter verschlossenen Türen das Grauen stattfindet, im Nachbargehöft am Wohnzimmertisch Uno, Solo oder Mau Mau gespielt wird. Dieses Nebeneinander will ich einfangen, so was reizt mich. Das Lachen und das Weinen, Tür an Tür.

Krimi-Couch: Um zu etwas Leichterem zurück zu kehren – inwieweit geht der Metzger fremd?

Thomas Raab: Er muss in die Fremde zu seiner Danjela, das ist für ihn durchaus ein Schritt, der einem Seitensprung gleichkommt. Er lässt sich auf ein fremdes Geschlecht ein, nämlich die Hirzingerbagage und findet da fast Familienanschluss zu einer ihm fremden Sippschaft, und er betrügt mit entflammtem Herzen seine Danjela mit einer Tischgruppe. Da kommt also schon einiges an Fremdgehen zusammen.

Krimi-Couch: Kommissar Pospischill spielt nur eine kleine Rolle am Ende des Buches. Auf die Entfremdung der beiden Freunde Metzger und Pospischill wird nur in Nebensätzen eingegangen. Passte es nicht in die laufende Geschichte(n) und wird der Kommissar in der Zukunft wieder mehr Raum einnehmen (schwer genug neben Willibald Adrian und Danjela)?

Thomas Raab: Genau, da war kein Platz. Als Wiedergutmachung wird Eduard Pospischill im vierten Band von seiner Frau, der Trixi, vor die Tür gesetzt und zieht beim Metzger ein. Der Rest wird dann aber ganz, ganz bitter.

Krimi-Couch: Der Metzger ist ja nicht die einzige österreichische Titelfigur, die mit einem bestimmten Artikel präsentiert wird. »Der Brenner« ist auch noch da. Werden sie oft mit Wolf Haas verglichen und wenn ja, nervt sie das?

Thomas Raab: Mit Haas verglichen werden, ist – was Erfolg und Geschäftliches angeht – nicht das Schlechteste. Wolf Haas ist ja eine enorme Größe, nicht nur in Österreich, und hat für die österreichische, ja deutschsprachige Literatur Unschätzbares geleistet, ob man seinen Stil jetzt mag oder nicht. Ohne sein Werk hätte sich die Branche jedenfalls für alle jene, die ein bisserl anders schreiben, da gehöre ich auch dazu, garantiert niemals interessiert. Was die Vergleiche im Stil betreffen, weiß ich immer, wer Raab gelesen hat und wer nicht. Wer sagt, Raab und Haas hätten im geschriebenen Wort noch andere Ähnlichkeiten als vier Buchstaben und zwei »a« in der Mitte, hat jedenfalls entweder noch nie einen Haas, was eher unwahrscheinlich ist, oder noch nie einen Raab gelesen. Nerven tut so was aber wirklich nicht.

Krimi-Couch: Gibt es Ähnlichkeiten und wo liegen die gravierendsten Unterschiede?

Thomas Raab: Die einzigen Ähnlichkeiten sind meiner Meinung nach, dass der Humor eine wichtige Rolle spielt, dass Namen mit »der« oder »die« eingeleitet werden und das Hinpecken auf gewisse Themen. Aber das ist so was von typisch österreichisch wie das Schnitzel und die Mannerschnitten.

Krimi-Couch: Sie sind gerade auf Lesereise. Müssen Hallen angemietet werden, oder reicht die Buchhandlung vor Ort für einen Abend?

Thomas Raab: Das kommt mittlerweile drauf an, wo ich lese. In Deutschland reichen die Buchhandlungen, in Österreich füllen sich aber schon Stadt-, Pfarrsäle und kleine Theater, was ich gar nicht wirklich glauben kann. Die schönsten Lesungen sind aber immer noch die zwischen den Bücherregalen. Und wenn dann eine Buchhandlung zum Bersten angefüllt ist, wie eben erst in Gleisdorf bei Graz, denk ich mir oft: Wegen wem sind die alle hier? Also dem Metzger wäre das peinlich.

Krimi-Couch: Sie sind ja nicht nur Autor, sondern auch als Musiker aktiv. Trennen sie ihre Professionen, oder sind ihre Lesungen eine Mischung aus beiden Welten?

Thomas Raab: Das trenne ich mittlerweile, auch wenn ich bei Lesungen gelegentlich, wenn’s passt, den Text meiner aktuellen Single »Schweigen ist Gold« (besteht nur aus Sprichwörtern) einbinde. Sonst ist das einfach viel, viel entspannter, alleine und nur mit dem Buch unterwegs zu sein.

Krimi-Couch: Kennen sie eigentlich den anderen österreichischen Autoren namens Thomas Raab (der eine E-Mail von mir erhielt, die eigentlich an sie gerichtet war)? Und sich nie darauf meldete …

Thomas Raab: Ich kenne ihn nur so wie Sie, namentlich – ja und vom Glauser Preis. Denn bei meiner Nominierung für den Debüt-Roman gab es ziemliche Aufregung, weil jemand entdeckt hatte, dass ich Schuft ja schon jede Menge anderer Bücher zuvor geschrieben habe. In dem Fall war dieses »Ich« zwar Thomas Raab, aber eben der andere.

Krimi-Couch: Noch eine letzte Frage: Der Metzger und sein Fahrradunfall. Mut zur Lücke oder Angst vorm Zahnarzt? Wird er uns im nächsten Buch überarbeitet mit kompletter Zahnreiche entgegen lächeln?

Thomas Raab: Das hat sich so ergeben mit dem Zahn. Der Zahnarztbesuch im Metzger 3 ist dem Lektorat zum Opfer gefallen. Sonst wäre er noch dicker geworden, der Metzger, also der Krimi. Angst vorm Zahnarzt hab ich nicht, eher vor der Rechnung, denn Amalgam ist out, schädlich und zahlt die Kassa, für ein weißes Lächeln muss man in die Tasche greifen, was beweist: Was uns schadet, bekommt man geschenkt und die Kassa kann man sich schenken …

Aber natürlich wurde der Metzger zwischen Band 3 und Band 4 zahntechnisch überarbeitet.

Krimi-Couch: Zum Abschluss noch ein kleiner Katalog der assoziativen Fragen:
Lieblingsmusiker?

Thomas Raab: Hab ich keinen. Obwohl, Johann Sebastian Bach, da haben es andere wahrlich schwer.

Krimi-Couch: Lieblingsliteraten?

Thomas Raab: Tagebücher der anderen, das ist Literatur!

Krimi-Couch: Vorbilder – literarische oder welche auch immer?

Thomas Raab: Keine. Menschen die ich achte für das was sie sind, auch mir sind, sagen, dann auch tun, …gibt es aber viele.

Krimi-Couch: Lieblingsalbum/-Song?

Thomas Raab: Lieblingssong inhaltlich eindeutig: »Max Mustermann« von Blumentopf

»Lieblings-Album«: Ernst Gombrich / Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser / Von den Anfängen bis zum Mittelalter – gelesen von Christoh Walz – EIN MUSS

Krimi-Couch: Lieblingsbuch?

Thomas Raab: Nein, nein, das kann nicht nur eines sein, undenkbar.

Krimi-Couch: Fans oder Leser?

Thomas Raab: Wer sich diese Frage einmal stellen kann, ist ein Kaiser.

Wer sich diese Frage dann tatsächlich stellt, ist ebenso abgehoben.

Menschen, die Bücher lesen, das wäre fein. (müssen ja nicht unbedingt meine sein)

Krimi-Couch: Schlechte Kritiken?

Thomas Raab: Der Mensch ist frei.

Krimi-Couch: Gute Kritiken?

Thomas Raab: Der Mensch ist frei.

Krimi-Couch: Fisch oder Fleisch?

Thomas Raab: Beides extra, ja nicht gemischt

Krimi-Couch: Edgar?

Thomas Raab: wuff

Krimi-Couch: Was ist ein Schlapfensheriff?

Thomas Raab: Ein Schulwart, der voll Diensteifer kontrolliert, ob die Schüler brav ihre Hausschuhe angezogen haben.

Krimi-Couch: Ich danke fürs freundliche Interview und wünsche ihnen weiterhin viel Spaß und Erfolg; zunächst on the road, später dann insgesamt. …

Thomas Raab: Vielen Dank für die Klassefragen.

Dr. Drewnioks
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