Zoë Beck

Henrike Heiland ist Zoë Beck und Zoë Beck ist … ja wer eigentlich?

10.2011 Erkältungsgeplagt saßen wir uns auf der Buchmesse gegenüber, plauderten über Verlage und ihre Verkaufs-zahlen, den dritten Teil des »Lexikons des unnützen Wissens« und welche Halsschmerztabletten die Besten sind und so ver- schoben wir das Interview. Wieder fit erzählte uns Zoë Beck etwas zu Schottland, Alkoholismus, Beziehungen und Krisen der unter-schiedlichsten Art. Und natürlich auch, wie es um Zoë Becks Verhältnis zu Henrike Heiland steht.

Krimi-Couch: Henrike Heiland ist Zoë Beck und Zoë Beck ist … ja wer eigentlich? Wie unterscheiden sich die »beiden« Autorinnen und was haben sie gemein?

Zoë Beck: Es hat eine Weile gedauert, bis ich für mich rausgearbeitet hatte, dass da eine Stimme im Entstehen ist, um die ich mich gesondert kümmern muss. Zoë Beck spricht und schreibt anders als Heiland. Für mich hat diese Unterscheidung auch eine gewisse Freiheit, hinzu kommt, dass für Leserinnen und Leser auch klarer ist, dass sich nach 2007 etwas verändert hat. In dem Jahr war ich sehr krank, und da entstand Zoë, griechisch für Leben, mit einem sehr eigenen Kopf und einer sehr eigenen Kraft. Die Idee, dass ich das durchziehen will, hat mich mit Sicherheit so einiges besser durchstehen lassen.

Krimi-Couch: Ihr aktuelles Buch heißt Der frühe Tod und spielt in Schottland. Nicht zum ersten Mal. Warum Schottland und nicht Deutschland? Die behandelten Themen dürften doch in beiden Ländern akut und aktuell sein?

Zoë Beck: Warum Deutschland? Und wenn Deutschland, wo denn dann in Deutschland? Ich bin so oft umgezogen, ich kann mit dem klassischen Heimatbegriff im Sinne von Herkunft und Zugehörigkeit nichts anfangen. Vielleicht bin ich da zu Hause, wo gerade meine Zahnbürste ist. Ich habe in Edinburgh genauso gelebt wie in München oder Durham oder Bonn oder oder oder. Mein ganzes Leben habe ich schon einen Fuß auf den britischen Inseln, und ich fand Schottland für meine Geschichten passender als Deutschland. Die sozialen Unterschiede sind noch sehr viel deutlicher als in Deutschland, die Mentalität ist sehr anders, die Menschen haben ein anderes Bewusstsein für Tradition und Geschichte und auch für Geschichten … Viele der Charaktere, über die ich schreibe, passen für mich nicht nach Deutschland. Es wären sofort andere Geschichten.

»Viele der Charaktere, über die ich schreibe, passen für mich nicht nach Deutschland.«

Krimi-Couch: Ein Thema ist die schwierige Beziehung zwischen Männern und Frauen. Ihre »Heldin« Caitlin Anderson – so nennt sie sich jedenfalls nach der konsequenten Trennung von ihrem Mann – ist eine zwar manchmal zweifelnde, aber selbstbewusste Frau von nicht unbeträchtlicher Intelligenz. Trotzdem bleibt sie lange Zeit bei einem Partner, der sie körperlich und verbal misshandelt und unterdrückt. Obwohl sie genau weiß, dass etwas falsch läuft und auch Unterstützung von außen bekommt. Wieso fällt diese Trennung so schwer?

Zoë Beck: Sie hat streng genommen keine Unterstützung von außen. Das soziale Netz, wie man es aus Deutschland kennt, existiert in Großbritannien nicht in der Form. Caitlin hat außerdem keine Familie, abgesehen von einer pflegebedürftigen Mutter, die im Krankenhaus vor sich hinvegetiert, und sie will ihrer besten (und einzigen) Freundin nicht zumuten, dass sie sich um sie kümmert. Sie arbeitet deshalb im Geheimen an einem alternativen Lebensentwurf, und als sie soweit ist, ihn in die Tat umzusetzen, tut sie es auch. Aber das dauert eben eine Weile, und in der Zeit ist sie auf das Geld ihres Mannes angewiesen. Hinzu kommt noch, dass sie aus der niedrigsten sozialen Schicht stammt und auf keinen Fall wieder dorthin zurück will, wo sie herkommt. Und von funktionierenden Beziehungen verstand sie am Anfang ihrer Ehe nicht besonders viel, wie auch, ihre Mutter war ihr kein gutes Beispiel, und sie hat viel zu früh geheiratet. Da hielt sie sich vermutlich die ersten Jahre mit der Hoffnung über Wasser, dass sich alles noch zum Guten hin wenden würde. Wer gibt schon gerne zu, sich getäuscht zu haben.

Krimi-Couch: Kriselnde und kaputte Beziehungen lassen sich ja im kompletten Roman finden. Ob es die von Sophie Nesbitt und ihrem Mann Andrew ist, mit der die Anwältin Sophie auf ganz eigene Weise umgeht, oder die teils desolaten, fast von Beginn an chancenlosen Verhältnisse bei den Müttern und Vätern der toten Kinder. Das Modell Familie steht auf einem Prüfstand und sieht nicht sehr gut dabei aus?

» …und wenn die Familie schon nicht funktioniert hat, wie soll dann die Partnerschaft funktionieren?«

Zoë Beck: Da muss man unterscheiden zwischen dem Modell Familie und dem Modell Partnerschaft. Partnerschaften sucht man sich aus, Familien hat man. Trotzdem überträgt man Verhaltensmuster aus familiären Bindungen auf Partnerschaften, und wenn die Familie schon nicht funktioniert hat, wie soll dann die Partnerschaft funktionieren? Und wenn dann in der Partnerschaft Kinder geboren werden, gibt man wieder diese Muster weiter. Viel zu wenige schaffen es, die Muster zu durchbrechen. Die Angst vor dem Alleinsein ist besonders bei Frauen nicht selten so groß, dass sie dysfunktionale Beziehungen ertragen. Oder Männer lassen sich von ihren Frauen terrorisieren, weil Kinder da sind, zu denen sie den Kontakt nicht verlieren wollen. Kinder sind ein beliebtes Druckmittel von Frauen, sie drohen den Männern damit, ihnen den Kontakt zu den Kindern zu verweigern, und in der Realität – Gesetzeslage hin oder her – ist das sehr gut möglich. Die Kinder, die jahrelang als Waffe im Ehekrieg eingesetzt wurden, wachsen auch nicht gerade zu Menschen heran, die zu gesunden Beziehungen in der Lage sind. Und das sind dann eben Charaktere und Konstellationen, die mich interessieren.

Krimi-Couch: Und im Hintergrund warten bereits skrupellose Geschäftemacher, die eine günstige und aussagekräftige Alternative zu Tierversuchen gefunden haben. Ist das, was sich fast wie blanker Zynismus anhört, schon Realität – oder auf dem besten Weg dorthin?

Zoë Beck: Nein, es ist Realität. In Afrika sowieso, in Europa weiß ich es nicht sicher, aber es würde mich nicht wundern. Die Vertreter der Pharmaindustrie, mit denen ich gesprochen habe, behaupteten alle, dass so etwas niemals möglich sei, aber das waren eben die Vertreter der Pharmaindustrie. Die sagen auch, dass ihre Medikamente keine Nebenwirkungen haben.

Krimi-Couch: Ist eine Organisation wie »We Help«, die auf Fördergelder und Sponsoring angewiesen sind, Chance oder eher Fluch für unterprivilegierte Familien – vor allem für deren Nachwuchs?

Zoë Beck: Jede nicht korrupte Hilfsorganisation ist natürlich eine Chance. Fördergelder und Sponsoren bedeuten ja nicht Korruption. In Deutschland gibt es zum Beispiel eine Initiative, die sich um Kinder aus nichtakademischen Haushalten kümmert. https://arbeiterkind.de/ unterstützt diejenigen, die als erste in der Familie Abitur und Studium anstreben. Deren Eltern können irgendwann nicht mehr bei den Hausaufgaben helfen und haben keinen Überblick über das Studienangebot, von den finanziellen Mitteln mal ganz abgesehen. Solche Initiativen sind sehr wichtig, um zu verhindern, dass wir in eine Gesellschaftsform mit unüberwindbaren Klassengrenzen zurückfallen.

Krimi-Couch: Private Mäzene wie Cedric Darney können ja eigentlich nicht die Lösung des Problems sein?

Zoë Beck: Nein. Darney kann auch nichts tun außer Geld geben. Wenn das Geld nicht richtig verteilt wird, nutzt das gar nichts.

»Ich fand die Idee, einen eigenen Kosmos zu schaffen, eigentlich ganz schön, Sie nicht?«

Krimi-Couch: Darney, der reiche Erbe einer (Medien)dynastie taucht ja bereits in ihren vorherigen Büchern auf. Wieso ist eine Nebenfigur das Bindeglied der eigentlich eigenständig funktionierenden Bücher?

Zoë Beck: Darney taucht nicht nur in allen drei Büchern auf, und er wird auch im vierten eine große Rolle spielen. Ich hatte erst gar nicht vor, ihn da mitzuschleifen, aber irgendwie mag ich ihn zu gerne, um ihn außen vor zu lassen. In Wenn es dämmert ist er die Hauptfigur, und in dem Buch, das im nächsten Jahr erscheint, hat er wieder eine Hauptrolle. Ich fand die Idee, einen eigenen Kosmos zu schaffen, eigentlich ganz schön, Sie nicht?

Krimi-Couch: Leonard Lansink, der Wilsberg-Darsteller (nach den Vorlagen Jürgen Kehrers) hat nassforsch behauptet: "Val McDermid hat eine ernsthafte Konkurrentin bekommen." Ist da was dran, oder ist das ein typischer Werbespruch (über den man sich als Autorin aber zurecht freuen darf)?

Zoë Beck: Oh, das kann ich wohl kaum beurteilen, was da dran ist. Val McDermids Bücher mag ich sehr gerne. Vielleicht ist es die Verortung im südlichen Schottland, Fife, Nordengland, vielleicht auch, weil die Charaktere ähnlich kaputt sind, dass da von »Konkurrenz« die Rede ist. Schön wäre es schon, klar … Meisterhaft finde ich persönlich allerdings auch Highsmith und Vine/Rendell, wenn wir schon dabei sind, mit Namen um uns zu werfen.

Krimi-Couch: Noch eine Frage zum Buch: ist das mit dem Gen, das möglicherweise Alkoholismus – wie Süchte überhaupt – beeinflusst, tatsächlich Gegenstand wissenschaftlicher, genauer, medizinischer Untersuchungen und Versuchsreihen?

Zoë Beck: Ja. Alkoholismus ist zum Teil beispielsweise genetisch vererbbar, wird also nicht nur über erlerntes Verhalten oder sozialen Druck ausgelöst. Es gibt Veränderungen auf einem Gen, die das Suchtrisiko erhöhen.
Das Buch habe ich ja schon vor ein paar Jahren geschrieben, dann gab es einen sehr ähnlichen Pharmaskandal, ich musste ein paar Dinge umschreiben, lange Geschichte. Jedenfalls, man hat mal rausgefunden, dass es zum Beispiel auch für Nikotinabhängigkeit eine genetische Disposition gibt. Ca. 10% der Menschen werden nie abhängig von Zigaretten. Deshalb sucht man nach Möglichkeiten, an den Genen herumzuschrauben, um Sucht in den Griff zu bekommen. Beim Alkohol hat man ja schon Medikamente entwickelt, die bewirken sollen, dass einem schlecht davon wird, wenn man Alkohol zu sich nimmt. Man probiert sehr viele Dinge aus. Die Variante in meinem Buch ist nur eine Fiktion …

Krimi-Couch: Ist Alkoholismus, vor allem unter Jugendlichen, ein größeres Problem als in den Jahrzehnten zuvor?

Zoë Beck: In Großbritannien war es schon immer ein großes Problem. Je weiter nördlich man geht, desto schlimmer wird es. Ich glaube, an so ziemlich jeder britischen Uni gibt es in jedem Jahr alkoholbedingte Todesfälle, besonders bei den Studierenden im ersten Jahr. Man liest auch immer wieder von Neunjährigen, die mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus kommen, das war schon so, als ich noch zur Schule ging. Zu Schulzeiten wurde in England auch deutlich mehr getrunken als bei gleichaltrigen Deutschen. Und da zog es sich auch durch alle Schichten, während ich bei den Deutschen eher den Eindruck hatte, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien früher mit dem Trinken anfangen. Aber das kann auch meine Wahrnehmung gewesen sein.

»Schreiben ist Handwerk, und ein guter Handwerker lernt nie aus.«

Krimi-Couch: Sie sind nicht nur Krimi-Autorin, sondern schreiben auch Kolumnen und Kritiken. Wie bekommen sie das unter einen Hut – und wie kommen ihre besprochenen KollegInnen damit klar?

Zoë Beck: Ich bespreche keine deutschsprachigen Kolleg(inn)en. Und ich sehe mich auch nicht als Krimiautorin. Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt Krimis oder Thriller oder wasweißich sind, die ich da schreibe. Ich erzähle Geschichten. Ich schreibe auch andere Sachen, die definitiv keine Krimielemente haben. Ich übersetze. Ich arbeite als Redakteurin. Ich mache Synchronarbeiten. Das bringt einen Perspektivwechsel, der mir hilft, immer weiter an mir zu arbeiten. Schreiben ist Handwerk, und ein guter Handwerker lernt nie aus. Die Einstellung habe ich vom Klavierspielen, da geht ohne tägliches Üben und eine intensive Beschäftigung mit der Theorie und dem Instrument auch nichts. Außerdem muss man auch rechts und links schauen, nicht nur die eigene Suppe kochen. Wenn ich zum Beispiel nur klassische Musik spiele und höre (mit klassisch meine ich die Epoche), entgeht mir nicht nur eine ganze Menge, ich verstehe auch nicht, wie klassische Musik entstanden ist bzw. was aus ihr entsteht. Mir würde Inspiration fehlen. Deshalb bin ich sehr froh, auch für unterschiedliche Medien in unterschiedlichen Funktionen immer wieder arbeiten zu können.

Krimi-Couch: Außerdem sind sie ja des Öfteren auf Lesungen anzutreffen. Gibt es feste Termine in nächster Zeit?

Zoë Beck: Die Herbstlesungen sind nun fast alle durch, im Frühjahr stehen wieder Termine an, die sind zum Teil aber noch nicht ganz spruchreif.

Krimi-Couch: Zum Abschluss empfehle ich gerne – nicht nur – ihr aktuelles Buch Der frühe Tod, das zwar für sich selbst spricht, aber auch froh sein kann, eine eloquente Autorin zu besitzen.

Zoë Beck: Vielen Dank für’s freundliche Interview!

Krimi-Couch: Dem kann ich mich nur anschließen!

Das Interview führte Jochen König im Oktober 2011.

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

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