Das zerbrochene Fenster

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 2012
  • 8
  • Köln: Bastei Lübbe, 2012, Seiten: 400, Originalsprache
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Andreas Kurth
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2012

Liebe, Hiebe und tiefe Verzweiflung

Im Winter 2010 wird Lillian Darney in ihrem Landhaus erschlagen. Zuvor hatte sie noch bei ihrem Stiefsohn Cedric angerufen und ein einziges Wort gesagt: Sean. Das ist der Name des vor sieben Jahren verschwundenen Freundes von Philippa Murray, den sei seither sucht. Kurz nach dem Mord an Lillian meldet sich Pippa Murray bei der Polizei, und behauptet, ihr verschollener Freund habe die Frau ermordet – nur um daraufhin selbst zu verschwinden. In den Tagebuch-Eintragungen von Philippa, die nach dem Verschwinden von Sean im Dezember 2003 beginnen, wird ihre Sicht der Dinge bis in die jüngere Vergangenheit geschildert. Parallel dazu fahndet Cedric im Jahr 2010 mit Hilfe seines Mitarbeiters und Freundes Ben Edwards nach dem Mörder seiner Stiefmutter, und kümmert sich um die adäquate Unterbringung seines behinderte Halbbruders, des eineinhalbjährigen William. Denn auch ihr gemeinsamer Vater ist vor einiger Zeit ermordet worden. Das Rätsel scheint unlösbar, auch die Familie von Pippa Murray kann Cedric kaum helfen. Bis es dann doch eine überraschende Spur gibt und ein dramatisches Finale – mit weiteren Überraschungen.

Mit Das zerbrochene Fenster hat Henrike Heiland – alias Zoe Beck - erneut einen fesselnden Kriminalroman der leisen Töne vorgelegt. Die Handlung wird dabei von ihren Hauptfiguren Philippa Murray und Cedric Darney dominiert, aber auch Pippas Schwester Dana und Cedrics Freund Ben Edwards spielen wichtige Rolle, Daneben gibt es weitere Figuren, vor allem aus den Familien der Protagonisten, die auch von Bedeutung für den Fortgang der Handlung sind.

Pippa Murray ist eine selbstbewusste, junge Frau aus der englischen Oberschicht. Mit dem für sie völlig unerklärlichen Verschwinden ihres Freundes im Winter 2003 beginnt eine wirklich schwere Zeit für sie. Dabei schwankt Pippa immer wieder zwischen aufkeimender Hoffnung und tiefer Verzweiflung, zwischen Wut auf Sean und Schuldgefühlen wegen ihres eigenen Verhaltens. Sie hatte ihren Freund unabsichtlich in eine Glasscheibe geschubst, und bringt sein Verschwinden mit ihrer Eifersucht und dem heftigen Streit in Verbindung. Ihre zuweilen naiv anmutenden Bemühungen, ihn wieder zu finden, oder wenigstens sein Schicksal zu klären, führen beim Leser fast zwangsläufig zu Mitleid und Bedauern.

Cedric Darney ist dagegen eine hochkomplizierte Persönlichkeit. Er kämpft ständig mit seinen Phobien und Neurosen, muss starke Psychopharmaka nehmen, um überhaupt lebenstüchtig zu bleiben. Und doch ist er ein intelligenter und gebildeter Mensch, der gelernt hat – und noch lernt – mit seinen persönlichen Besonderheiten zu leben. Seinen Mitarbeiter und Freund Ben treibt der Herausgeber des Scottish Independent immer wieder zur Verzweiflung, aber das vertraute Verhältnis der beiden Männer führt auch zu immer neuen Fortschritten bei ihren Nachforschungen. Cedric ist eine Figur, der man irgendwie alles Gute wünschen möchte, weil er ständig sein Innerstes nach Außen kehrt und so seine zwischen Hilflosigkeit und Entschlossenheit schwankende Haltung offenbart.

Auch in Das zerbrochene Fenster haben die Charaktere enorme Tiefe, einige von ihnen hätten gewissermaßen eine ganz eigene Geschichte verdient, zu nennen sind hier Ben, Dana und auch Seans Vater Pete. Die Aufteilung in zwei komplexe Handlungsstränge fordert stets die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Durch diese mitunter schnellen und verwirrenden Wechsel zwischen zurückliegenden und aktuellen Ereignissen wird die unterschwellige Spannung enorm gesteigert. Wie schon gewohnt verzichtet Zoe Beck auf knallige Action und blutige Szenen, und versteht es dennoch ganz ausgezeichnet, ihre Leser von Beginn an mit ihrer Geschichte zu fesseln. Das liegt nicht zuletzt daran, dass etliche Aspekte – beispielsweise aus dem früheren Leben von Lillian Darney – gewissermaßen scheibchenweise enthüllt werden.

Eine weitere Stärke des Romans ist, dass bis zum Finale ziemlich unklar bleibt, wie die Auflösung aussehen könnte. Man hat so einige Vermutungen, und liegt dann doch gnadenlos falsch. Charakteristisch ist – wie schon in den früheren Bücher unter dem Pseudonym Zoe Beck – dass Henrike Heiland die Menschen in den Mittelpunkt ihrer Geschichte stellt. Die Protagonisten, selbst die in der zweiten Reihe, kommen ausführlich zu Wort. Allerdings wird nicht immer ganz klar, was den einzelnen Akteur nun wirklich antreibt. Es bleibt durchaus Raum für Spekulationen, auch wenn das nicht jedem Leser gefallen dürfte. Vor allem darf man darüber spekulieren, ob es weitere Geschichten um Cedric und Ben geben wird, denn da ist noch einiges an Potenzial vorhanden. Zunächst sollte man jedoch die Lektüre von Das zerbrochene Fenster genießen, vorzugsweise an einem langen und verregneten Herbstwochenende – denn das würde zu diesem faszinierenden Buch herrlich passen.

Das zerbrochene Fenster

Zoë Beck, Bastei Lübbe

Das zerbrochene Fenster

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