Schwarzblende

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2015
  • 7
  • München: Heyne, 2015, Seiten: 416, Originalsprache
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Thomas Gisbertz
84°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2024

Ein unter die Haut gehender, immer noch aktueller und wichtiger Thriller.

Der 31-jährige Niall traut seinen Augen nicht, als er zwei Männer in der Nähe der Themse mit Macheten durch London gehen sieht. Obwohl er gerade eigentlich den Dreh für einen Dokumentarfilm vorbereitet, folgt er den beiden - aus Sorge, aber auch aus Neugierde. Doch wenig später soll er dies bitter bereuen: Niall wird Zeuge eines bestialischen Attentats auf einen jungen Soldaten - begangen von den beiden Männern mit den Macheten, die sich als Dschihadisten zu erkennen geben. Statt die Polizei zu rufen, filmt Niall die grausame Tat mit seiner Handykamera. Dieser Moment wird sein Leben für immer verändern. Denn Niall will die Männer verstehen, erkennen, was die Gründe für die Tat sind, woher ihr Hass kommt und was sie zu kaltblütigen Killern machte. Daher nimmt er den Auftrag an, eine Dokumentation über den Terrorakt zu drehen und die Hintergründe zu erforschen. Dabei gerät Niall in einen Strudel aus Gewalt, politischer Einflussnahme und Medien - und er weiß nicht, dass er mit grausamer Absicht für diese besondere Aufgabe ausgewählt wurde.

Multitalent Zoë Beck

Zoë Beck, geboren 1975, arbeitete nach ihrem Studium der englischen und deutschen Literatur als Creative Producerin für internationale Fernsehfilmproduktionen, war Redakteurin für Synchronproduktionen und ist seitdem als Dialogbuchautorin und Synchronregisseurin tätig. Seit 2004 ist Beck freiberufliche Schriftstellerin und literarische Übersetzerin. Ihre Romane erhielten zahlreiche nationale Preise.

„Schwarzblende“ erschien bereits 2014 im Heyne Verlag und wird aktuell vom Suhrkamp Verlag neu aufgelegt. Zum Glück, muss man sagen, denn der Roman hat bis heute leider nicht an Aktualität und Brisanz eingebüßt.

Trauriger Hintergrund

Zoë Becks Thriller „Schwarzblende“ basiert auf einem feigen, menschenverachtenden Attentat in London 2013.  Zwei Männer töteten mit Messern, Machete und Fleischerbeil einen Soldaten in der Nähe einer Kaserne im südöstlichen Stadtteil Woolwich. Es handelte sich damals - wie auch im Roman - um eine Tat von Islamisten. Was den brutalen Mord noch unbegreiflicher macht: Sowohl die realen Täter als die fiktiven Romanfiguren waren Briten. Während Autorin Zoë Beck die unbegreifliche Tat nahezu identisch im Roman wiedergibt, geht sie anschließend weit darüber hinaus, wenn sie - in Form ihres Protagonisten - die Frage nach dem Warum stellt. Was lässt junge Männer, die in England aufgewachsen und christlichen Glaubens sind, zu radikalen Islamisten werden, die sich für Ziele einsetzen, die eigentlich nicht die ihren sind? Auch der Dokumentarfilmer Niall macht sich nach dem erlebten, aber surrealen Mord auf die Suche nach Antworten, um zu verstehen, was unbegreiflich bleibt. Doch je mehr er über die Hintergründe erfährt, umso weniger scheint das Motiv erklärlich. Und das wirkliche Grauen ist näher, als es Niall lieb sein kann.

Sprachliche Wucht

Zoë Beck gelingt es auf bedruckende Weise, die Spirale aus Hass, Wut, Macht und Fassungslosigkeit in Worte zu kleiden. Ihre Sprache ist wortgewaltig und unnachsichtig, ihr Erzählstil präzise, mit einem wunderbaren Timing und feinem Gespür, das den Leser nicht nur immer wieder mit geschickten Twists überrascht, sondern auch schaudern lässt. In einer schonungslosen Offenheit und Authentizität lässt sie uns in den Abgrund der menschlichen Seele blicken, der verstörend ist und gleichzeitig nachdenklich stimmt. Dies alles verbindet sie mit einem rasanten Plot, der ebenso spannend wie klug aufgebaut ist. Hier zeigt sich Becks stilistisches Können. Es ergeht dem Leser wie dem Protagonisten Niall beim Anblick des Attentats: Man möchte am liebsten wegrennen, das Buch in die Ecke werfen, die Realität ausblenden. Aber man kann sich dem Geschehen einfach nicht entziehen, hofft selber auf Antworten oder wenigstens auf ein Happyend. Aber auch das gibt es im Roman ebenso wenig wie in der Realität. Hier zeigt sich die Autorin konsequent und unnachgiebig. Sie verfängt sich nicht in Plattitüden oder eine nichtssagende Feel-Good-Story. Beck schreibt gnadenlos und unbarmherzig, weil die Welt genauso ist. Das Ergebnis: ein Thriller, der einen nicht mehr loslassen will und unter die Haut geht.

Fazit

Zoë Becks Thriller ist radikal anders: inhaltlich wie stilistisch. Die heutige Zeit braucht umso dringender Autoren, die etwas wagen und auch unbequeme Fragen stellen. Die Norm nicht akzeptieren wollen. Eine solche Autorin ist Zoë Beck: gradlinig, direkt, mutig. Sie ist nicht auf Effekthascherei aus, sondern besitzt einen tiefenscharfen Blick für die Gesellschaft. Mit ihren authentischen Figuren und ihrem unbarmherzigen Erzählstil rüttelt Beck den Leser wach und will, dass er Sehen lernt. Genauso funktioniert modernes Schreiben.

Schwarzblende

Zoë Beck, Suhrkamp

Schwarzblende

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