Klaus-Peter-Wolf

»Ein Ostfriese auf der Brooklyn Bridge«

04.2011 Klaus-Peter Wolf hat mit Ostfriesenfalle bereits seinem fünften Band aus der Reihe rund um Kommissarin Ann Kathrin Klaasen vorgelegt. Für den Vorgänger hat er den Krimiblitz gewonnen, den Lars Schafft in Ostfriesland persönlich übergab. 

Krimi-Couch: Wir befinden uns hier auf der Terrasse von Klaus-Peter Wolf und haben auch eine Überraschung mitgebracht: den Krimiblitz. Herzlichen Glückwunsch, Klaus-Peter!

Klaus-Peter Wolf: Danke! Ich habe den Krimiblitz gewonnen. Herzlichen Dank an alle, die für mich gewählt haben.

Krimi-Couch: 2600 Leser haben mitgemacht, von denen haben 30 Prozent für Dich abgestimmt. Kannst Du Dir das irgendwie erklären?

Klaus-Peter Wolf: Ich habe eine ganz große Unterstützung gespürt. Es gab sogar Speisekarten, auf denen »Wählt Klaus-Peter Wolfs Ostfriesensünde« stand. Ganz viele Schriftstellerkollegen haben mir geschrieben und mir gesagt, dass sie für mich wählen.

Ich ein bisschen »geflashed« von der ganzen Unterstützung. Ich habe natürlich nicht damit gerechnet, dass ich den Preis gewinne, aber die Unterstützung hat mich wirklich bewegt.

Krimi-Couch: Was bedeutet Dir ein Publikumspreis?

Klaus-Peter Wolf: Ein Publikumspreis ist der schönste Preis. Ich habe ja schon einige internationale Filmpreise gewonnen, aber mit einer Jury ist das immer so eine Sache, obwohl man sich natürlich freut. Ein Publikumspreis ist so etwas wie die Demokratisierung von Preisverleihungen. Dafür, dass es so etwas überhaupt gibt, bin ich der Krimi-Couch sehr dankbar.

Krimi-Couch: Ich war ein bisschen überrascht, da es ja nicht der erste Ostfriesenkrimi war, sondern der vierte.

Klaus-Peter Wolf: Der vierte hat den Preis bekommen, ja.

Krimi-Couch: Brauch so eine Serie eine gewisse Handlungszeit?

Klaus-Peter Wolf: Ja, ganz bestimmt! Es gibt ja eine Menge Krimis, die in einer speziellen Region angesiedelt sind, darunter ganz wundervolle Bücher und natürlich auch ganz furchtbare. Die Leser brauchen dann eine Weile, bis sie entdecken, dass das ganze Szenario ganz spannend ist. Ich kriege sehr viel Post von Menschen, die jedes Buch gelesen haben und mir dann schreiben, wie es ihrer Meinung nach weitergehen sollte. Zum Beispiel hat mir eine Frau geschrieben: »Eins will ich Ihnen gleich sagen. Wenn Ann Katrin Klaasen im nächsten Buch zu ihrem Mann zurückgeht, dann haben Sie mich als Leserin verloren.« [lacht] Da merkst du wirklich, dass die Leser mitgehen und das zu ihrer Reihe machen. Manche leben regelrecht in dieser Welt. Jedes Jahr kommt dann ein neues Buch, und das läuft bislang sehr gut.

Krimi-Couch: Anhand der Titel sieht man natürlich sehr schön, wo die Bücher alle spielen. Du selber bist aber zugezogen?

Klaus-Peter Wolf: Richtig. Ich komme aus Gelsenkirchen, so wie die Kommissarin auch. Ich kann übrigens – wie sie auch – kein Platt. Daraus kann man natürlich auch Spannung ziehen. Es gibt Situationen, in denen zwei Menschen miteinander auf Platt sprechen, und die Kommissarin versteht nichts. Das ist natürlich schön. Eine Kommissarin von hier wüsste das natürlich. Sie hat einen ähnlichen Hintergrund. Wie ich war sie auf dem Grillo-Gymnasium in Gelsenkirchen und wohnt nun im Distelkamp. Allerdings habe ich eine andere Hausnummer.

Krimi-Couch: Warum hast Du es Dir nicht noch einfacher gemacht und einen männlichen Kommissar genommen, der vielleicht noch mehr mit Dir zu tun hat?

Klaus-Peter Wolf: Ich finde die Kommissarin spannender. Wenn sie in Gefahr gerät, dann ist die Gefahr gleich ein Stück größer. Außerdem glaube ich, dass die Leute anders mit einer Frau reden, als mit einem Mann, gerade ein weibliches Opfer. Wenn in anderen Büchern Kommissare mit weiblichen Opfern reden, denke ich mir, dass sie das eigentlich nicht dürften. Das müsste eine weibliche Kommissarin tun.

Krimi-Couch: Ist es schwierig, sich in eine Frau hineinzuversetzen?

Klaus-Peter Wolf: Komischerweise ich das nicht so. Als Autor muss ich in jede Figur rein, ich muss ja auch in den Täter, was viel schwieriger ist. Das ist so eine Perspektivenarbeit. Man ist mal ganz in der Perspektive des Täters, dann in der des Opfers und dann in der der Ermittlerin. Und immer sieht die Welt ein Stück anders aus. Das ist ein großer Teil der Spannung und des Spaßes, den ich selber beim Schreiben habe.

»Ich sehe die Ostfriesen als Außenstehender natürlich etwas anders und ich stelle Fragen, die sich die Leser, die nicht hier aus der Gegend kommen, auch stellen.«

Krimi-Couch: Ist es vielleicht sogar von Vorteil, nicht von hier zu kommen, weil man dadurch genauer beobachtet?

Klaus-Peter Wolf: Ich glaube ja. Ich sehe die Ostfriesen als Außenstehender natürlich etwas anders und ich stelle Fragen, die sich die Leser, die nicht hier aus der Gegend kommen, auch stellen. Es ist nicht so, dass die meisten meiner Bücher hier verkauft würden. Viele werden beispielsweise in der Schweiz verkauft. Und die Leser dort haben natürlich einen ganz anderen Blick auf die ganze Sache. Die freuen sich nicht, über ein Restaurant zu lesen, in dem sie vielleicht schon einmal essen waren. Für sie ist es exotisch.

Die Landschaft ist bei mir ja geradezu ein Protagonist der Handlung. Ebbe und Flut spielen eine wichtige Rolle. Nicht nur die Gezeiten des Meeres, sondern auch die der Touristen. Wenn die Touristenflut hier abebbt, dann bist du allein in diesen riesigen Supermärkten, die natürlich nicht für die paar Menschen gebaut sind, die hier das ganze Jahr leben. Du gehst da mit deinem Einkaufswagen durch wie der »Lonesome Cowboy«, und kein Mensch ist da. Am nächsten Tag kriegst du nicht einmal mehr einen Wagen, weil die Touristen gekommen sind. Das prägt so eine Gegend, und davon erzähle ich.

Krimi-Couch: Was sagen denn die Einheimischen? Sagen sie »Genauso ist es. Jetzt hat uns mal einer genau auf die Finger geguckt.« oder sind sie mit Deinen Beschreibungen nicht ganz zufrieden?

Klaus-Peter Wolf: Ich kriege hier viel Unterstützung, obwohl ich damit anfangs nicht gerechnet habe. Die nehmen das an und schauen interessiert, wie sie von außen wahrgenommen werden. Die kommen ja nicht als die doofen Deppen vor – überhaupt nicht. Bei meinen Premieren hier ist ja auch immer die Polizei dabei, auch der Polizeichef. Da kann also nie etwas Schlimmes passieren, immer genug Polizei vor Ort. [lacht] Ich bin denen im ständigen Gespräch und stimme mich mit ihnen ab.

Ich habe einige Reihen von Krimischriftstellern gelesen und manchmal habe ich Fehler entdeckt. Keine Namen. Aber beispielsweise geht der Kommissar im zweiten Band einer Serie aus seinem Wohnzimmer rechts raus ins Bad, in Band fünf geht er dann rechts raus, ohne dass umgebaut worden wäre. Ich habe mich dann gefragt, wie ich solche Fehler vermeiden könnte und habe entschlossen, einfach von meinem eigenen Haus zu erzählen. Die Kommissarin wohnt also eigentlich in meinem Haus, und ich weiß genau wie da der Garten aussieht und was da blüht. Als ich diese Lösung hatte, war ich schon einmal sehr zufrieden. Dann brauchte sie aber auch einen Bekanntenkreis. In manchen Büchern hat der junge Kommissar eine 27jährige Freundin. Und etliche Fälle später – der Kommissar mittlerweile schon 40 – ist die Freundin immer noch 27. Also habe ich der Kommissarin einfach meinen eigenen Freundeskreis gegeben. Ich weiß, wann meine Freunde Geburtstag haben.

Meine Charaktere gibt es also wirklich, und so wie sie im wahren Leben sind, so sind sie auch in meinen Büchern. Ich mache das natürlich nur mit Leuten, die mir vertrauen und die mir erlaubt haben, aus ihnen literarische Figuren zu machen. Die kriegen das auch vorab zu lesen und nicken das ab. Wenn sie mal was zu bemängeln haben, dann verändere ich das auch. Und so hat die Kommissarin ein reges Leben um sich herum, obwohl alles, was ich beschreibe, vollkommen erfunden ist. Das steht auch explizit vorne in meinen Büchern.

Krimi-Couch: Kommt es vor, dass Leute Dich als Schriftsteller dafür kritisieren, dass Du es Dir damit zu einfach machst?

Klaus-Peter Wolf: Das macht es meiner Meinung gerade so milieu-sicher. Das, was da ist, nehme ich und verarbeite es. Du kannst alles wiederfinden, nur das, was ich daraus mache, ist meine Erfindung, und damit unterhalte ich Dich.

Krimi-Couch: Wie kommst Du auf Deine Fälle? Lässt Du Dich von dem inspirieren, was Du in der Zeitung liest?

Klaus-Peter Wolf: Ich erzähle nie reale Fälle nach, das ist eine andere Art von Literatur. Ich glaube, der Unterhaltungswert von fiktiven Geschichten ist einfach höher, weil du weißt, dass das Opfer jetzt nicht wirklich eingemauert wurde und vielleicht gleich stirbt. Du weißt, dass alles erfunden ist. Das so zu machen entspricht mir mehr. Alles andere ist ganz genau recherchiert, aber der Fall ist frei erfunden.

Krimi-Couch: Womit fängst Du dann an? Gibt es erst den Fall oder erst einen Täter?

Klaus-Peter Wolf: Das beginnt damit, dass ich Charaktere spannend finde. Es ist nicht so, dass ich mit einem fertigen Plot anfange. Aber wenn man spannende Charaktere in einem Ort zusammenführt, dann passiert auch immer etwas. Den Fall entwickle ich dann in etwa so, wie ein Architekt ein Haus baut. Manchmal verändert sich der Fall aber beim Schreiben. Mir fällt dann beispielsweise auf, dass eine bestimmte Figur sich niemals so verhalten würde, wie ich es ursprünglich im Kopf hatte. Der Plan ist also wichtig, aber ich weiche durchaus davon ab. Von einem Bauplan weicht man ja auch manchmal ab.

Krimi-Couch: Aber Du weißt schon, wie am Ende alles zusammengeführt wird?

Klaus-Peter Wolf: Meistens habe ich den ersten Satz. Für jedes Buch kaufe ich mir einen neuen Füller und schreibe den ersten Satz hin. Manchmal merke ich gleich, dass das so nicht funktioniert, dann probiere ich einen anderen Füller aus. Und irgendwann passt dann alles, dann schaue ich meinem Füller gewissermaßen beim Schreiben zu. Nach einem Roman ist so ein Füller dann auch erledigt.

Krimi-Couch: Du schreibst also nicht am Computer?

Klaus-Peter Wolf: Nein. Ich leiste mir den Luxus, mit der Hand zu schreiben. E-Mails schreibe ich natürlich auch, aber meine Romane schreibe ich mit einem Füller und mörderisch schwarzer Farbe in ein Heft.

»Schriftsteller brauchen ja ihren Aberglauben und ihre Mythen.«

Krimi-Couch: Ist das Aberglaube?

Klaus-Peter Wolf: Vielleicht. Schriftsteller brauchen ja ihren Aberglauben und ihre Mythen. Annette Liebrenz ist eine treue Seele. Sie hat seit 27 Jahren alle meine Romane getippt. Das ist der einzige Luxus, den ich mir leiste. Sie schreibt dann auch mal Bemerkungen an den Rand, zum Beispiel »Das habe ich von Dir aber schon einmal besser gelesen«. [lacht]

Krimi-Couch: Du hast also praktisch eine eigene Deutschlehrerin?

Klaus-Peter Wolf: Kann man so sagen. Sie ist natürlich weit mehr als eine Sekretärin. Sie ist längst eine dramaturgische Beraterin geworden. Sie ist die erste Leserin, an der ich mich reiben kann, wenn etwas nicht stimmt. Auf der anderen Seite merke ich, dass es richtig läuft, wenn sie die nächsten Seiten einfordert.

Krimi-Couch: Du schreibst also eher in Abschnitten als in einem Rutsch?

Klaus-Peter Wolf: Ich habe ja immer Angst, dass mir mein Manuskript verloren geht. Ich schreibe auch viel unterwegs, in Zügen oder auf Hotelzimmern. Immer wenn ich dann 10 oder 15 Seiten fertig geschrieben habe, kopiere ich die Seiten und schicke sie ihr. Dann weiß ich, es kann nichts verloren gehen.

Krimi-Couch: Ist Dir denn schon einmal ein Manuskript abhanden gekommen?

Klaus-Peter Wolf: Es ist noch nie passiert, aber es ist mein Alptraum. Ich trage es also immer bei mir, würde es zum Beispiel nie im Auto lassen. Da wo ich bin, da ist auch mein Manuskript. Wer es will, muss mit mir kämpfen. [lacht]

Krimi-Couch: Kommen wir nochmal auf Deinen neuen Fall mit Ann Katrin Klaasen Ostfriesenfalle zurück. Die Handlung spielt sich in einer Vielzahl verschiedener Perspektiven und Handlungssträngen ab. So fängt es in New York an. Das ist etwas, was man in einem Ostfrieslandkrimi normalerweise nicht erwartet. Dort wird dann eine tot geglaubte Person gesehen, ein Verkehrsunfall spielt eine Rolle. Wir haben einen Handlungsstrang der an »Natascha Kampusch« erinnert und wir haben einen Gestörten, der sich auch noch »Terminator« nennt. Können wir darüber reden, wie das alles zusammengehört?

Klaus-Peter Wolf: Natürlich! Es ist so, dass viele verschiedene Dinge passieren, wie ein großes Puzzle. Es ist ein groß angelegter Roman über 430 gedruckte Seiten und kein kleiner Kriminalfall. Die Kommissarin beginnt, die Zusammenhänge zu verstehen und begibt sich in eine Welt, die ihr vorher nicht bekannt war, die sich aber dort befindet, wo sie lebt. In Borkum spielt ein Großteil der Handlung. Ostfriesland wird zu einem Treffpunkt von Leuten, die einen gruseln lassen. Die Kommissarin beschäftigt sich dann mit den großen Themen ihrer Zeit.

Krimi-Couch: Kann man es vielleicht mit Wallander vergleichen? Das spielte damals ja auch in einer ruhigen Gegend, in der dann große Verbrechen geschahen, plötzlich Häuser explodierten.

Klaus-Peter Wolf: Das kann man durchaus so sehen. Ich nutze natürlich auch die Schönheit der Landschaft, die Ruhe, die Menschen dazu bringt, hier Urlaub zu machen, als einen Kontrast zu den gruseligen Verbrechen. Auch gruselige Ideen. Es geht ja auch viel um Gentechnik, menschliche Ersatzteillager. Visionen, von denen ich glaube, dass sie schon bald im SPIEGEL stehen könnten, weil sie dann Realität sind.

Krimi-Couch: Das Thema greifst Du aber sehr spät auf?

Klaus-Peter Wolf: Richtig. Die Kommissarin wird wie der Leser auch durch viele kleine Geschehnisse ganz langsam dorthin geführt. Und wenn man einmal in diese Welt eingestiegen ist, dann wird man für diese Themen auch sensibilisiert. Zum Beispiel habe ich während des Schreibens gehört, dass das Europäische Parlament über die Kennzeichnungspflicht von amerikanischem Genfleisch entscheiden musste. Man macht sich das nicht wirklich klar, aber 30 Prozent vom Fleisch, das in den USA gegessen wird, stammt von geklonten Rindern. Dieses Fleisch wird auch nach Deutschland exportiert, aber wir wissen davon nichts, weil es nicht besonders gekennzeichnet wird. Wir kommen immer mehr in so eine Welt hinein, und da wird einem schon etwas anders.

»Ich will nicht, dass mir jemand die Welt erklärt. Dafür haben wir schon genügend Politiker, die das täglich versuchen. Aber ich will, dass mir jemand die Welt erzählt.«

Krimi-Couch: Heißt das, dass Du als Krimiautor deinen Lesern auch einen Brennpunkt der gesellschaftlichen Debatte mit auf den Weg geben willst? Dass Du Krimi nicht nur als gute Unterhaltung wahrnimmst?

Klaus-Peter Wolf: Es muss gute Unterhaltung sein. Ich will nicht, dass mir jemand die Welt erklärt. Dafür haben wir schon genügend Politiker, die das täglich versuchen. Aber ich will, dass mir jemand die Welt erzählt. Und dazu gehören natürlich auch die Ängste und Visionen. Das sind die kleinen Puzzleteile, die hier und da eingestreut werden und die den beunruhigenden Eindruck erwecken, dass wir bereits in solch einer Welt leben. Dass das große Verbrechen bereits geschieht. Das finden viele Leser aufregend, weil es – auch jenseits der Landschaft – so wirklichkeitsnah ist.

Dabei habe ich mir natürlich auch helfen lassen. Bei der Recherche haben mir Leute geholfen. Ich habe mit Wissenschaftlern diskutiert und sie gefragt, wie weit sie wirklich sind. Das war für mich ein Abenteuer. Und an meinem Wissen haben die Leser auch teil. Das heißt ja nicht, dass Kriminalromane trivialer Scheiß sind, in denen es immer um den fünften Mord im Rotlichtmilieu geht. Warum sollen nicht die großen Themen dieser Zeit behandelt werden?

Krimi-Couch: Damit hast Du schon viele Argumente dagegen geliefert, es könnte sich bei Deinen Romanen um Regiokrimis handeln. Dasist ja im Moment so ein abwertendes Schlagwort, das in der Regel mit »provinziell« assoziiert wird.

Klaus-Peter Wolf: Es wird in der Regel so benutzt, ja. Ich benutze dafür gerne ein anderes Wort. Ein guter Krimi muss »milieu-sicher« sein. Wenn ich mich in dieses Milieu begebe, müssen die Dinge stimmen. Wenn es nicht stimmt, dann hat der Roman kein Fundament. Für mich ist nichts so authentisch wie die Kriminalliteratur. Sie spielt im hier und jetzt und erzählt vom Riss, der durch die Menschen und durch die Gesellschaft geht. Was geschieht, damit jemand einen Mord begeht? Das macht man doch nicht einfach so. Da muss doch vorher etwas passiert sein?

Von diesem spannenden Prozess zu erzählen, sagt uns viel über die Gesellschaft. Ich habe über fremde Länder viel mehr durch gute, regional klar begrenzte Krimis erfahren als durch soziologische Studien. Dazu waren die Kriminalromane unterhaltsamer, genauer und visionärer.

Krimi-Couch: Du bist also ein leidenschaftlicher Krimileser, was auch dadurch deutlich wird, dass viele Deiner Charaktere gerne Krimis lesen.

Klaus-Peter Wolf: In meinen Büchern spielt das Lesen auch immer eine Rolle. Die Kommissarin sammelt Bilderbücher, was dazu führt, dass sie von Kriminellen gar nicht ernst genommen wird. Der Weller liest und sammelt Kriminalromane. Immer wieder wird auch etwas aus Büchern oder über Bücher erzählt. Schriftsteller, die ich mag, kommen genauso vor wie Essen, das ich mag. Oft googlen meine Leser die Schriftsteller aus meinen Romanen und entdecken sie vielleicht auch für sich. Ich finde das toll.

Krimi-Couch: Du hast ja auch Kinder- und Jugendbücher geschrieben und besuchst oft Schulen. Bist Du auf einer Mission, Menschen das Lesen näher zu bringen?

Klaus-Peter Wolf: Man muss Kinder für das Lesen gewinnen. Ich bin auch oft an Berufsschulen. Die meisten Schüler dort haben wir schon verloren. Wenn die hören, dass da ein Schriftsteller kommt, dann sagen sie »Das kann doch nur Scheiße werden«. Nach einer halben Stunde sind sie dann völlig gefesselt und haben den Eindruck, dass zwischen zwei Buchdeckeln etwas unglaublich spannendes sein kann. Wenn man so junge Menschen, die wir als Leser schon verloren geglaubt haben, wieder zurückgewinnen können, dann macht mich das schon froh.

Ich habe letztes Jahr in New York an einer deutschen Schule meine 6000. Schulveranstaltung gemacht und aus meinen Krimis vorgelesen. Alles was ich da erlebt habe habe ich als Teil der Recherche in meinen neuen Roman einfließen lassen. Daher beginnt er auch in New York.

Krimi-Couch: Da gibt es ja ganz spaßige Szenen, zum Beispiel dass ein Ostfriese auf der Brooklyn Bridge ein Fischbrötchen sucht. Hast Du auch das Gefühl gehabt, dass Du da eigentlich nicht hingehörst?

Klaus-Peter Wolf: Ja, schon. So toll das alles dort war, so froh war ich, als ich wieder zuhause war. Man geht ja immer mit anderen Augen durch eine Stadt. Hier in Norden sehe ich zum Beispiel mit den Augen des Täters und die Stadt sieht plötzlich anders aus. Genauso ist des mit den Augen des Opfers. Als ich in New York das Polizeipräsidium gesehen habe, habe ich natürlich an meine Kommissare gedacht und mir ist die Leuchtschrift darauf aufgefallen. Bei uns in Ostfriesland sehen offenbar die Bordelle seriöser aus als ein Polizeipräsidium in New York. Meine Romane sind ja durchaus gruselig, aber es gibt immer eine Ebene, auf der man Spaß machen und lachen kann. Auch meine Lesungen sind ja durchaus lustige Veranstaltungen.

Krimi-Couch: Ist es wichtig, diese »Erholungsphasen« zu haben, um eine breite Leserschaft zu erreichen?

Klaus-Peter Wolf: Ja. Ich will ja nicht, dass meine Leser nach 300 Seiten sagen »Gut, noch 150 Seiten, dann mache ich mir die Pulsadern auf«. Der Leser muss ja eine Achterbahnfahrt der Gefühle durchmachen. Menschen lesen doch, weil sie Gefühle haben wollen, weil sie in Emotionen hineingezogen werden wollen. Das heißt für mich, dass meine Leser das Gruseln genauso wollen wie die lustigen Passagen. Das funktioniert nur in der richtigen Mischung. Nur dann kann ich auch das Gruselige ertragen.

»Wenn ich mal einen guten Gag habe, dann lache ich laut, und manchmal grusele ich mich auch.«

Krimi-CouchOstfriesenfalle ist der fünfte Fall der Serie. Da sind ja einige Bände in recht kurzer Zeit entstanden. Wird man dann nicht irgendwann müde und möchte nichts mehr über Ann Katrin Klaasen lesen oder schreiben?

Klaus-Peter Wolf: Ich liebe das so sehr und ich bin so glücklich eine Reihe zu haben, die so viele Leser hat, mit denen man oft auch Kontakt hat. Das ist für einen Autor ein großes Glück, wenn das geschieht. Ich sitze abends mit voller Freude und Spannung daran und schreibe. Wenn ich mal einen guten Gag habe, dann lache ich laut, und manchmal grusele ich mich auch.

Krimi-Couch: Was macht Klaus-Peter Wolf, wenn er nicht gerade schreibt oder liest?

Klaus-Peter Wolf: Wenn ich gerade nicht lese oder schreibe oder Filme schaue oder Filme drehe, dann gehe ich manchmal auf dem Deich spazieren und lasse mir den Wind durch die Haare sausen, oder ich treffe meine Freunde. Aber Bücher und Filme bilden schon einen wesentlichen Teil meines Lebens. Ich habe großes Glück, dass ich daran meinen Spaß habe und dafür sogar bezahlt werde. Ich kann meine Leichen auf alle Inseln legen, und die Leute freuen sich noch darüber.

Krimi-Couch: Wo wirst Du denn Deine nächste Leiche ablegen? Gibt es da schon Planungen?

Klaus-Peter Wolf: Ja, die nächsten Verbrechen werden auf Wangerooge geschehen. Da würde ich also keinen Urlaub buchen. Es ist eine wunderschöne Insel, aber zur Zeit läuft da ein ziemlich böser Junge herum. Aber die Kommissarin kommt. Bevor die Sommerferien anfangen, hat sie ihn. [lacht]

Krimi-Couch: Hat das Buch schon einen Titel?

Klaus-Peter Wolf: Das nächste Buch wird Ostfriesenangst heißen. In meinen Büchern sind hinten immer der Titel und die ersten paar Seiten des Nachfolgers. Das führt manchmal dazu, dass die Leser in die Buchhandlung gehen und den neuen Band vorbestellen, obwohl ich ihn noch gar nicht fertiggestellt, den Mörder noch nicht einmal gefangen habe. Das ist ein schönes Gefühl.

Krimi-Couch: Klaus-Peter, alles Gute und vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Lars Schafft im April 2018.

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

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