Mo Hayder

Schreiben im Pyjama und mit einer Flasche Wein

04.2007 Die britische Autorin plauderte mit Lars Schafft über ihren neuen Thriller »Die Sekte«, das Problem der ersten Sätze eines Romans sowie darüber, dass sie ja eigentlich eine sehr leicht zu schockierende Person sei. Und: Es gibt ein Wiedersehen mit Jack Caffery.

Während ich dem Wahnsinn nahe durch Köln zum Gespräch mit Mo Hayder irre und mehr und mehr die Orientierung verliere – die Kölner City ist für Ortsunkundige alles andere als übersichtlich -, wird mir ein wenig mulmig, wenn ich an unser Treffen denke.

Was mag das für eine Frau sein, die zu den am brutalsten schreibenden Krimi-Autorinnen Europas zählt? Die kein Problem damit zu haben scheint, Leichenteile durch die Gegend fliegen zu lassen? Und schlimmer: Im letzten Artikel, den ich über Mo Hayder recherchiert habe, sagt sie doch tatsächlich, dass sie ihren eigenen Bruder absichtlich fast umgebracht hätte. Zumindest habe sie ihn eine Treppe hinuntergestürzt …

Mo Hayder ist eine schlanke, fast zierliche Frau, die leicht müde aussieht, aber mich freundlich begrüßt. Ich packe mein Equipment auf den kleinen Tisch in der Lounge des Hotels und bitte sie, währenddessen einen Blick auf besagten Artiktel zu werfen. Kein guter Einstieg. »Oh, mein Gott! Das ist der Grund, warum ich in meiner Heimat keine Interviews mehr gebe!«

Mo Hayder ist sichtlich entrüstet. Steht dann aber doch geduldig, höflich und freundlich Rede und Antwort, lächelt oft, wuschelt sich bei schwierigeren Fragen durch die blonde Mähne, bevor sie spricht. Erfrischend ehrlich, die Frau – und auch irgendwo eine ganz normale Mutter.

Krimi-Couch: Ms. Hayder, wenn man sich die Artikel über Sie in der englischen Presse durchliest, bekommt man fast den Eindruck, dass Sie vom Tod begeistert sind. Sind Sie das?

Mo Hayder: Das ist eine gute Frage. Ich würde eher sagen, dass ich von der Gesellschaft begeistert bin. Von den Begleitumständen, die der Tod mit sich bringt. Natürlich bin ich nicht vom Tod selbst begeistert. Wer ist das schon? Wir wollen doch alle nicht sterben und ewig leben.

Krimi-Couch: Natürlich drehen sich aber Ihre bisher Romane um den Tod. Die ersten beiden, »Der Vogelmann« und »Die Behandlung« gehen aber etwas strenger Richtung Kriminalroman als »Tokio« und jetzt »Die Sekte«.

Mo Hayder: Das stimmt. Die ersten beiden sind Kriminalromane, »Tokio« eher ein historischer Kriminalroman und der aktuelle eine Mischung aus Krimi und Horror.

Krimi-Couch: Stört es Sie dann, wenn ein Leser »Die Sekte« dann beispielsweise mit Stephen King vergleicht?

Mo Hayder: Ja, der Roman ist schon mit denen Stephen Kings vergleichbar. Aber es gibt trotzdem noch eine Verbindung zum Verbrechen und zum Kriminalroman.

Krimi-Couch: Wollten Sie mit »Die Sekte« ganz bewusst das Genre wechseln?

Mo Hayder: Ich wollte nicht wirklich das Genre wechseln sondern vielmehr herausfinden, wie weit sich die Grenzen des Kriminalromans ausweiten lassen.

Krimi-Couch: Fanden Sie also, dass die Grenzen, die der Kriminalroman als Genre mit sich bringt, die Leser mittlerweile langweilen?

Mo Hayder: Ja …Nein.. Ich muss etwas mit der Antwort aufpassen. [lacht] Nein, ich glaube nicht, dass diese Krimis für den Leser oder für denjenigen, der sie schreibt, langweilig werden. Nur für mich persönlich. Jetzt habe ich aber zwei Romane geschrieben, die sich etwas vom Genre entfernt haben und nun habe ich wirklich Lust, zum Krimi zurückzukehren, zum »reinen« Kriminalroman.

Krimi-Couch: Zurück zu Jack Caffery?

Mo Hayder: Ja, genau! Ich plane eine neue Serie mit drei oder vier Folgen. Es wird dabei zwei Hauptfiguren geben: Jack Caffery ist die eine und die neue, das ist eine Polizeitaucherin, deren Job es ist, Leichen aus dem Wasser zu fischen. Die Romane werden auch wieder in England angesiedelt sein.

Krimi-Couch: Was fasziniert Sie an Kriminalromanen? Wieso haben Sie sich diese Richtung ausgesucht?

»Ich bin jemand, der sehr schnell schockiert ist.«

Mo Hayder: Es gibt viele Gründe dafür. Einer ist, dass meine Mutter mich damals sehr behütet aufgezogen hat. Sie versuchte immer, die Welt außerhalb unserer Familie, die Wahrheit dahinter, vor mir zu verbergen. Wahrscheinlich bin ich deswegen immer noch jemand, der sehr schnell schockiert ist.

Krimi-Couch: Ausgerechnet Sie sind leicht geschockt?

Mo Hayder: Ja, wirklich. Lange Zeit habe ich zwar gedacht, dass ich komplett cool wäre, aber mittlerweile passiert jeden Tag etwas, was mich an den Menschen schockiert.

Krimi-Couch: »Die Sekte« handelt von einer religiösen Sekte und ihren Machenschaften. Gibt es da eine Verbindung zum weltweiten Terror?

Mo Hayder: Nein, absolut nicht. Aber Religion ist momentan irgendwie in unser aller Köpfe. Ich bin auch wieder an Religion interessiert. Ich habe immer gesagt, dass ich nie zur Kirche gehen werde. Und nun gehe ich regelmäßig. Seit 9/11 bin ich davon überzeugt, dass jeder auf einer Art spirituellen Suche ist. Sei es christlich, islamisch, Scientology – oh, mein Gott. Für »Die Sekte« habe ich mir das Christentum ausgesucht, weil es besser zu meiner eigenen Kultur passt. Der Glaube ist eine Sache. Die Wahl der Religion ist aber eher davon beeinflusst, welcher Gesellschaft man sich zugehörig fühlt. Mich interessiert auch, wie dieser Glaube von anderen Menschen missbraucht wird. Beispielsweise, wie Jim Jones seine Anhänger in den Tod getrieben hat.

Krimi-Couch: Ist Jim Jones eine Art »Vorbild« für Malachy Dove, den Sektenanführer aus »Die Sekte«?

Mo Hayder: Ja, ein bisschen. Genau. Malachy basiert auf verschiedenen realen Personen: Jim Jones, Oral Roberts, Peter Popoff …Sein Problem mit der modernen Medizin geht ein bisschen auf Popoff zurück, aber auch auf Scientology, die beispielsweise nichts von Psychopharmaka halten. Meiner Ansicht nach ist das falsch, ich kenne viele Leute, denen Anti-Depressiva das Leben gerettet haben! Popoff verneint Medizin, unter anderem auch für Menschen mit Herzproblemen oder für Diabetiker. Das finde ich unmoralisch, das ist falsch im Namen des Glaubens.

Krimi-Couch: Also auf der einen Seite hält Region eine Gesellschaft zusammen, kann aber auch gefährliche Auswirkungen haben?

»Religion ist der Haken, an dem man seinen Hass aufhängt.«

Mo Hayder: Nein. Aber das ist ein sehr sensibles Thema. Ich finde, es ist absolut klar, dass Religion eine Gesellschaft nicht zusammenhält. Sie kann daraus sogar eine barbarische machen, was natürlich schlimm ist. Die Menschen würden sich auch so bekämpfen, unter religiösen Gesichtspunkten ist das aber einfacher. Das wirkt dann nur nobler. Viele islamische Staaten würden auch ohne Religion die USA hassen. Nicht nur islamische Staaten. Religion ist der Haken, an dem man seinen Hass aufhängt.

Krimi-Couch: Gab es eine bestimmte ausschlaggebende Idee für »Die Sekte«?

Mo Hayder: Eine Freundin von mir ist Krankenschwester in einer Nervenklinik und sie hatte eine Patientin, die fest davon überzeugt war, gekidnappt worden zu sein und davon, dass man ihr schreckliche Dinge angetan habe. Man habe ihr Hörner auf die Stirn gesetzt und einen Schwanz am Rücken angebracht, so dass sie wie ein Teufel aussah. Ganz offensichtlich war sie verrückt, aber: Diese Vorstellung von einem Menschen mit einem Schwanz ist wirklich bei mir hängen geblieben. Ich will nicht zu viel vom Buch verraten. Allerdings habe ich tatsächlich einen Arzt getroffen, der darauf spezialisiert war, Kinder mit Schwänzen zu operieren. Das hat mir irgendwie einen Thrill gegeben, dass so etwas wirklich passiert.

Krimi-Couch: Das klingt nach langer medizinischer Recherche …

Mo Hayder: Ich mag diese medizinische Recherche. Dieses Thema, Menschen mit Schwänzen, hat mich sehr lange beschäftigt. Vor allem, wie man damit leben kann. Normalerweise werden diese Menschen noch als Baby operiert, da ab einem Alter von zwei Jahren dieser Schwanz ein Krebsrisiko darstellt und lebensbedrohend wird. Der Schwanz, über den ich schreibe, kann wahrscheinlich existieren –

Krimi-Couch: – wahrscheinlich –

Mo Hayder: Ja, den gibt es wirklich! Er wird nur in der Regel früh operiert. Der Arzt, der mir bei der Recherche geholfen half, hat mir Fotos davon gezeigt.

Krimi-Couch: Wie gehen Sie an so ein Buch heran? Von der Idee bis zum letzten Satz? Wie lange dauert das?

Mo Hayder: Ungefähr ein Jahr. Zuerst schreibe ich eine sehr ausführliche Gliederung.

Krimi-Couch: Mit dem Computer?

Mo Hayder: Ja, mit meinem Laptop. Im Bett und im Schlafanzug. Meistens mache ich sogar zwei oder drei Gliederungen, bevor ich mit dem eigentlichen Schreiben anfange. Das Anfangen ist dabei das absolut schwerste und für mich eine große Überwindung. Eine ganze Flasche Wein vorher muss es gewöhnlich schon sein, bevor ich anfangen kann [lacht]. Wenn ich dann einmal angefangen habe, gehtŽs flüssig. Und dann überarbeite ich die Geschichte, vielleicht auch ein zweites oder drittes Mal.

Krimi-Couch: Wissen Sie vorher schon genau, was alles passieren wird?

Mo Hayder: Nein, nicht genau. Was ich weiß ist, wie die Geschichte ausgehen wird.

Krimi-Couch: Sie sind Dozenten an der Spa University of Bath für Kreatives schreiben, oder?

Mo Hayder: Nein, nicht mehr.

Krimi-Couch: Trotzdem müssten Sie sich mit Literaturtheorien doch noch ein wenig auskennen?

Mo Hayder: Nein. [lacht] Nein, absolut nicht. Ich bin völlig ungebildet. Meine Familie war gebildet, alles Akademiker. Aber ich bin mit fünfzehn von der Schule gegangen und bin weggerannt.

Krimi-Couch: Wieso?

Mo Hayder: Ich hatte mit meiner Familie so meine Probleme und Bildung war immer auch bezeichnend für meine Familie. Deswegen habe ich die Schule geschmissen und bin von der Bildfläche verschwunden. Als ich dann mein erstes Buch geschrieben hatte, was über Nacht ein Bombenerfolg geworden ist, war das natürlich ein gefundenes Fressen für die Presse: Wie kann jemand, der die Schule abgebrochen hat, einen Bestseller schreiben? Und so wurde aus einer eigentlich negativen Sache doch noch etwas Positives.

Krimi-Couch: Ich spielte auf Literaturtheorien an, weil Sie als eine Art Vorreiter der weiblichen, harten, Thriller-Autoren gelten. War es für Sie nicht auch von Vorteil, eine attraktive Frau zu sein, die solche Thriller schreibt?

Mo Hayder: Ich mag es nicht, wenn der Autor für genau so wichtig genommen wird wie die Wörter, die er geschrieben hat. Das ist auch ein Grund, warum ich in Großbritannien nicht mehr für die Presse zur Verfügung stehe. Wenn ich ein Buch lese, interessiert mich die Geschichte und nicht, wie der Autor aussieht.

Krimi-Couch: In »Die Sekte« gibt es zwei Protagonisten, einen männlichen und einen weiblichen. Bevorzugen Sie einen davon?

Mo Hayder: Männliche Charaktere gehen mir richtig leicht von der Hand, weibliche fallen mir hingegen richtig schwer.

Krimi-Couch: Wo liegt der Unterschied?

Mo Hayder: Das ist eine wirklich gute Frage. Ich kann nicht genau sagen, warum mir das eine leichter fällt als das andere. Vielleicht liegt es daran, dass ich in meiner Kindheit deutlich mehr Zeit mit meinem Vater als mit meiner Mutter verbracht habe.

Krimi-Couch: Sie haben viele Jahre in Asien verbracht, in Japan, Vietnam und Kambodscha. Über das, was Sie da gemacht haben, liest man sehr viel unterschiedliches …

Mo Hayder: Ich war in Japan Hostesse in einem Nachtclub, aber nicht das, was wir uns darunter vorstellen. In den 80ern waren Europäer, blonde Frauen, noch etwas sehr außergewöhnliches dort. Man wurde schon berühmt, nur weil man westlich aussah. Und man bekam so leicht einen Job. In diesem Nachtclub bin ich aber eigentlich nur von Tisch zu Tisch gegangen, habe Feuer gegeben und gekellnert. Die Menschen in Asien sind sehr höflich und freundlich.

Krimi-Couch: Trotzdem sind Sie nach England zurückgekehrt?

Mo Hayder: Ich war ja noch in Amerika und habe Filme gemacht. Aber da lief alles verkehrt und ich war so verzweifelt, dass ich einfach nur noch wieder nach Hause wollte. Ich bin also zurück nach England und habe angefangen zu schreiben.

Krimi-Couch: Sie haben sich in Ihren letzten Interviews ein wenig gegen die klassisch-britischen Kriminalromane wie von P.D James oder Ruth Rendell gestellt. Mögen Sie diese Art von Krimis nicht?

Mo Hayder: Nein, das kann man so nicht sagen. Aber das ist eine andere Generation und in meiner Generation hat sich nunmal einiges geändert, z.B. dass wir etwas detaillierter über die Verbrechen schreiben. Ich finde es allerdings unehrlich, Krimis schreiben, in denen es ja um Tod und Gewalt geht, ohne diese aufzuzeigen. Wenn einer Leser meint »Oh, das will ich aber nicht lesen«, sollte er die Finger von Krimis von lassen. Wer nicht mit Tod und Gewalt klarkommt, soll seine Krimis in den Müll schmeißen und Jane Austen lesen. [lacht].

Krimi-Couch: Ist Ihrer Meinung nach den Gewalt notwendig, um Spannung zu erzeugen?

Mo Hayder: Spannung fängt schon dann an, wenn man über ein Verbrechen schreibt. Gewalt selbst erzeugt keine Spannung, aber die Gefahr von Gewalt. Die schon.

Krimi-Couch: Ms. Hayder, sie haben eine kleine Tochter – wann darf die Ihre Bücher lesen?

Mo Hayder: Sie ist jetzt fünf. Ich bin sehr gut behütet aufgewachsen, weswegen ich der Meinung bin, dass meine Tochter alles lesen und sehen darf, was sie möchte. Eines Abends hatte ich im Bett mit ihr »Alien« geschaut, sie schlief dabei, während ich den Film mit einer Heidenangst zu Ende ansah. Dann wachte sie auf, sagte mir, dass sie alles gesehen habe und fing an zu weinen. Ich machte mir schon Vorwürfe und zweifelte an meiner Ansicht, sie alles sehen zu lassen, was sie möchte. Und meine Tochter meinte nur: »Mummy, der Film darf noch nicht zu Ende sein! Ich liebe ihn!« Am nächsten Morgen sagte sie noch: »Mummy, ich will den Film auf DVD. Das war der beste, den ich je gesehen habe!« Sie scheint ganz anders als ich zu sein.

Mit Mo Hayder sprach Lars Schafft im März 2007 auf der LitCologne. 

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