Jack Taylor liegt falsch

  • Atrium
  • Erschienen: Januar 2010
  • 7
  • Dingle: Brandon, 2002, Titel: 'The Killing of the Tinkers', Seiten: 253, Originalsprache
  • Zürich: Atrium, 2010, Seiten: 239, Übersetzt: Harry Rowohlt
  • München: dtv, 2012, Seiten: 240
Jack Taylor liegt falsch
Jack Taylor liegt falsch
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Jochen König
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2010

The Boy is back in town

Jack Taylor ist wieder in Galway. Und mit ihm ein tiefes Verlangen nach Literatur, Musik, Alkohol, Zigaretten und Koks. Nach seiner Rückkehr aus London, etliche Tote, tiefsitzende Zweifel und Selbstvorwürfe im Gepäck, treibt er im gewohnten Umfeld dem Delirium entgegen. Seine alten Kollegen von der Polizei haben ihn auf dem Kieker, was sie ihn gelegentlich handfest spüren lassen. Aber auch ein Mann namens Sweeper wird auf ihn aufmerksam. Bittet ihn, sich um eine Mordserie zu kümmern, der die Polizei Galways keine Aufmerksamkeit schenkt. Schließlich wurde "nur" eine Reihe von jungen "Tinkers", gering geschätzte Landstreicher, getötet und verstümmelt.

Jack nimmt sich des Falls an, bzw. der Fall ergreift ihn. Zugedröhnt taumelt er durch Galway, übersieht Hinweise, findet andere und darf dem Spoiler des deutschen Titels gerecht werden. Bis zur fiesen finalen Pointe. Zwischendurch schnuppert er kurzzeitig am kleinen Heldenstatus, da es ihm gelingt, lang genug wach zu bleiben, um einen verwirrten Satansjünger beim Töten schwarzer Schwäne zu erwischen.
Und am Ende wird Jack Taylor ziemlich zerschunden überleben und weitermachen.

Jack Taylor liegt falsch erzählt von Düsternis (bzw. "Düsterkeit" wie Harry Rowohlt holprig übersetzt), vom Wunsch, den Schmerz, das Leben selbst, zu betäuben, und dabei festzustellen, dass man es trotzdem immer intensiver erfährt und nicht umhin kommt, sich die eigenen Fehler irgendwann eingestehen zu müssen.

Jack Taylor ist auf der Flucht, vor Menschen, die ihn mögen und lieben, vor sich selbst und vor allem vor der Verantwortung und der Schuld, die er glaubt, tragen zu müssen. Es gibt kaum einen Protagonisten in der Kriminalliteratur, der sich selbst derart übel mitspielt. Zwar steckt Jack gelegentlich heftige Prügel von außen ein, aber sein angekratztes Ego malträtiert er am liebsten selbst.

Unbehaustheit ist das große Thema im zweiten Jack Taylor-Roman. Sowohl die reelle, teils frei gewählte der "Tinkers", wie die emotionale, die Jacks wahre Heimstatt ist. Kein Wunder, dass er sich wohl fühlt im Umfeld der Streuner, deren Chef Sweeper ihn nachhaltig beeindruckt und ihm den Rücken stärkt. Eigentlich stehen Jack sogar ziemlich viele Menschen zur Seite, wenn man bedenkt, dass er sich meist wie die besoffene Axt im Walde benimmt.

Bruen macht keinen Hehl aus seinen Sympathien für seine Hauptfigur, er gibt ihm einen exzellenten Literatur-, Musik- und Filmgeschmack mit auf den Weg, schafft so einen Fundus, aus dem Jack sein Leben trefflich kommentieren kann. Samuel Beckett, Thomas Merton, Derek Raymond, Mary Coughlan, Thom Yorke und Phil Ochs sind nur ein paar der illustren Gäste, die sich zum vorletzten Abendmahl an Jack Taylors Seite niederlassen.

Fast verwundert es ein wenig, dass Bruen sich des Genres Kriminalroman angenommen hat, um existenzielle Verlorenheit zu thematisieren. Andererseits bieten sich Geschichten um Mord und Totschlag geradezu dafür an. Aber auch im zweiten Band bleiben die Ermittlungen ein bedeutungsvoller Nebenstrang. Bruen erlaubt sich den Luxus, mit Jack Taylor nicht unbedingt den lausigsten Ermittler der jüngeren Literaturgeschichte zu präsentieren, zumindest aber denjenigen, dessen Fehler die tödlichsten Konsequenzen nach sich ziehen. Und so ist auch Jack Taylor liegt falsch ein obsessiver Beleg dafür, dass alles im Leben einen enorm hohen Preis hat. Sei es körperliche oder geistige Versehrtheit oder gar den Tod von beinahe unschuldigen Menschen.

Bruen legt diese, eigentlich todtraurige Erzählung raffinierterweise wie eine Komödie an. Doch fast jeder noch so beiläufige Witz hat Widerhaken. Jack Taylor und sein Autor wissen genau, was Ambrose Bierce mit seinem Ausspruch "auch ein nackter Mensch kann in Fetzen sein" meinte, und dass Zynismus oft nur die Angst vorm Absturz ins bodenlose Dunkel kaschiert.

Gesellschaft leisten dabei Musik und Literatur. Und hier findet Jack Taylor, logischerweise, seine größte Entsprechung. So lässt ihn Ken Bruen über Lawrence Blocks Matt Scudder sinnieren, jenen Ex-Polizisten, der nach einem tragischen Todesfall zum Alkoholiker wurde. Und in New York genau dort versackte, wo es Jack in Galway hintreibt: im Grogans. Ob Jack allerdings wie Matt Scudder dem Alkohol irgendwann abschwören kann, steht noch in den Sternen.

Bis dahin gilt die im Roman zitierte Tagebuchpassage Thomas Mertons:

 

Mir ist klar, dass ich eine Vergangenheit habe, mit der ich brechen muss-, eine Anhäufung von Trägheit, Unrecht, Narretei, Fäulnis, Müll. Ein großes Bedürfnis nach Klärung, nach Sinnstiftung, oder vielmehr nach gar keinem Sinn. Ein Bedürfnis, zur echten Praxis zurückzukehren, zur wirklichen Mühe. Bedürfnis, den großen Zweifel anzustacheln. Bedürfnis nach dem Geist der Erleuchtung. Am klaren Licht dranbleiben.

 

Slainté!

Auch wenn es dem Atrium-Verlag zu gönnen ist, dass der dicke Hinweis auf Harry Rowohlt fast in der gleichen Größe wie der Name des Autors Bruens Roman Leser zuführen wird, die den brillanten Selbstdarsteller und vielfach verdienten Übersetzer mögen, lässt die Übersetzung oft ratlos zurück. Rowohlt möchte so gerne originär und spektakulär sein und bleibt viel zu oft nur spekulativ. Das unsägliche "manno" des Vorgängers kommt zwar nicht mehr vor, aber neben einigen stimmungsvollen Passagen, festigt sich der Eindruck, dass Rowohlt Ken Bruens düstere Weltsicht aufs rein Humoristische hin glatt gebügelt hat. Das beginnt mit dem ersten Satz "Der Bub ist wieder in der Stadt", diese unsinnige und überflüssige Eindeutschung des Wortspiels mit dem Thin Lizzy(!)-Klassiker, der so eher auf Tom Sawyers neueste Abenteuer verweist, als auf einen existenzialistischen Noir mit Hang zur schwarzen Komödie. Der spoilernde deutsche Titel muss nicht auf Rowohlts Mist gewachsen sein, ist aber genau das.

"Eine Parka" und das bereits erwähnte "Düsterkeit" mögen grammatikalisch korrekt sein, klingen trotzdem scheußlich. Ein weiteres "Bub" und vor allem das geschmetterte "Burschi" tun auch nicht Not. Gänzlich von allen guten Geistern verlassen ist Rowohlt (oder seine Rechercheure), wenn vom durchaus interpretationsreichen Film "Der große Lebowski" die Rede ist. Ob da F. Scott Fitzgerald der Vater des Gedanken war, sei dahingestellt, aber das Werk der Coen-Brüder heißt natürlich auch hierzulande "The Big Lebowski". Der "Dude" wird übrigens exzellent gespielt von Jeff Bridges, der auch schon Matt Scudder zum besten gab. Verwandte im Geiste. Der ansonsten sehr geschätzte Rowohlt zählt diesmal leider nicht dazu. Denn es entsteht der Eindruck, dass sich der Übersetzer mindestens so wichtig nimmt, wie den Autoren, den er übersetzt. Fataler Fehler.

Ob das leicht arrogante Glossar sein muss, sollte jeder Leser für sich selbst entscheiden. Ich brauche niemand, der mir in zwei kurzen Sätzen erklärt, wer die einzig wahre Queen of Hearts Helen Mirren ist.

PS.: Noch ein dickes Dankeschön an Ken Bruen: Van Morrisons "Astral Weeks" wieder ausgegraben und Johnny Duhan entdeckt. Alleine dies ist die Lektüre (auch auf deutsch) schon wert!

Jack Taylor liegt falsch

Ken Bruen, Atrium

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