Jack Taylor und der verlorene Sohn

  • Atrium
  • Erschienen: Januar 2011
  • 3
  • London: Bantam, 2006, Titel: 'Priest', Seiten: 290, Originalsprache
  • London: Corgi, 2007, Seiten: 363, Originalsprache
  • Zürich: Atrium, 2011, Seiten: 304, Übersetzt: Harry Rowohlt
Jack Taylor und der verlorene Sohn
Jack Taylor und der verlorene Sohn
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Lars Schafft
86°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2007

Dunkle Wolken über der irischen Seele

Diese Rezension bezieht sich ausschließlich auf die englische Originalausgabe Priest.

Schon eigenartig: Krimis aus Großbritannien laufen wie eh und je hervorragend im deutschsprachigen Raum, selbst Randerscheinungen wie der "Tartan-Noir", düstere Kriminalromane, die in Schottland spielen und bestenfalls von Schotten geschrieben wurden, kommen nicht erst seit Ian Rankin an. Schaut man aber auf Irland, wird´s bis auf ganz wenige Ausnahmen zappenduster. Was aber wohl eher am Desinteresse deutscher Verlage als an mangelnder Qualität der Iren liegen dürfte.

Ken Bruen ist so ein Autor, der dazu gerne mit dem Etikett "Irish-Noir" versehen wird. Und vor neun Jahren (!) sogar in den Genuss von zwei Übersetzungen ins Deutsche kam. Im anglo-amerikanischen Raum erhält Bruen aber nicht nur wichtige Krimi-Preise, sondern auch noch formidable Kritiken. Priest ist sein vorletzter Roman um Jack Taylor, "Irlands einzigem Privatdetektiv". Und zeigt, mit welcher kraftvollen Sprache der Ire gesegnet ist. Noir für Fortgeschrittene.

Denn: Bruen tüncht seinen Roman zwar in alle Genre-typischen Klischees, aber er dreht sie in Priest um. Und gewährt dabei einen tiefen Einblick in die Melancholie der irischen Seele. 

Jack Taylor wird aus stationärer psychiatischer Behandlung entlassen. Eigentlich war es ein einfacher Job: Babysitter für die mit dem Down-Syndrom lebende, dreijährige Tochter eines guten Freundes. Nur einen Moment hatte er nicht aufgepasst. Der Moment, in dem das Mädchen aus dem Fenster kletterte und den Fall nicht überlebte. Nicht nur die Ehe der Eltern zerbrach, sondern auch Taylors Psyche. Die Entlassung aus der Anstalt kann also nur ein absoluter Neuanfang werden. Ein schmerzlicher. Taylor muss nicht nur mit seiner Schuld leben, sondern auch lernen, ohne Alkohol durch den Alltag zu kommen. Das zermürbt:

 

Die klassische Definition von Depression ist nach innen gerichtete Wut. So wie ich das verstehe, wurde ich demnach depressiv geboren. Keinen verdammten Deut mehr. Ich bin nicht untergegangen in diesem kalten Wasser, das sich Depression nennt, bei der der beste Moment des Tages das Zubettgehen ist. Natürlich ist das Allerschlimmste das Erwachen, wenn dich diese schwarze Wolke erwartet und du denkst "nicht schon wieder diese Scheiße". 1

 

Es geht in Priest also vor allem um das Innenleben des Protagonisten, wie er am "neuen", europäisierten bis globalisierten Irland, seiner "neuen" Heimatstadt Galway mit dem ganzen Stahl und Glas, ohne Alkohol - und dazu bald auch schon ohne Kippen - den Alltag überstehen soll. Sein Job als Privatdetektiv ist da eine denkbar ungesunde Medizin, Taylor will einen "normalen" Job annehmen. Doch der geköpfte Pater Joyce, dessen Verstrickungen in Pädophilie und Taylors ganz besonderes Verhältnis zu den - euphemistisch ausgedrückt - wenig geschätzten Geistlichen, die einen Skandal verhindern wollen, lassen ihn wieder "down these mean streets" wandern. Unterstützt ausgerechnet von einem blutjungen Burschen, dessen Begeisterung für die Arbeit eines Schnüfflers keine Grenzen kennt. Und für den Taylor sogar väterliche Gefühle entwickeln soll.

Die Handlung in Priest weiß aus klassischen Krimi-Gesichtspunkten etwas verwunderlich wenig zu überzeugen. Anders ausgedrückt: Sie ist sekundär. Priest lebt von Ken Bruens wortgewaltig-drastischen Schilderungen einer kaputten Seele und eines kaputten Landes, dessen Einwohner alten Traditionen hinterhertrauen, die alles moderne scheuen und wo letztendlich selbst die doch so wichtige Kirche keine moralische Instanz mehr darstellen kann: sich zu Tode saufende Pfarrer, herumhurende Priester. Um es mit Bruens Worten auszudrücken: Die Frage ist nicht, warum Jahr für Jahr so viele Iren Selbstmord begehen. Die Frage ist: warum so wenig?

Die Figur des Jack Taylor erfährt dabei einige interessante Wendungen, die aus ihr einen absolut unvergleichlichen Charakter machen. Taylor ist eigentlich zu alt, um Privatdetektiv zu sein, begeisterter Krimi-Leser von amerikanischen Hardboileds, macht sich mit Nikotinpflastern zum Nichtraucher, weil er - ausgerechnet - Gott ein Versprechen dazu abgeben hat. Und er liebt das Spiel mit dem Feuer: Er geht in verrauchte Pubs, bestellt billigen Fusel, ohne ihn anzurühren; kauft Whisky; um ihn an Penner zu verschenken.

Sprachlich bewegt sich Bruen dabei zwischen energiegeladenem Gossenslang (eine Nachhilfestunde darin, wie vielfältig einsetzbar das Wort "fucking" ist) und fast poetisch anmutenden Intermezzi. Mal drastisch, mal karg, mal gedankenverloren - aber immer auf den Punkt. Vielleicht vergleichbar mit David Peace, wenn auch weniger experimentell. Gerade wegen dieser Ähnlichkeit und Peaces Erfolg bei der deutschen Kritik ist es schwer verständlich, dass Ken Bruens Romane mit all ihren Alleinstellungsmerkmalen nicht auf Deutsch erscheinen.

Priest ist natürlich Nische, alles andere als aalglatter Mainstream - unterm Strich und um im Jargon des Buches zu bleiben aber ein "fucking good read" mit einem wahrlich tragischen Finale.

1) Ken Bruen. Priest. London: Corgi, 2007, S. 165. Übersetzt von Lars Schafft.

Jack Taylor und der verlorene Sohn

Ken Bruen, Atrium

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