Im kalten Licht des Frühlings

  • Wunderlich
  • Erschienen: Januar 2009
  • 2
  • Reinbek bei Hamburg: Wunderlich, 2009, Seiten: 429, Übersetzt: Anja Schünemann
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2010, Seiten: 429
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Wolfgang Weninger
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2009

Geruhsame Lesestunden

"Wie viele Morde passieren eigentlich durchschnittlich auf einer kleinen Insel?" mutmaßte im Vorjahr meine Krimi-Couch-Kollegin Sabine Reiss anlässlich der Rezension von Der längste Tag und da Ann Cleeves ihren Inspektor Jimmy Perez auch jetzt wieder Im kalten Licht des Frühlings über Whalsay, ein kleines Eiland der Shetland-Inseln jagt, scheint die Bevölkerung doch recht mörderisch veranlagt zu sein.

Oder war es diesmal nur ein dummer, tödlicher Unfall? Auf dem Grund und Boden der alten Mima finden Archäologen Überreste eines alten Handelshauses, das einem Hansekaufmann gehört haben dürfte. Der jüngste Erfolg des Grabungsteams, das im Wesentlichen aus den zwei jungen Frauen Hattie und Sophie und einigen örtlichen Freiwilligen besteht, sind unterschiedliche Knochen eines Skelettes, die zur Altersbestimmung ins Labor müssen. In der Nacht nach dem spektakulären Fund wird Mima erschossen. Ihr Nachbar Ronald wollte in angetrunkenem Zustand Kaninchen jagen, die hier zur Landplage geworden sind.

Ronald erinnert sich am nächsten Tag an nichts. Aber der Inselpolizist Sandy scheint mit dem Fall völlig überfordert zu sein und so muss Inspektor Perez anreisen und die Sache in die Hand nehmen. Auf einer Insel mit gerade mal 1030 Einwohnern ist aber jeder irgendwie mit den anderen verwandt, verschwägert oder verfeindet und es blühen Klatsch und Tratsch, der vom Großvater an den Vater und den Sohn weitergegeben wird und adäquat passiert dies auch bei den Frauen des Ortes. Sandy ist folglich befangen und überlässt weitgehend Perez die Verhöre. Aber auch er hat so manches gehört, was sich damals im Leben Mimas abgespielt haben soll und wenn da nur ein Funken Wahrheit daran ist, dann ist auch seine Familie nicht ganz astrein.

Inspektor Perez, von seiner neuen Liebe Fran getrennt, fühlt sich auf der Insel einsam und kommt an die Dorfbewohner nicht richtig heran. Auch wenn es klar scheint, dass Ronald der Übeltäter war, sagt ihm sein Bauchgefühl etwas anderes. Als dann auch noch die vom Schicksal gebeutelte Hattie an der Grabungsstätte mit aufgeschlitzten Pulsadern gefunden wird, glaubt Jimmy nicht mehr an tödliche Zufälle ...

Anja Schünemann hat bei Wunderlich aus Red Bones das über vierhundert Seiten lange Im kalten Licht des Frühlings übersetzt. Was Ann Cleeves schon in den Vorgängerbänden ausgezeichnet hat, ist die Schilderung der kargen Landschaft, die die Menschen geprägt hat und das Leben mit und von der See, die den Alltag und die Gemeinsamkeit der Einwohner bestimmt. Hier weiß jeder (fast) Alles vom Anderen, hier wird ge- und verurteilt, bevor der Prozess gemacht wird und die Gerüchteküche brodelt.

Ann Cleeves lässt in ruhiger Sprache ihre Figuren wachsen, verknüpft die Sorgen und Schicksale der Inselbewohner zu einem Gesellschaftsteppich, zu dem ein Fremder oder eine Fremde keinen Zutritt haben. Wer hier anlandet, der verzweifelt entweder an der Trostlosigkeit oder er hat genau diese gesucht, exakt, wie es die unterschiedlichen Frauencharaktere Hattie und Sophie demonstrieren. Und genau diese Zeichnung der Individuen ist die große Stärke von Ann Cleeves, denn tödliche Spannung kann sie über die gesamte Länge des Romans nicht erzeugen, aber das ist bei dieser Form von Lokalkolorit auch nicht beabsichtigt und fehl am Platze.

Wer sich Im kalten Licht des Frühlings mit der Kriminalität auf den Shetland-Inseln auseinandersetzen will, den erwarten geruhsame Lesestunden, bei denen die Gänsehaut von der Schilderung der Wetterlage kommt. Wären da nicht zwei Leichen auf den Buchseiten verstreut, könnte man die Erzählung aus Whalsay einem schottischen Ableger von Ludwig Ganghofer zuschreiben.

Im kalten Licht des Frühlings

Ann Cleeves, Wunderlich

Im kalten Licht des Frühlings

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