Schwarze Engel

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2000
  • 10
  • Boston: Little, Brown, 1998, Titel: 'Angel's Flight', Seiten: 393, Originalsprache
  • München: Heyne, 2000, Seiten: 412, Übersetzt: Sepp Leeb
  • München: Heyne, 2001, Seiten: 412
  • München: Heyne, 2005, Seiten: 412
Schwarze Engel
Schwarze Engel
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Bosch blüht auf

Eigentlich ist es Harry Bosch, Detective beim Morddezernat der Hollywood Division des Los Angeles Police Department, gewohnt, mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und an den Schauplatz eines Mordes gerufen zu werden. Dieser Fall liegt jedoch abseits jeder Routine; das weiß er sofort, als er erfährt, wer da erschossen in einer der Kabinen des "Angel´s Flight" liegt, der Standseilbahn, die einen der steilen Hügel von Downtown L. A. hinaufführt: Howard Elias, der berühmt-berüchtigte Bürgerrechtsanwalt, der seit Jahren einen regelrechten Kreuzzug gegen die Polizei von Los Angeles führt und sie mit Anklagen wegen Amtsmißbrauch, Brutalität und Rassismus überhäuft. Elias nutzte clever die Ohnmacht der Behörde aus, die nach einer Reihe von Skandalen in der jüngeren Vergangenheit ängstlich um ihr Image besorgt ist und lieber nachgibt, als erneut negative Schlagzeilen zu provozieren. Der Anwalt hat sich auf diese Weise das gesamte LAPD zum Feind gemacht; nun ist er tot, buchstäblich hingerichtet, und in den Reihen der Polizei dürfte sich leicht mehr als ein Verdächtiger finden. Hinzu kommt: Elias ist schwarz...

Bosch rätselt, wieso er und sein Team gerufen wurden. Da sich der Elias-Mord außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Hollywood Division ereignet hat, argwöhnt er sogleich, dass die Polizei ein politisches Bauernopfer sucht. Bosch ist erfolgreich, aber nicht beliebt, denn er ist eigensinnig, und er scheut sich nicht, "die Späne fallen zu lassen, wie sie fallen", wie er es auszudrücken pflegt. Schon mehrfach wollte man ihn loswerden, doch bisher konnte er sich seiner Haut erwehren. Nun sitzen ihm und seinen beiden Partnern die Wölfe im Nacken. Chief Irving, Boschs Vorgesetzter, "verstärkt" das Ermittlungsteam um drei Beamte der internen Dienstaufsicht, unter ihnen der verhasste Chastain. Schon zweimal hat er gegen Bosch ermittelt und diesen hart bedrängt. Seither sind die beiden erbitterte Feinde. Sie bemühen sich der Sache willen um einen Waffenstillstand, doch der Frieden ist brüchig...

Die ohnehin schwierigen Ermittlungen werden wie befürchtet behindert. Viele Polizeibeamte des LAPD würden dem unbekannten Mörder lieber ein Denkmal setzen als ihn festzusetzen. Sie scheuen nicht davor zurück, Spuren zu verwischen und Bosch zu bedrohen. Die schwarze Gemeinde der Stadt verstärkt den Druck. Mit aus trüben Erfahrungen gespeistem Argwohn beobachtet sie die Arbeit der Polizei, die womöglich allzu lax gegen sich selbst ermittelt. Immer präsent ist die Presse, die eine Sensation wittert. Wenig Rückhalt bekommt Bosch durch den Polizeipräsidenten, der auf eine rasche Lösung des Falls - am liebsten als simplen Raubmord - drängt.

Die Situation eskaliert, als Bosch und sein Team Elias´ letzten Fall rekonstruieren. Dieses Mal war der Anwalt einem echten Skandal und einem üblen Justizirrtum auf die Spur gekommen. Vor Gericht wollte er daraus Kapital schlagen, doch das hat der wahre Täter offenbar erfahren und Elias ausgeschaltet. Harry Bosch setzt sich auf seine Fährte - und stösst unversehens mitten hinein in ein Wespennest aus Korruption, Kindesmissbrauch, Verrat und Rache, das bald weitere Opfer fordert...

Mit dem vorliegenden Harry Bosch-Thriller macht Michael Connelly das halbe Dutzend voll: "Schwarze Engel" ist sein sechster Harry Bosch-Thriller. Von Ermüdungserscheinungen ist erfreulicherweise nichts zu spüren. Erneut scheint es die ganze Welt auf den gebeutelten Bosch abgesehen zu haben, den seine Eltern - ahnungsvoll? - "Hieronymus" tauften. Ein politisch brisanter Fall, Feinde in den eigenen Reihen, die nur auf einen Fehler lauern, dazu ein aus den Fugen geratenes Privatleben: Weniger robuste Charaktere wären unter der Last der Plagen zu Boden gegangen - nicht aber Harry Bosch. Er blüht unter Druck förmlich auf. Ein leichter Gegner ist er ohnehin nie, ein friedfertiger Zeitgenosse sowieso nicht. Keinesfalls läßt er sich einschüchtern. Ränge und Namen imponieren ihm wenig. Drohungen und Gewalt schätzt er nicht, aber er ist bereit, Beides einzusetzen, wenn er es für nötig hält. Das heißt allerdings nicht, dass Bosch über kein diplomatisches Talent verfügt. Er hat den Mumm, zu bluffen und notfalls zu lügen, wenn es sein muss. Seine Vorgesetzten wissen ein Lied davon zu singen. Entschlossen, aber nicht starrsinnig, ist er seit fünfundzwanzig Jahren höchst erfolgreich bei der Polizei. Er ist gut, er weiß es, und er kann sich auch nicht vorstellen, etwas anderes zu machen.

"Schwarze Engel" ist eine unglückliche "Übersetzung" des Originaltitels, die zudem auf eine völlig falsche Fährte lockt. Sollte er sich auf den ermordeten Anwalt Elias beziehen, könnte er sogar falscher gar nicht gewählt worden sein, denn dieser war alles andere als ein Engel. Überhaupt gibt es keine "guten" und keine "bösen" Menschen in der Welt des Michael Connelly. Seine Figuren sind ambivalent, nicht eindimensional, und die daraus resultierende Unsicherheit lässt sie niemals langweilig werden. Harry Bosch, Connellys gar nicht heroischer Held, ist davon keineswegs ausgenommen. Die Intensität, mit der er seinem geliebten wie gehassten Job bei der Mordkommission nachgeht, hat durchaus etwas Manisches. Kein Wunder, dass es mit seinem Privatleben nie zum Besten bestellt ist. Nach nur einem Jahr Ehe hat ihn seine Ehefrau verlassen (wir lernten sie in "Das Comeback", dem fünften Bosch-Roman, kennen), ein alter Freund kommt unter traurigen Umständen zu Tode... Aber wie gesagt: Ein Harry Bosch scheint solche Schläge insgeheim herauszufordern. In einem stillen Moment ist er in der Lage, vor sich selbst zuzugeben, dass ihn das Scheitern seiner Ehe in mancher Hinsicht sogar erleichtert.

Dennoch gibt es "Engel" in diesem Buch, denn Connelly hat ein Faible für Symbolik. Da ist die Standseilbahn "Angel´s Flight", die ihrem Passagier Howard Elias gewissermassen eine Himmelfahrt verschafft. Wie ein Engel habe die Leiche des kleinen missbrauchten Mädchens ausgesehen, als man es tot auf einem verlassenen Grundstück fand, können wir gleich mehrfach lesen, und als es schliesslich dem Mörder im Finale an den Kragen geht, sieht Harry "Hieronymus" Bosch darin eine Analogie zu Luzifers Sturz aus dem Himmel in den Höllenpfuhl.

Das sind nicht gerade Bilder, die man gemeinhin mit jenen watteweißen, sanften Gestalten verbindet, deren Existenz der amtierende Papst quasi von Amtswegen nachdrücklich bestätigt hat. Aber das wäre auch sehr verwunderlich gewesen, denn Michael Connelly neigt in seiner Weltsicht nicht zu ausgeprägtem Optimismus. Ein jeder kocht sein eigenes Süppchen und ist jederzeit bereit, in den Topf des anderen zu langen. Andererseits vertritt Connelly seine Ansichten nicht mit fanatischem Ernst. Er verfügt über einen angenehm trockenen Humor, den er sogar in den Bosch-Romanen wohldosiert einzusetzen weiss: So fällt Bosch ein Plakat auf, das einen Film mit dem Titel "Das zweite Herz" ankündigt; dies ist eine Geschichte, die Connelly in einem gleichnamigen Roman außerhalb der Bosch-Serie erzählt hat - im "Bosch-Universum" hat nun Clint Eastwood einen Film daraus gemacht...

Überhaupt sollte man "Schwarze Engel" aufmerksam lesen, schon damit einem die vielen "chandleresken" Spitzen und Anspielungen nicht entgehen. "Die Reichen ließen einen warten, damit man ungestört bewundern konnten, was sie hatten." (S. 276); "Bosch entging nicht, dass sie von Unruhen anstatt von Krawallen sprach. Er fragte sich, ob es nicht mehr politisch korrekt war, Krawalle als Krawalle zu bezeichnen." (S. 203); "Die Rechnungsstelle der Polizei betrachtete das [Fingerabdrucks-] Pulver nicht als Berufsrisiko und würde deshalb nicht für die Reinigungskosten aufkommen, wenn er sich damit die Jacke schmutzig machte." (S. 84) - solche feinen Details lassen sich an vielen Stellen finden.

Die Geschichte selbst ist sauber geplottet und führt ihre Leser besonders im letzten Teil erfolgreich an der Nase herum. Gleich mehrfach kippt das Bild, das schon ganz klar schien, in sein Gegenteil um, und dann wieder zurück. Die Auflösung stellt eine Überraschung dar und präsentiert einen Schuldigen, auf den man nicht unbedingt getippt hätte, weil es zu offensichtlich gewesen wäre. Man muss allerdings eine "Antenne" für die Machtspiele und Ränken innerhalb der Polizeibehörde haben, denen Connelly weit mehr Raum gewährt als der Ermittlungsarbeit und den genretypischen Schießereien und Verfolgungsjagden. Abseits der schon zum Klischee geronnenen "Cop-Action" ist es aber spannend, einen Blick auf den Polizeialltag in Los Angeles nach dem Rodney King-Skandal und den sich anschliessenden bürgerkriegsähnlichen Unruhen von 1992 und dem O. J. Simpson-Desaster zu werfen, der geprägt ist von politischem Kalkül, gegenseitigem Belauern und einem fast pathologischen Eifer, sich vor einem Einsatz auf jede nur denkbare Weise juristisch abzusichern.

Schwarze Engel

Michael Connelly, Heyne

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