Nachtfalter

  • Diogenes
  • Erschienen: Januar 2001
  • 18
  • Ein Fall für Kostas Charitos 2
  • Athen: Gabrielides, 1998, Titel: 'Άμυνα ζώνης', Originalsprache
  • Zürich: Diogenes, 2001, Seiten: 553, Übersetzt: Michaela Prinzinger
  • Zürich: Diogenes, 2003, Seiten: 553
  • München: Süddeutsche Zeitung, 2006, Seiten: 366
Nachtfalter
Nachtfalter
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Wolfgang Weninger
66°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2004

Dieses Buch macht Lust darauf, mehr über den griechischen Polizisten zu lesen!

Urlaub in Griechenland! Wer schwärmt nicht davon? Blaues Meer, heißer Sand, griechischer Wein, Kultur und Freiheit, mit der Seele baumeln.

Kommissar Charitos geht das alles so ziemlich auf die Nerven. Urlaub auf der Insel, wegen der knappen Reisekasse bei der Familie seiner Frau, wo zu allem Unglück nicht nur nervige Erwachsene, sondern noch lästigere Kinder den Lärmpegel in dem heruntergekommenen Wohnhaus zünftig hoch halten.

Erlösung von diesem Martyrium bringt ein Erdbeben, verbunden mit Dauerregen. Und als ein Erdrutsch auch noch eine Leiche zu Tage befördert, die gemäss dem kriminalistischen Auge des Kommissars keines natürlichen Todes unter die Erdmassen kam, ist der dringend benötigte Urlaub zum Vergessen.

Gemeinsam mit dem unbekannten Toten geht es mit der Fähre zurück nach Athen, wo nicht nur brütende Stadthitze und durch den Streik der Müllwagenfahrer sich türmende und stinkende Abfallberge den überarbeiteten Kriminalisten erwarten, sondern auch ein weiterer Mordfall.

Einen der Großen, die das Rotlichtmilieu bestimmen, hat vor seinem Nachtlokal ein Schütze mit vier Schüssen nieder gestreckt. Kommissar Charitos ermittelt. Aber je tiefer er in den Sumpf um den Halbweltdominator Koustas er eintaucht, um so brisanter wird die Situation rund um Korruption in der Politik, Manipulation in der lokalen Fußballliga und den familiären Verstrickungen.

Charitos wird dies alles zu viel. Das Herz will nicht mehr mit der stressigen Gangart mithalten und so wird der Zwangsaufenthalt in der Klinik unvermeidbar. Zu allem Überfluss mischen zum beruflichen Unbill auch noch die ständig nörgelnde Ehefrau mit und das Töchterchen hat nichts Besseres zu tun, als sich in den behandelnden Arzt zu verlieben und dem langjährigen Freund den Laufpass zu geben.

So schnell wie möglich eilt Charitos deswegen wieder in sein Büro, um die Arbeit auf zu nehmen. Aber wo er auch ermittelt, stößt er auf Schweigen, Misstrauen und moralischen Sumpf. Von höchster Stelle werden ihm die Ermittlungen untersagt, und der Zuwiderhandelnde wird daraufhin vom Dienst suspendiert.

Wie es Kommissar Charitos trotzdem schafft, die beiden Mordfälle, zu denen sich im Lauf der Handlung noch Folgeleichen gesellen, zu klären, verrate ich natürlich nicht.

Der 1937 in Istanbul geborene Autor Petros Markaris, der in Athen lebt und vor diesem, seinem zweiten Roman bereits durch Theaterstücke, Fernsehserien und Übersetzungen großer Dramatiker, wie Brecht und Goethe, Bekanntheit erlangte, hat mit Kommissar Charitos einen jener modernen Kultbeamten geschaffen, die den derzeitigen schwedischen und italienischen Romanhelden um nichts nachstehen.

Charitos ist ein durch langjähriges Ehe- und Polizistenleben gezeichneter Zyniker und die gar nicht beschauliche Alltagsszenerie in Athen wird in schon fast drastischem Lokalkolorit geschildert. Die im Anhang geführte Personenliste ist dringend notwendig, denn man ertappt sich beim Lesen mehr als einmal dabei, nicht zu wissen, welcher Name nun gerade wer ist. Für des Griechischen nicht mächtige Leser, und das dürfte ja die Mehrheit sein, klingen die -as und -opolous zunächst ziemlich verwirrend. Auch die ständige Aufzählung der Strassen und Boulevards ist für den Ortsunkundigen nur durch Überlesen oder Nachschlagen auf der Straßenkarte Athens unter zu bringen.

Aber Markaris schafft den Spagat zwischen simple Familienszenen und harte Detektivarbeit auch ein politisches Spiegelbild des Landes einzustreuen, das nicht nur dem gängigen Touristenklischee widerspricht, sondern auch die Gesinnung des Mannes von der Strasse verdeutlicht, ohne dabei uninteressant zu werden.

Die Dramaturgie, mit der Markaris die unterschiedlichen Handlungsfäden miteinander verwebt und dabei einen ständigen Spannungsaufbau zu liefern, ist logisch konstruiert und flacht auf den 552 Seiten niemals ab. "Nachtfalter" ist ein Roman, den man am Liebsten in einem Zug auslesen möchte. Der im Diogenes-Verlag erschienene Kriminalschmöker zeigt einen sehr menschlichen Hauptdarsteller, mit dessen Denk- und Arbeitsweise man sich leicht identifizieren kann, weil gerade in den privaten Sorgen und Problemen, die mit reichlich Humor abgehandelt werden, viel Alltägliches verpackt ist.

Daher eine klare Empfehlung, denn dieses Buch macht Lust darauf, mehr über den griechischen Polizisten zu lesen!

Nachtfalter

Petros Markaris, Diogenes

Nachtfalter

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