Tana French

Spannung ohne Splatter

10.2009 Die irische Autorin Tana French über ihre beiden Psycho-Thriller Grabesgrün und Totengleich, die Unnötigkeit von ausufernder Gewalt und darüber, warum der Verzicht darauf zwangsläufig längere Bücher mit sich bringt.

Krimi-Couch: Zuerst ein paar Worte zu Ihrer Biographie. Sie haben fürs Theater, für den Film und fürs Fernsehen gearbeitet. Als Schriftstellerin, als Schauspielerin oder beides?

Tana French: Nur als Schauspielerin. Es mag sich komisch anhören, aber einen Roman zu verfassen ist eigentlich näher am Schauspielern als Drehbücher zu schreiben. Ich schreibe in der Ersten Person – man sieht alles durch die Augen des Erzählers, gefiltert durch seine Wahrnehmung, beschrieben mit seiner Stimme. Das war über Jahre mein Job als Schauspielerin: eine Figur zu erschaffen und stundenlang aus ihrer Perspektive zu agieren, sie dem Publikum so nah wie möglich zu bringen. Einen Roman zu schreiben ist nur eine Erweiterung dessen. Ich spiele den Erzähler für eineinhalb Jahre – freilich auf dem Papier statt auf der Bühne, aber der mentale Prozess ist der gleiche. Um ein Drehbuch zu schreiben, müsste ich von einer viel mehr losgekoppelten Perspektive arbeiten, als Außenstehender denn als Figur, die die Story am eigenen Leib erfährt. Ich habe keine Idee, wie ich das machen könnte. Das Arbeiten aus dem Inneren ist alles, was ich kann.

Krimi-CouchGrabesgrün nimmt sich den Luxus heraus, nicht alle offenen Enden zu schließen. Mutig! Gab es da nicht die ein oder andere Beschwerde Ihrer Leser?

Tana French: Manche mochten das Ende, andere waren empört. Es war jedenfalls kein Versuch, etwas Bahnbrechendes auf die Beine zu stellen. Einfach und ehrlich gesagt, war es das einzig mögliche, ehrliche Ende für das Buch. Rob ist einer dieser Menschen, der immer dann, wenn er kurz vor einem unwiderruflichen Schritt steht, so schnell wie möglich in die andere Richtung rennt. Er ist so schrecklich versehrt, dass er diesen Schritt nicht riskieren kann, wenn er ihn in eine Millionen Teile zerschmettern würde.

Als ich mich also dem Ende von Grabesgrün näherte, hatte ich drei Möglichkeiten zur Wahl: Der Erzähler des letzten Kapitels wird eine völlig andere Person, um eine Auflösung zu erzwingen (billig und kitschig); einen deus ex machina zu verwenden und irgendjemand anderes mit der Auflösung auftauchen zu lassen (billig und kitschig); oder zur Figur zu stehen und das beste Buch zu schreiben, das ich kann. Auch wenn es nicht mehr genau zu den Formeln des Genres passt, meinte ich, dass die dritte Möglichkeit die einzige mit Anstand bzw. die stimmig war.

Leser suchen nach ganz unterschiedlichen Dingen, wenn sie zum Buch greifen. Manche mögen ein Ende, das sie zum Nachdenken und Wundern bringt und diese wären absolut wütend über ein Ende, dass die Figur betrügen würde, nur um sich an die Regeln des Genres zu halten. Andere hingegen haben ein viel tieferes Bedürfnis nach einem geschlossenen Ende und viel größere Probleme mit offenen Enden. Es gab überhaupt keine Möglichkeit, ein Ende zu schreiben, dass diesen beiden Geschmäckern gerecht geworden wäre. Mir blieb nur übrig, ein Buch so zu schreiben, wie ich es am besten kann – und dann in Deckung zu gehen!

Krimi-Couch: Haben Ihre beiden Bücher so viele Seiten, weil Sie diesen intimen Blick in die Tiefe des menschlichen Wesens so mögen? Ihre Romane sind sehr weit weg von diesen spektakulären Verbrechen (meist auch noch von irgendeinem Verrückten begangen), über die viele erfolgreiche Autoren schreiben. Es gibt nur wenig Morde und keine blutigen Splatter-Orgien. Das Psychologische spielt eine weitaus größere Rolle als das Physische. Möchten Sie ganz bewusst ein Gegenpol zu den ganzen unglaubwürdigen, größtenteils unrealistischen, gefühlsduseligen Schaut-euch-diese-hochtechnisierte-CSI-Welt-Bestsellern sein?

Tana French: Das ist keine bewusste Entscheidung. Ich bin weder sonderlich interessiert am High-Tech-Ende des Genres, noch am blutrünstigen Ende. Außerdem gibt es meiner Meinung nach auch keinen Anlass, dick mit Blut und Eingeweiden aufzutragen, um eine emotionale Wirkung zu erzeugen. Mord an sich ist schon ein enormes Geschehnis – das Ungeheuerlichste und Schrecklichste, was ein Mensch dem anderen antun kann. Wenn man sich daran hält, wenn man aufzeigt, welche immensen psychologischen Auswirkungen ein Mord schon für die Personen hat, die er irgendwie tangiert – nicht nur das Opfer, auch die Familie und die Freunde des Opfers, sowie die Familie und die Freunde des Mörders, die Gesellschaft, die Kommissare, die mit dem Fall beschäftigt sind – dann muss man das nicht noch weiter mit der Effekthascherei treiben.

Aber ja, das ist definitiv der Grund, der zu längeren Büchern führt. Die menschliche Seele ist weitaus komplexer als Forensik jemals sein könnte. Um dem gerecht zu werden, braucht man ein bisschen mehr Platz.

Krimi-Couch: Wenn ich mir Ihrer Romane anschaue, würde ich sagen, dass Sie nahe an Patricia Highsmith sind. Kann das hinkommen? Welche Autoren mögen Sie sonst noch?

Tana French: Ich liebe Patricia Highsmith, das ist also ein riesiges Kompliment, vielen Dank! Außerdem mag ich Josephine Tey, Donna Tartt, Dennis Lehane, Gillian Flynn – ich mag Schriftsteller, die mit den Grenzen des Genres spielen, die herausfinden wollen, wie sie es erweitern können, anstatt sich an die bekannten Konventionen zu halten. Was nicht Krimi-Autoren angeht, mag ich T.H. White, Barbara Kingsolver, Patrick McCabe, Mary Renault, …Mein Geschmack ist breit gefächert!

Krimi-Couch: Der erste Teil von Grabesgrün erinnert mich ein wenig an die Filme Takeshi Kitanos, besonders an Sonatine. Nicht, dass Ihr Roman besonders viel Japanisches enthalten würde, aber die Grundlagen sind die selben: Das Kindische, das glückliche Herumtollen, diese kleinen Momente der friedlichen Ausgelassenheit. Während im Hintergrund explodierende Gewalt und Nervenzusammenbrüche darauf warten, ins Blicklicht zu geraten. Kennen Sie Kitanos Filme? Oder ist das reiner Zufall und eine kranke Idee von mir?

Tana French:Nein, ich habe vorher noch nie etwas von Takeshi Kitano gehört – aber jetzt interessiert es mich schon, mir diese mal anzuschauen!

Krimi-Couch: Zwei letzte Fragen: Arbeiten Sie an Buch drei? Falls ja: In welche Richtung wird es gehen?

Tana French: Das dritte habe ich gerade im Sommer beendet. Dieses Mal ist Frank Mackey, Cassies alter Chef aus Totengleich, der Erzähler. 1985 war Frank neunzehn und wuchs in armen Verhältnissen in Dublins rauer Innenstadt auf. Er hatte vor, mit seiner ersten Liebe, Rosie Daly, zusammen nach London abzuhauen. In der Nacht, als sie Dublin verlassen wollte, kam Rosie nicht. Frank war sicher, dass sie ihn sitzengelassen hatte. Wahrscheinlich wegen seinem alkoholkranken Vater, seiner irren Mutter und grundsätzlich wegen seiner kaputten Familie. Er kam nie mehr nach Hause, Rosie auch nicht. Alle waren überzeugt, dass sie sich auf eigene Faust nach England aufgemacht hatte und dort nun ihr schönes, neues Leben hätte. Dann, zweiundzwanzig Jahre später, taucht ihr Koffer hinter einem Kamin in einem heruntergekommenen Haus auf und Frank kehrt heim, ob ihm das nun gefällt oder nicht …

Krimi-Couch: Rob Ryan kommt in Totengleich nur in einigen wenigen – aber bemerkenswerten – Äußerungen Cassies vor. Wird er in einem neuen Buch wieder vermehrt im Zentrum (oder am Rande) auftauchen? Oder ist er schon Teil der Geschichte?

Tana French: Mich interessieren die kritischen Wendepunkte im Leben, die Kreuzungen, die den Unterschied ausmachen. Diese Momente, wo man weiß, dass wenn man sich entscheidet, das eigene Leben nie mehr das selbe sein wird, wie wenn man sich für den anderen Weg entschieden hätte.

Grabesgrün handelte von einem dieser kritischen Momente in Rob Ryans Leben. Das Ding ist aber, dass es von diesen Momenten nicht allzu viele im Leben gibt. Als ich mir also Gedanken über mein zweites Buch machte, hatte ich drei Möglichkeiten: den armen Kerl weiter in enorm lebensverändernde Entscheidung zu treiben; weniger aufs Spiel zu setzen und über die weniger wichtigen Abschnitte seines Lebens zu schreiben; oder den Erzähler auszutauschen. Letzteres schien mir am Interessantesten, also ging ich über zu Cassie. Ich fand eh, dass sie ein eigenes Buch verdient hat.

Ich möchte noch eine Weile weiter über dieses Trüppchen meiner Hauptcharaktere schreiben – sie interessieren mich! Auch wenn Rob auch im dritten Buch nicht erscheinen wird, möchte ich irgendwann zu ihm zurückkommen. Ich bin weder mit ihm noch mit Cassie fertig …

Krimi-Couch: Vielen Dank für das freundliche Interview und noch viel Freude an ihrem Neugeborenen.

Das Interview führte Jochen König. Aus dem Englischen übertragen von Lars Schafft.

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