Inge Löhnig

»Manche Figuren laufen mir zu.«

07.2011 Wieviel Inge Löhnig in Kommissar Dühnfort und Agnes Gaudera steckt, oder wieviel Lisbeth Salander in Vicky Senger und warum ihre Charaktere manchmal regelrecht fordernd sind und manche selbst der Autorin schwer zugänglich bleiben, erfuhr Jörg Kijanski im Interview mit der Münchener Autorin.

Krimi-Couch: Guten Tag Frau Löhnig. Soeben ist Ihr dritter Band aus der Kommissar-Dühnfort-Reihe unter dem Titel So unselig schön erschienen. Bevor wir zu Ihrem neuen Roman kommen, stellen Sie sich doch bitte unseren Usern kurz vor.

Inge Löhnig: Guten Tag, Herr Kijanski. Ich mache das jetzt wirklich kurz und knackig: 54 Jahre alt, Grafik-Designerin und Autorin, verheiratet, zwei Kinder, in der Nähe von München lebend.

Krimi-CouchSo unselig schön zeichnet sich wie seine beiden Vorgänger durch äußerst komplex dargestellte Figuren aus, mit denen sich die Leser sofort »anfreunden« können. Wie viel Zeit verwenden Sie auf die Entwicklung Ihrer Figuren im Vergleich zur eigentlichen Handlung?

Inge Löhnig: Das ist sehr unterschiedlich. Manche Figuren laufen mir zu. So wie Dühnfort und Vicki, die ursprünglich nur eine Nebenrolle bekommen sollte. Als ich darüber nachdachte, wie sie wohl aussieht und plötzlich wusste, dass sie Gummistiefel zu Shorts trägt und einen Blümchenrock zur uralten Fliegerlederjacke, stand Vicki mit einem Mal vor mir. Sie warf den Kopf in den Nacken, stampfte mit einem Fuß auf und forderte die Hauptrolle in Dühnforts drittem Fall ein. Hoppla, dachte ich, ob das wohl gut gehen kann.

Natürlich gibt es auch Figuren, die sich sperren und keinen Einblick in ihr Innenleben geben wollen. Da muss ich dann hartnäckig nachbohren und dranbleiben und oft Hürden überwinden, vor allem Hürden in meiner Phantasie.

Krimi-Couch: Ihre Nebenfigur Vicki Senger erinnert sehr an Lisbeth Salander. Täuscht der Eindruck oder haben Sie sich von Stieg Larsson »beeinflussen« lassen?

Inge Löhnig: Ich kannte Lisbeth Salander nicht als Vicki mir Anfang 2009 über den Weg lief. Inzwischen habe ich Verblendung gelesen und auch zwei Verfilmungen der Larsson-Bücher gesehen. Ähnlichkeiten zwischen Vicki und Lisbeth kann ich nur in zwei Eigenschaften erkennen.

Lisbeth Salander ist eine toughe Frau. Sie betreibt Kampfsport und ist ein IT-Genie. Sie wird von Hass und vom Wunsch nach Rache und Vergeltung getrieben. Ihr ganzes Denken, Fühlen und Handeln ist darauf gerichtet. Sie geht raffiniert und planvoll gegen ihren Peiniger vor und kennt weder Grenzen noch Gnade.

Vicki dagegen ist spontan und unüberlegt. Sie verfügt über keine derart profunden Qualifikationen wie Lisbeth und ihr Ziel sind weder Rache noch Vergeltung, sondern der Wunsch, so scheißbürgerlich zu werden wie es nur geht. Sie stolpert mehr oder weniger in eine Art eigene Ermittlung hinein, lässt das dann doch lieber wieder bleiben und ahnt gar nicht, dass sie bereits den Täter auf sich aufmerksam gemacht hat.

Ähnlichkeiten sehe ich lediglich in der Verletztheit dieser beiden Frauen, beide haben traumatische Erfahrungen gemacht und ihre Päckchen zu tragen und in der mentalen Stärke, über die auch Vicki verfügt.

Krimi-Couch: Der französische Schriftsteller Baudelaire scheint es Ihnen ebenfalls sehr angetan zu haben. Gibt es hierfür eine besondere Erklärung?

Inge Löhnig: Eigentlich hat Baudelaire es Agnes angetan. Agnes Gaudera spielt in Dühnforts erstem Fall Der Sünde Sold eine wichtige Rolle. Sie hat ein Faible für Gedichte. Also musste auch ich mich damit beschäftigen. Als die Beziehung zwischen Dühnfort und Anges scheitert, schickt sie ihm einige Zeilen des Baudelaire-Gedichts An eine, die vorüberging. Seither stehen Baudelaires Gedichte in meinem Bücherregal.

Krimi-Couch: Wie ist eigentlich die Idee zu So unselig schön entstanden?

Inge Löhnig: Ich hatte Dühnforts zweiten Fall In weißer Stille gerade beendet und blätterte eines Morgens beim Frühstück in alten Rechercheunterlagen, als mich das Thema zu So unselig schön förmlich ansprang und dann nicht mehr los ließ. Ideen entstanden und wurden immer komplexer, bis ich schließlich erste Notizen machte und ehe ich mich versah, mitten im Planen und Plotten für einen neuen Roman war.

Krimi-Couch: Haben Sie selbst eine Vorliebe für »urban exploring«, wie dies bei Vicki der Fall ist, oder einen besonderen Zugang zur Kunstszene?

Inge Löhnig: Auf »urban exploring« bin ich durch einen Artikel im SPIEGEL aufmerksam geworden. Schon damals dachte ich, dass jemand mit diesem Hobby geradezu prädestiniert ist, eine Leiche zu finden. Und genau das war die ursprüngliche Rolle, die ich Vicki zugedacht hatte.

Als Grafik-Designerin habe ich natürlich eine große Affinität zur Kunst, besonders zur Malerei und Bildhauerei. Diese Leidenschaft habe ich Dühnfort ein wenig angedichtet. Daher tauchen an einigen Stellen in meinen Romanen Vergleiche zu Bildern von Monet oder Matisse auf, aber auch zu Bleiflugzeugen von Anselm Kiefer und dem toten »Haus u r« von Gregor Schneider. Und der Barberinische Faun, den Vicki besucht, hat es mir ganz besonders angetan.

Krimi-Couch: Das nicht ganz einfache Privatleben Ihres Protagonisten lässt viel Raum für Spekulationen, wie es wohl mit ihm weitergeht. So hält man die Leser bei der Stange, aber wird es in Zukunft auch Krimis ohne Kommissar Dühnfort geben? Anders gefragt, wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

Inge Löhnig: Dühnfort ist ein Mensch wie Sie und ich. Er hat größere und kleinere Probleme wie jedermann, die sich entwickeln und lösen oder auch nicht. Ich sehe diese Entwicklung nicht als ein Leser-bei-der-Stange-halten, sondern als möglichst wirklichkeitsnahe Fiktion.

Im November erscheint Dühnforts vierter Fall (Anm. d. Red.: Schuld währt ewig) und ich habe schon Pläne, wie es darüber hinaus mit ihm weiter gehen könnte. Sowohl privat, als auch beruflich. Sie sehen, die Ideen gehen mir so schnell nicht aus und Dühnfort wird sicher noch etliche Fälle lösen können.

Darüber hinaus liegt das Konzept für einen Roman des Genres Spannungsliteratur in einer meiner Schubladen. Dieser Stoff, der mich schon seit Jahren fasziniert und beschäftigt, eignet sich nicht für einen Dühnfort-Krimi. Ich hoffe, dass ich irgendwann Zeit finde, dieses Thema zu bearbeiten.

Neben den Dühnfort-Romanen schreibe ich Jugendthriller. Schattenkuss erschien vor einem Jahr und Scherbenparadies wird ab August im Handel sein. Das Schreiben für Jugendliche macht mir viel Freude und auch damit wird es weiter gehen.

Krimi-Couch: Frau Löhnig, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Inge Löhnig: Ich danke Ihnen.

Das Interview führte Jörg Kijanski im Juli 2011.

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