Anne Chaplet

»Deutsche Krimis kommen nicht an«

05.2012 Krimi-Autorin Anne Chaplet – eigentlich Dr. Cora Stephan – im Gespräch mit Silke Wronkowski über das Leben mit zwei Pseudonymen, Stempelliteratur und darüber, welche Rolle Besprechungen im Feuilleton noch haben.

Krimi-Couch: Wie spreche ich Sie am besten an? Frau Dr. Stephan, Frau Chaplet, oder doch mit der liebenswerten Kombination der beiden Persönlichkeiten »CorAnne«?

Anne Chaplet: Das dürfen Sie sich aussuchen, liebe Frau Wronkowski: Ich höre auf alle drei. Sie dürfen es zur Not auch mit C & A, Chaplette oder Sophie versuchen.

Krimi-Couch: Cora Stephan, Anne Chaplet und neuerdings auch Sophie Winter. Sind alle drei ein und die selbe Person, oder darf jede der drei Damen auch unterschiedliche Meinungen vertreten? Wozu Pseudonyme, wenn doch ohnehin jeder weiß, wer sich dahinter verbirgt?

Anne Chaplet: Die drei sind ganz und gar verschieden! Die eine ist für die politischen Spitzen zuständig, die anderen beiden fürs Gefühl. Anne Chaplet erzählt von menschlichen Schicksalen, Sophie Winter von kätzischen. Und warum Pseudonyme? Nun, die Autorin hinter Anne Chaplet war vier Jahre lang ein gut gehütetes Geheimnis. Das hatte den wunderbaren Effekt eines Neuanfangs: einer völlig unbekannten Autorin ist es gelungen, sich auf dem deutschen Krimimarkt durchzusetzen.Das freut mich noch heute.

Und wieso Sophie Winter? Nun – ein Katzenroman ist etwas gänzlich anderes als ein Krimi. Mit Pseudonym ist eine Verwechslung ausgeschlossen. Und für mich selbst ist das durchaus reizvoll, das Spiel mit den Identitäten …

Krimi-Couch: Also ist es nicht standesgemäß als ernstzunehmende Journalistin simple »Unterhaltungsliteratur« zu schreiben? Schließlich ist Cora Stephan eine angesehen Politikwissenschaflterin – zuletzt veröffentlichte sie Angela Merkel – ein Irrtum, in dem sie die politischen Wandlungen der Kanzlerin einer polemischen Analyse unterzieht – die in den 70er und 80er Jahren auch an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main gelehrt hat. Da könnte man doch belächelt und nicht ernst genommen werden von den Kollegen, wenn man plötzlich Krimis schreibt. Oder gar Romane, in den Katzen als Protagonisten herhalten, wie in Sophie Winters Geschichten um den rot-getigerten Kater Filou. Hatten Sie Angst sich zu blamieren?

Anne Chaplet: Ganz im Gegenteil. Ich wollte von den Krimifans ernstgenommen werden. Die sind mir wichtig. Und die hätten wahrscheinlich gesagt: och, schon wieder eine Journalistin, die glaubt, Krimi zu können. Das wollte ich vermeiden. Denn das ist alles andere als simpel.

Krimi-Couch: Dieser Tage erschien mit »Erleuchtung« der achte Teil Ihrer Serie um – und schon da stößt mir auf, dass sie allgemein die Paul-Bremer-Reihe genannt wird. Ist das nicht ungerecht gegenüber Karen Stark oder Giorgio DeLange, die mindestens genauso viel Raum in der Geschichte einnehmen?

Anne Chaplet: Für mich war von Anfang an Paul Bremer die entscheidende Figur, der melancholische Fahrradfahrer ist ja sozusagen mein alter ego. Ungerecht? Ach, nö. Karen Stark gönnt ihm das …Und wer weiß – vielleicht habe ich mit Giorgio und Karen ja noch was vor, jetzt, wo …aber das verrate ich besser nicht.

Krimi-Couch: Es soll der letzte Fall der Truppe sein, munkelt man. Hat Anne Chaplet keine Lust mehr auf ihre Frankfurter Runde?

Anne Chaplet: Es ist kein Abschied von Frankfurt, sondern von Klein-Roda geworden. Ein Abschied von der nicht ganz rationalen Liebe eines Städters zu dem Dorf, in das er sich vor Jahren geflüchtet hat. Und für die Autorin ist es der Abschied vom »Regionalkrimi«, den sie nie schreiben wollte. Seit der heitere Dorfroman en vogue ist, geh ich lieber woanders spielen.

Krimi-Couch: Klingt danach, das Sie lieber alleine spielen, oder sich gerne vom allgemein-gültigen Mainstream abheben wollen?

Anne Chaplet: »Allgemein-gültiger Mainstream«? Keine Ahnung, aber den heiteren Dorfroman mag ich nun mal nicht. Überhaupt mochte ich das noch nie, diese deutsche Unernsthaftigkeit, was den Kriminalroman betrifft. Letztlich halten noch immer viele Menschen Krimis für irgendwie Schund, nur heute ist man nicht mehr ganz so schamhaft, wenn man beim Lesen erwischt wird. Dafür darfs dann aber auch nicht allzu kompliziert sein. Im Mutterland des Kriminalromans war das immer anders – lesen Sie mal Reginald Hill …

Krimi-Couch: Ich habe gelesen, dass Ihnen die früheren Werke von Elizabeth George und Martha Grimes gefallen. Hätten die Damen auch lieber schon vor dem zweihundertsten Fall ihrer Serienhelden aufhören sollen?

Anne Chaplet: Ehrlich gesagt: ja. Beide, übrigens Amerikanerinnen, haben aufgegriffen, was einst Dorothy Sayers meisterlich begonnen hat, die mit Lord Peter Wimsey einen adligen Ermittler erfand. Grimes hat das mit dem exzentrischen Melrose Plant getoppt, Georges Inspector Lynley ist weit weniger verspielt. Aber als die Autorin Lady Helen meucheln ließ, war ich durchaus einverstanden. Weit spannender als das Adelsquartett ist nämlich die relativ neue Figur der proletarischen Untergebenen Lynleys, Barbara Havers. Eine großartiger Charakter mit einer ganz eigenen Stimme ist George da gelungen, für die ich auf Lynley selbst locker verzichten könnte.

Krimi-Couch: Womit Elizabeth George ja allerdings gegen die Regeln des klassischen Detektivromans des »Goldenen Zeitalters« verstoßen würde, wollten wir sie als eine der Erbinnen des Stils von Agatha Christie, Dorothy Sayers und Co. auffassen, da Barbara Havers eben nicht zur Upper Class gehört.

Anne Chaplet: So sorry – das dürfen Sie gerne Agatha Christie unterstellen, aber nicht Dorothy Sayers. Und wen meinen Sie mit »Co«? Harriet Vane ist, bitteschön, keineswegs upper class gewesen und Sayers hat den nach dem Ersten Weltkrieg vielen alleinstehenden Frauen, die sich als Sekretärinnen verdingten, ein wunderbares Denkmal gesetzt. Dass die britischen Ladies nur alberne »Landhaus«krimis geschrieben hätten, stammt von Raymond Chandler und ist uninformiert und ungerecht.

Krimi-Couch: Bricht Anne Chaplet selber gerne Regeln, wenn sie schreibt?

Anne Chaplet: Nur, wenn’s nötig ist.

Krimi-Couch: Warum wird Ihren Romanen nie der schon fast als Vorwurf geltende Stempel »Regionalkrimi« aufgedrückt? Schließlich spielen die Romane rund um Frankfurt.

Anne Chaplet: Ich schreibe Romane, die von der Spannung, vom Gegensatz, vom Widerspruch zwischen Stadt und Land leben. Frankfurt ist nur eine der Städte, die eine Rolle spielen. Viel wichtiger ist die »Rhön«, also die Region Klein-Rodas, des Dorfs von Paul Bremer. Dass ich vom Etikett »Regionalkrimi« verschont geblieben wäre, stimmt leider nicht ganz. Ich kann jedenfalls drauf verzichten.

Krimi-Couch: Wenn ich den diversen Biografien Ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten glauben darf, wohnen Sie wahlweise in einem Ortsteil einer Gemeinde mit nicht mal 10.000 Einwohner in Hessen, einem Dorf in Südfrankreich mit gerade mal knapp 900 Einwohnern und eben auch in Frankfurt am Main, der mit fast 700.000 Einwohnern fünftgrößten Stadt Deutschlands. Gegensätze in Ihren Romanen genauso, wie in Ihrem Privatleben?

Anne Chaplet: Das Dorf im Vogelsberg, in dem ich lebe, ist noch kleiner. Da gibt’s mehr Schweine als Menschen. Und an die Stelle Frankfurts ist mittlerweile Berlin getreten. Ansonsten: ja.

Krimi-Couch: Gut die Hälfte Ihres Romans spielt in Peru. Schon beim Lesen fand ich die Vorstellung interessant wie Anne Chaplet wochenlang durchs Land reist und recherchiert, immer mit einem gezückten Notizblock in der Hand, und ihre eigenen Eindrücke von Straßenverhältnissen und nationalen Gerichten und Getränken sammelt. Die Realität sah anders aus, oder?

Anne Chaplet: Ja. Ich mag keine Notizblöcke. Für meine kostbaren Gedanken nur Moleskine!

Im Ernst: ich hatte weder die Zeit noch das Geld für einen Trip nach Peru. Statt dessen bin ich auf eine innere Reise gegangen, die, glaube ich, für das Buch weit ergiebiger war.

Mit Hilfe von Erzählungen von Freunden, mit Google-Maps und der richtigen Reiselektüre habe ich ein ganz eigenes Peru erfunden, das allerdings, hörte ich sagen, erstaunlich viel mit der Wirklichkeit zu tun hat. Muss es ja aber gar nicht. Auch ein Krimi ist Literatur und kein Reiseführer.

Krimi-Couch: Bietet aber somit auch eine große Angriffsfläche für Kritik, denn die meisten Krimileser wollen doch eine authentische Geschichte lesen. Haben Sie keine Angst davor, dass man Ihnen vorwerfen könnte, nicht gründlich und gewissenhaft recherchiert zu haben?

Anne Chaplet: Ach, die Recherche. Dessen rühmen wir uns ja alle. Und dann das Authentische. Tja. Was genau ist an Krimis authentisch? Die Mordrate? Und hört man nicht sagen, dass das Erfundene manchmal die Realität besser trifft als die bloße Wiedergabe des Vorgefundenen?

Krimi-Couch: Es sei denn, Sie wollen mit Karl May konkurrieren, der ja ebenfalls seine ersten Winnetou-Romane geschrieben hatte, ohne je amerikanischen Boden betreten zu haben und die man sogar als »Reiseliteratur« bezeichnet.

Anne Chaplet: Krimis sind keine Reiseliteratur, das jedenfalls steht schon mal fest. Höchstens – naja: der Regionalkrimi …;-))

Krimi-Couch: Das WWW ist also ein Platz ungeahnter Möglichkeiten? Lässt es die Welt »kleiner« werden, näher zusammenrücken?

Anne Chaplet: Fürs Krimischreiben ist das Netz ein Segen, ganz ehrlich. Man findet so viel Interessantes, so viel Futter für die Phantasie, so spannende Menschen mit so bizarren Hobbies! Und soviel Detailwissen …Insofern: ja. Vieles rückt näher.

Krimi-Couch: Soziales Netzwerken à la Facebook. Heutzutage notwendiges Übel oder netter Zeitvertreib? Anne Chaplet hat ein Facebook-Profil, Cora Stephan nicht. Kriegt Sophie Winter eines mit süßen Katzenbildern?

Anne Chaplet: Für mich ist das ein netter Zeitvertreib, das gilt offenbar auch für viele andere Menschen, die wie ich am Schreibtisch sitzen und versuchen, einen gelungenen Satz zu schreiben. Natürlich lenken die Facebook-Spielchen ganz schön ab aber wer die richtigen Facebook-Freunde hat, profitiert ungemein – von ihren Ratschlägen, ihren Interessen, ihrem Wissen, ihrer Freundlichkeit. Ganz toll, wenn Facebook-Freunde zu meinen Lesungen kommen und ich das Gefühl habe, sie schon lange richtig gut zu kennen …

Heute treibt sich nur noch Anne Chaplet auf Facebook herum, drei Profile zu unterhalten hat einfach zuviel Mühe gemacht.

Krimi-Couch: Schreiben alle drei – Cora, Anne und Sophie – immer am selben Schreibtisch, zur selben Tageszeit, oder hat jede ihren eigenen »Arbeitsplatz«?

Anne Chaplet: Schöne Vorstellung – jede Autorin mit einem eigenen Arbeitsplatz …warum eigentlich nicht? Cora Stephan in Berlin, Sophie Winter in Beaulieu und Anne Chaplet in Klein-Roda – so könnte das gehen …

Krimi-Couch: Nur »zuviel Mühe«, oder haben Sie auch festgestellt, dass alle drei Namen bzw. Pseudonyme gar nicht so weit auseinander liegen, was ihre Interessen, Vorlieben und Abneigungen angeht?

Anne Chaplet: Ich fürchte, das Gegenteil ist der Fall.

Krimi-Couch: Und wo und wie schreiben Sie wirklich, ungeachtet der Tatsache, ob als Sophie Winter, Anne Chaplet oder Cora Stephan? Oder ist der »Ort« gar nicht so wichtig für Sie, um Ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen?

Anne Chaplet: Ich bin ja konservativ, ich schreibe gern am Schreibtisch. Der darf aber auch im Garten oder auf der Terrasse stehen.

Krimi-Couch: Weiblichen Krimiautoren wird ja gerne nachgesagt, dass sie entweder den schnörkelhaften Details und Liebesverstrickungen zu viel Raum geben, und somit eben auch nur von Frauen gelesen werden, oder alternativ überaus brutale und bestialische Verbrechen schildern und dann aber auch nur wieder belächelt werden. Haben Sie je darüber nachgedacht sich ein männliches Alter Ego zuzulegen?

Anne Chaplet

Ich denke schon, dass es bei Krimis stark männlich und weiblich geprägte Vorlieben gibt. Ich habs auch lieber detailreich und mit Gefühl, hard boiled ist nicht mein Ding.

Andererseits steckt hinter Ihrer Frage die Vermutung, Krimiautorinnen machten es irgendwie nicht richtig oder würden nicht ganz ernstgenommen. Tja. Es heisst ja oft, dass Autorinnen weniger erfolgreich seien als die Männer, weil sie auf Grund solcher Einschätzungen nicht wahrgenommen würden, etwa in der Presse oder bei Preisverleihungen. Das kann ich so nicht feststellen, international sind Krimiautorinnen Spitze. Und Presse oder Feuilleton sind für den heutigen Buchmarkt kaum noch wichtig.

Richtig ist wohl, dass die deutschen Krimis bei den deutschen Lesern nicht gut ankommen, was ich sehr schade finde. Ich finde, es hat sich da in den letzten zehn, zwanzig Jahren wahnsinnig viel getan und ich finde wirklich nicht, dass die Schweden oder Dänen so sehr viel besser machen als wir. Elisabeth Herrmann oder Mechthild Borrmann sind doch nun wirklich großartige Autorinnen! Aber was soll’s: der Wille der Leser entscheidet, da hilft kein Wehklagen.

Krimi-Couch: Es kam Ihnen also nie in den Sinn sich ein männliches Pseudonym zuzulegen?

Anne Chaplet: Nein.

Krimi-Couch: Wenn Sie sagen, dass das Feuilleton heute kaum noch Bedeutung für den Buchmarkt hat – wer denn dann?

Anne Chaplet: Die Leser. Die Mundpropaganda. Der Zufall.

Krimi-Couch: Lesen Sie alle Rezensionen zu Ihren Büchern und fühlen sich geschmeichelt oder gekränkt oder ist es Ihnen egal, was andere über Ihre Werke denken?

Anne Chaplet: Natürlich ist mir das nicht egal und ich habe mich schon über manche schlamperte »Rezension« geärgert, in der noch nicht einmal die Namen stimmten. Aber ich freu mich über jede gute rezension und ich lese in der Tat nicht alle.

Krimi-Couch: Hat Cora Stephan auch mal darüber nachgedacht eine Flo DeLange ein Praktikum beim Bundespräsidenten absolvieren, oder Filou einen Mordfall beim französischen Innenminister aufklären zu lassen?

Anne Chaplet: Filou ist kein Ermittler, aber wenn der französische Innenminister mal nach Beaulieu kommen sollte, kann ich für nichts garantieren. Flo beim Bundespräsidenten ist allerdings eine reizvolle Idee. Bei Jochen Gauck habe ich ja bereits für meinen dritten Roman, »Nichts als die Wahrheit«, in Berlin in der Gauckbehörde recherchiert …Da ließe sich also gewiss etwas machen …Hm …Ich sollte Titelschutz anmelden …

Krimi-Couch: Was kommt als nächstes? Welche der drei Autorinnen ist »an der Reihe«?

Anne Chaplet: Zur Zeit Cora Stephan. In ein paar Monaten wohl wieder Sophie Winter. Und alles weitere – wird man sehen!

Krimi-Couch: Was – und vor allem wann – können Ihre Krimileser als nächstes erwarten?

Anne Chaplet: Das verrate ich nicht.

Krimi-Couch: Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview Zeit genommen haben!

Das Interview führte Silke Wronkowski im Mai 2012.

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