Liza Marklund

»Und er blickte mich an, und ich konnte sehen, dass er dachte: Die ist komplett unzurechnungsfähig.«

03.2012 Drei Jahre sind vergangen seit dem letzten Teil der Reihe um Annika Bengtzon. Mit ihrem neuen Roman Weißer Tod kam die Schwedische Autorin auf Lesereise nach Deutschland, wo Redakteur Andreas Kurth Gelegenheit hatte zu erfahren, wie gefährlich man als Schriftsteller bei seiner Recherche lebt.

Krimi-Couch: Liza Marklund, in Weißer Tod zeigen Sie ihren Lesern ein völlig neues Bild von Annika Bengtzon. Sie ist zuweilen hilflos, verzweifelt und selbst in der Opferrolle. Wie war das für Sie beim Schreiben, Ihre Heldin plötzlich so zu schildern?

Liza Marklund: Ich versuche immer, ein neues Buch zu schreiben. Das ist nicht bei allen meinen Kollegen der Fall. Und ich bin sehr zufrieden, wenn ich einen Autoren lese, von dem ich weiß, dass er immer die gleichen Bücher schreibt. Ich mag das, wenn ich weiß, was ich bekomme – und das ist ein Konflikt. Denn ich versuche, das anders zu machen. Ich versuche immer, ein anders Buch zu schreiben. Und dieses ist sehr verschieden gegenüber meinen anderen Büchern. Es ist genau wie Sie sagen: Annika hat eine neue Betrachtungsweise, sie ist hilfloser und passiver als sie es vorher war. Es ist ein ganz neuer Entwurf des Gesamtzusammenhangs.

Krimi-Couch: Würden Sie selbst Weißer Tod als Polit-Thriller einstufen, oder eher als ganz normalen Kriminalroman?

Liza Marklund: Es ist kein normaler Kriminalroman, absolut nicht. Es geht nicht wirklich um Kriminalität. Es gibt viel Gewalt und Morde in dem Buch, aber es ist kein »whodidit – whodunit«. Man kann sich das fragen, aber man bekommt keine richtige Antwort. Das Buch ist eindeutig ein Polit-Thriller.

»Und er blickte mich an, und ich konnte sehen, dass er dachte: Die ist komplett unzurechnungsfähig.«

Krimi-Couch: Sind Sie für die Recherchen in dieser gefährlichen Gegend gewesen? Im Grenzgebiet zwischen Kenia und Somalia?

Liza Marklund: Ja, ich bin dort gewesen. Man kann dort nicht im Auto hinfahren. Ich habe mir das auf Google earth angesehen, und ich habe diesen Ort namens Liboi gefunden, und mir war klar, dort könnte Thomas hinfahren. Es gibt dort keine richtigen Straßen, man könnte nur mit einem Allradfahrzeug und einer Eskorte dort hin fahren. Wir sind dann geflogen, denn es gibt dort ein Flugfeld. Und dieses Flugfeld ist die tatsächliche Grenze zwischen Kenia und Somalia. Also sind wir dort gelandet – und wurden sofort vom Militär eingesperrt. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass Liboi eine gesperrte Stadt war. Wir hatten eine Erlaubnis, um dort zu landen, aber wir waren das erste Privatflugzeug, das jemals in Liboi gelandet ist. Offenbar wusste niemand, dass es verboten war, dort zu landen. Selbst der Pilot war dort noch nie gewesen, obwohl er seit über 35 Jahren in ganz Kenia herumgeflogen ist.

Als wir dann in das Polizeihauptquartier gebracht wurden, fragte mich dieser riesige Polizeioffizier, was ich dort tun würde. Und ich habe ihm dann erzählt, was los ist. Dass ich Schriftstellerin bin, und ausgedachte Geschichten schreibe, aber wissen muss, wo meine Protagonisten hingehen, und dass ich über diesen Ort schreiben will. Und er blickte mich an, und ich konnte sehen, dass er dachte: Die ist komplett unzurechnungsfähig. Und dann hat er mir zu meiner eigenen Sicherheit zwei Polizisten mitgegeben, diese zwei schwerbewaffneten, riesigen Soldaten sind die ganze Zeit mit mir herumgelaufen.

»Der Grund, warum diese Menschen so arm sind, ist, dass jemand damit Geld verdient.«

Krimi-Couch: Die Abschottung des europäischen Kontinents gegen Flüchtlinge aus Afrika ist ein aktuelles Thema. Wie denken Sie darüber? Wie sollte Europa in Ihren Augen damit umgehen?

Liza Marklund: Nun, Teil des Problems ist, dass sie zu hohe Auflagen haben, um hierher zu kommen und zu arbeiten. Sie können wegen der Union ihre Produkte nicht hierher exportieren, es ist zu teuer. Sie können ihre Produkte nicht verkaufen. Es geht um die Regeln der EU, um die Landwirtschaft, das Beschützen der französischen Winzer – keine Ahnung. Wir beuten diese Menschen auf vielerlei Art aus. Wie die Dinge liegen, können wir im Moment nicht einfach die Grenzen öffnen. Ich habe fünf Jahre in Spanien gelebt, direkt am Mittelmeer. Ich konnte Afrika sehen, und ich habe über diese Dinge nachgedacht. Und es kamen immer wieder Boote an oder gingen auf See unter. Und niemand hat darüber nachgedacht, es war nicht einmal in den Nachrichten. Der Grund, warum diese Menschen so arm sind, ist, dass jemand damit Geld verdient.

Krimi-Couch: Sie schildern eingehend die Verhältnisse in der Redaktion einer Boulevardzeitung. Sind die führenden Redakteure tatsächlich so zynisch und teilweise wirklichkeitsfremd?

Liza Marklund: Einige sind so, wirklich. Aber nicht alle. Die Wahrheit ist, dass sie zunächst die Überschriften machen, und dann gehen sie hinaus und suchen die Realität, um den Rest zu füllen.

»Es geht um Stolz, um Offenheit und Nationalgefühl.«

Krimi-CouchWeißer Tod hat als Titel im schwedischen Original die ersten Worte ihrer Nationalhymmne: »Du gamla, du fria«. Was wollten Sie mit diesem Buchtitel ausdrücken?

Liza Marklund: Es geht darum, was die alte und freie Welt der neuen und unfreien Welt antut, und um die neuen eisernen Vorhänge die wir errichten, zusammen mit »Frontex«. Das ist zum Beispiel eine Organisation, die es wirklich gibt. Und außerdem drückt »Du gamla, du fria« etwas aus. Es geht um Stolz, um Offenheit und Nationalgefühl. Und ich hatte das Gefühl, das sei in vielerlei Hinsicht ein guter Titel. Es beschreibt gut, worum es geht.

Krimi-Couch: Erzählen sie uns ein wenig von Ihrer Arbeit. Wann und wo schreiben Sie am liebsten? Und welche Störungen dürfen dabei auf keinen Fall auftreten?

Liza Marklund: Ich habe dieses Buch in einem fensterlosen Souterrain in Spanien geschrieben. Ich mag keine Aussicht, wenn ich schreibe. Ich möchte einen sicheren Platz, wo mich nichts stören kann. Ich hatte aber Telefon und Internet, weil ich ja dauernd recherchieren musste. Mein Tisch war ein Stück Sperrholz, das auf zwei hölzernen Bänken lag. Es war also extrem glamourös …

Krimi-Couch: Sie sind zu vier Lesungen in Deutschland unterwegs. Wie wichtig sind ihre deutschen Leser für Sie? Und wie wichtig ist Ihnen der direkte Kontakt zu Ihren Fans?

Liza Marklund: Beides ist sehr wichtig für mich. Deutsche Leser findet man nur in Deutschland. Und das ist für mich ein ganz spezielles Event. Sie sind Wochen vorher ausverkauft, wir haben an jedem Abend hunderte von Menschen da, die sehr aktiv und enthusiastisch sind. Sie bleiben hinterher, und ich signiere alte Bücher oder sogar Bibeln. Und die Buchhandlungen sind im organisieren dieser Lesungen extrem gut, denn es gibt hier einige richtig große Buchhandlungen. Und auch die Festivals sind sehr gut besucht, und so ist es ein Vergnügen, in Deutschland eine Lesung zu machen. Ich habe bereits rund 120 Lesungen in Deutschland gemacht, in Hamburg sogar einmal in einer Kirche.

Krimi-Couch: Weitere Romane über Annika Bengtzon sind in Ihrem Kopf bereits fertig, habe ich gelesen. Wann werden die deutschen Leser den nächsten Band zu lesen bekommen? Und mögen sie ein wenig verraten, wie es mit Annika weiter geht?

Liza Marklund: Ja, es ist mein Plan, zwei weitere Bücher über Annika zu schreiben. Dann ist meine Geschichte mit ihr zu Ende. Im April 2012 gehe ich auf eine große Tour durch Amerika und Kanada, und danach werde ich mit dem Schreiben beginnen. Also wird es im Herbst 2013 erscheinen, und in Deutschland etwas später, also in etwa zwei Jahren.

Krimi-Couch: Und was wird passieren?

Liza Marklund: Ich weiß es, werde es aber noch nicht verraten.

Das Interview führte Andreas Kurth im März 2012.

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

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