Was ist eine
Sonderkommission?

Ein Krimi-Couch Spezial von Jochen König

Eine Gruppe für ganz spezielle Fälle

Folgt man deutschen Krimiserien, kann man den Eindruck gewinnen, dass in nahezu jeder Polizeidienstelle einer Stadt mit mehr als tausend Einwohnern, eine feste Abteilung namens Mordkommission existiert. Doch das ist Humbug. Ständige Mordkommissionen besitzen nur die drei Großstädte Berlin, Hamburg und München. Gemeinhin gilt, dass eine Mordkommission fallbezogen gegründet wird, hierarchisch aufgebaut ist und aus weit mehr Beamten besteht als im standardisierten TV-Krimi.  Wenn dann noch die beliebte Sonderkommission alias SoKo hinzukommt, wird die Verwirrung und -irrung noch größer. Denn auch von denen wimmelt es geradezu in den Städten der virtuellen Bundesrepublik, wobei die personelle Zusammensetzung der jeweiligen fiktiven SoKos seltsamerweise kaum variiert.

Wie die Bezeichnung schon verrät, ist eine Sonderkommission etwas Besonderes und keine Alltäglichkeit. SoKos sind Projektgruppen, die meist bei gravierenden Straftatbeständen eingerichtet werden. Fallübergreifend werden Ermittlungsgruppen eingesetzt, wobei die Grenzen fließend sind, und oft über Sonderkommissionen gesprochen wird, wenn eigentlich Ermittlungsgruppen gemeint sind. Ermittlungsgruppen werden beispielsweise ernannt, um die Clankriminalität einer Region zu untersuchen oder, immer wieder aktuell, wenn sich Kriminelle mit brachialer Gewalt Geldautomaten aneignen. Gerät hingegen ein bestimmter Clan ins Visier der Ermittler, oder Geldautomatendiebstähle können einer bestimmten Bande zugeordnet werden, kann eine Sonderkommission tätig werden. Um es kompakt auszudrücken: Ermittlungsgruppen arbeiten delikt- und Sonderkommissionen fallbezogen.

Aus einer Mordkommission kann sich eine Sonderkommission entwickeln, die durchaus länderübergreifend besetzt ist. Stellt sich etwa heraus, dass ein inhaftierter Täter nicht nur einen Mord begangen hat, sondern weiterer Straftaten schuldig sein könnte, kann eine Sonderkommission die Arbeit der Mordkommission(en) weiterführen.  Wichtig dabei: Eine Sonderkommission arbeitet zeitlich begrenzt. Im günstigsten Fall wird die SoKo am Ende einer erfolgreichen Ermittlung aufgelöst, im ungünstigsten geschieht die Auflösung, wenn ein Fall im Nirwana endet und keine neuen Spuren, Beweise oder zumindest Indizien auftauchen. Sollte sich dies zu einem späteren Zeitpunkt allerdings ändern, kann die SoKo wiedereingesetzt werden. Unter Umständen sogar mehrmals.

Mord, Entführung, Autoposer

Sonderkommissionen werden meist im Bereich der Schwerkriminalität gebildet, sprich bei Morden, Entführungen, Vermisstenfällen (besonders, wenn Kinder betroffen sind) oder in der Folge von Anschlägen. Unter anderem durch das „Grip-Motormagazin“ wurde eine Sonderkommission bekannt, die sich sogenannten „Autoposern“ widmet, also Menschen, die ihre Befriedigung darin finden, in getunten und aufgemotzten Fahrzeugen die Straßen unsicher zu machen. Die Auslegung des Begriffs „Schwerkriminalität“ wird demzufolge (und zu Recht) flexibel gehandhabt. 

Weiterhin existieren Sonderkommissionen in einem Bereich, der auf der Krimi-Couch bereits ausführlich Erwähnung fand: Den sogenannten „Cold Cases“, also jenen Fällen, die über längere Zeit ergebnislos ruhen und irgendwann wieder neu aufgerollt werden. Kennzeichnend bleibt auf jeden Fall, dass der Begriff SoKo im Zusammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung seine vorrangige Bedeutung hat. Weiten sich Fälle aus, werden besonders komplex oder weitreichend (z.B. Katastrophen, Terrorismus oder Großereignisse) wird eine   "Besondere Aufbauorganisation" (BAO) gegründet, die mit noch größeren Ressourcen als eine SoKo arbeiten kann. Die BAO ist ebenfalls streng hierarchisch aufgebaut, sie umfasst Polizeiführer, einen Führungsstab und die jeweiligen Einsatzabschnitte (EA). Dabei muss „insbesondere bei Sofortlagen“ jederzeit klar sein, wer weisungsbefugt ist. So soll Chaos und Ineffektivität vermieden werden.

SoKos im kulturellen Schaffen – die Fernsehabteilung

Ihrer Beschaffenheit nach eignen sich SoKos eigentlich nicht für das serielle Erzählen. Also wird die Realität mehr oder weniger gebeugt, damit man die gleichen Gesichter öfter auf den Bildschirm sehen und die Entwicklung der jeweiligen Protagonist*innen literarisch verfolgen kann.

Dass die 1978 gegründete „SoKo 5113“ (seit 2015 angepasst ans Gefolge „SoKo München“) mehrere Ableger erzeugen würde, war nicht unbedingt abzusehen. Das ursprüngliche Team um Werner Kreindl (Hauptkommissar Göttmann), zeitweise besetzt mit Bernd Herzsprung und Dieter Krebs, sorgte für amüsante Vorabendunterhaltung, vor allem so lange Dieter Krebs mit an Bord war. Der setzte sich aber ziemlich überraschend - und für eine deutsche Krimiserie ungewöhnlich und geradezu wagemutig - mit erbeutetem Drogengeld ab und lebte vermutlich ein fideles Lotterleben abseits der Polizei. Nach Werner Kreindls Tod 1992 übernahm sein Stellvertreter Horst Schickl (Wilfried Klaus) die Leitung der Sonderkommission und behielt diese bis 2009 inne.   Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits fünf Ableger, unter anderem in Köln und Wismar, die Ländergrenze nach Österreich war überschritten worden (SoKo Kitzbühel ab 2001 und SOKO Donau, in Deutschland als SOKO Wien, seit 2005). Die Gründung der SoKo Stuttgart begleitete Schickls Abschied. Insgesamt wurden Sonderkommissionen in neun Städten eingerichtet, dazu gesellten sich weitere Sonderformen wie die kurzlebige Reihe „Solo für Sudmann“ und die Städte-Crossover „ SOKO – Der Prozess“ und „Der vierte Mann“. Wie es aussieht wird 2020 das letzte Sendejahr für aktuelle Erscheinungsform der SoKo München sein.

In den USA bekamen Altfälle mit „Cold Case – kein Opfer ist je vergessen“ von 2003 bis 2010 ihre eigene Einheit. Reiner Etikettenschwindel, ein Flop und nach einer Staffel eingestellt war die deutsche Serie „R. I. S. – Die Sprache der Toten“ (2007/2008), eine Adaption des italienischen Pendants „R.I.S. – Delitti imperfetti“ (2005). R.I.S. steht für „Rechtsmedizinische Investigative Sonderkommission“, ein fiktives Konstrukt, das angeblich meisterliche Forensikspezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten beherbergt. Wegen dieser Diversität vermutlich „Sonderkommission“ benannt und letztlich nichts anders als eine plumpe „C.S.I.“-Kopie. Auf Deutsch und in Farbe, nahezu unbemerkt untergegangen.    

… und die Welt der Bücher

Auch literarisch sieht es eher mau aus, wenn auch eine der erfolgreichsten skandinavischen Reihen eine Sonderkommission zum Mittelpunkt hat. Gemeint ist Jussi Adler-Olsens Sonderdezernat Q um die verschrobenen Ermittler Carl-Mørck, Rose und Assad. Abgeschoben in den Keller, aber alles andere als aus dem Auge, aus dem Sinn kümmert sich das Sonderdezernat Q um abgelegte Fälle, alte, deren Ursprünge Jahrzehnte zurückreichen und relativ frische, die bis in die Gegenwart reichen. Das besitzt einiges an schwarzem Humor, ist in den besseren Momenten clever konstruiert und spannend fabuliert, in den schwächeren verliert sich Adler-Olsen im Beliebigen und den Marotten seiner Hauptfiguren. Landet aber immer in den Bestsellerlisten.

Darüber hinaus muss man schon suchen und stößt auf Jürgen Kehrer, dessen „Vorbildliche Morde“ ohne Kehrers gewohnte Hauptfigur Wilsberg auskommt, stattdessen die „Sonderkommission Serientäter“ mit Kriminaloberrätin Ulrike Conrady an der Spitze präsentiert, die einen Kopisten historischer Kriminalfälle aus den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts verfolgt. Daneben tummeln sich aber auch zahlreiche bemühte Kriminalromane (böse Zungen nennen es auch: „Grimmis“) wie Claudio M. Mancinis und Sanne Feldens komisch gemeintes „Halbe Leichen gibt es nicht“ in dem Beamte aus den Ruhrorten Duisburg und Oberhausen eine Sonderkommission einrichten, Burkhard Rüths „Sterbenslang“ (SoKo Lingen), oder Harry Whiteheads Bücher um die angebliche SoKo Trier, die über lokale Popularität aber kaum hinausgekommen sind und die Vermutung erwecken, dass der Autor sich arg von den SoKo-Fernsehvorbildern hat inspirieren lassen.

Das kann man auch bei Michael Koglin nicht ausschließen, der unterschiedliche Sonderkommissionen eigener Coleur agieren lässt und sich dabei achtbarer und erfolgreicher aus der Affäre zu ziehen vermag als viele andere Kolleg*innen aus den unterschiedlichen Regionen, die den TV-Pendants wenig hinzuzusetzen haben.

So bleiben, von Ausnahmen abgesehen, Sonderkommissionen ein Stiefkind der fiktiven Welt, während sie in der Realität gewichtige Rollen ausfüllen. Zumindest in der Absicht.

Eine Sonderkommission von außergewöhnlicher Größe - (K)ein Erfolgsmodell?

Unerwähnt bleiben darf natürlich nicht die größte Sonderkommission/BAO, die je in Deutschland gebildet wurde. Die Soko „Bosporus“ bestand über ein knappes Jahrzehnt aus 60 bis 200 Beamten und war in die jahrelang andauernde Ermittlung und den darauffolgenden N.S.U.-Prozess involviert. Wer sich tiefer in die Materie einarbeiten möchte, sei auf den 2200 Seiten umfassenden Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses verwiesen, oder auf „Wolfsspinne“, Horst Eckerts lesenswertem Roman zum Thema.

Am Ende zeigt sich, dass zwischen einer guten Idee und einer adäquaten Ausführung ein langer Weg liegt. Dessen erfolgreiche Bewältigung von der Kompetenz der Menschen abhängt, die ihn beschreiten.

"Was ist eine Sonderkommission" von Jochen König
Titel-Motiv "Blaulicht": © istock.com/ofc pictures
Foto "Teddybär": © istock.com/Motortion
Foto "Handabdruck": © istock.com/fotocelia

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