Hamilton –
Undercover in Stockholm
(Staffel 1)

Serien-Spezial von Jochen König (09.2021) / Titel-Motiv: © lukaspictures.com

Der demokratische Terrorist an modernen Ufern

1986 erschien „Coq Rouge“, der erste Roman Jan Guillous mit dem oft undurchsichtigen, aber höchst effizienten Carl Gustav Gilbert Graf Hamilton als Titelfigur. Hamilton war der „demokratische Terrorist“ (wie auch das zweite Buchs der Reihe hieß), der seine wie schwedische Interessen ohne Rücksicht auf Verluste verteidigte. Guillou kannte sich als umtriebiger investigativer Journalist in der Weltpolitik, besonders den Machenschaften der Geheimdienste, gut aus und so ließ er Hamilton im Israel-Palästinakonflikt, im Umfeld der RAF und anderen brisanten Gefahrenherden für und um die demokratische Grundordnung kämpfen. Mit erheblicher, kaltschnäuziger Durchsetzungskraft und viel Charme wühlte und wütete sich Hamilton bis 2008 durch zwölf Bände.

Stellan Skarsgård nimmt die Coq Rouge-Fackel auf, Mikael Persbrandt reicht sie weiter

1989 erblickte er zum ersten Mal das Licht der Leinwand. In Gestalt des hochgeschätzten Stellan Skarsgård, der seine Rolle 1992 wiederholte.  1995 übernahm Stefan Sauk die Hauptrolle für den schwedischen Film „Vendetta“. 1998 war Peter Stormare dran („Commander Hamilton“, ebenfalls ein klasse Schauspieler, als Elite-Agent Hamilton aber eine eigentümliche Besetzung). Auch die „Kommissar Beck“-Belegschaft fand sich in Jan Guillous Welt wieder. 1990 war Beck selbst dran, ein schlanker Peter Haber übernahm die Rolle für die Fernsehserie „Der Feind des Feindes“, während sein Kollege Mikael Persbrandt, alias Gunvald Larsson, 2012 „Agent Hamilton“ zweimal kongenial in Spielfilmlänge verkörperte.  Wahrscheinlich die Idealbesetzung.

Jakob Oftebro muss als Carl Hamilton also in große Fußstapfen treten. Und er schlägt sich wacker, was auch dem Konzept der Serie zu verdanken ist, „Hamilton“ als Serie anzulegen, die den Jungagenten im Mittelpunkt hat, waren die früheren Darsteller doch allesamt abgebrühte, weltgewandte Männer mittleren Alters, die aufgrund ihrer vielen Erfahrungen wie ein scharfes Messer, das durch Butter gleitet, agierten.  Oftebros Hamilton besitzt zwar schon einiges an Qualitäten und Kampfstärke, muss aber damit klarkommen, dass er manchmal kaum mehr als ein Spielball ist, der von eiskalten Strategen durch die Weltgeschichte gekickt wird.

Verjüngungskur in der Gegenwart

Die Verjüngung von Henning Mankells Kommissar Wallander war reines Namedropping. Den jungen Wallander in die Gegenwart zu versetzen und mit aktuellen Problemen zu konfrontieren, machte den Protagonisten (in einer ansonsten ansehbaren Serie) zu einem X-beliebigen Polizisten, der jeden Namen hätte tragen können.  Der Hamilton-Reboot hingegen funktioniert wesentlich besser, weil Hamilton ambivalenter als Wallander bleibt und eher einen Katalysator spielt, in einer Welt, in der politische und finanzielle Machtspiele das größte Gefahrenpotenzial besitzen. Man hat Hamilton geerdet, seine elitäre Herkunft spielt kaum eine Rolle, und seine Vornamen fallen bis auf „Carl“ ebenfalls weg. Zudem bekommt er – ganz skandinavischen Krimiprinzipien treu – mit der Polizistin Kristin Ek eine Quasi-Partnerin an die Seite gestellt.

Diese Modernisierung funktioniert, weil die Mixtur aus Action- und Polit-Thriller einiges vom Geist der Vorlage in die Gegenwart transportiert. Es gibt sogar eine Sequenz, die Hamilton zu einem Treff mit der PLO in die Wüste schickt. Eine kleine Hommage an die Ursprünge des „Coq Rouge“, im filmischen Zusammenhang aber unerheblich.  Trotzdem eine freundliche Geste.

„Hamilton“ traut sich was

„Hamilton“ wirft seine Zuschauer unvermittelt ins Unbehagen. Wir erfahren ein wenig über Carl Hamiltons Ausbildung als Kampftaucher und seine Familiengeschichte. Er besucht seine demente Mutter im Seniorenheim und trifft eine Freundin aus Jugendtagen wieder. Gleichzeitig ist Hamilton für eine ominöse Agentur tätig, die ihn losschickt, einen Anschlag auf die schwedische Innenministerin zu verhindern. Das gelingt nur bedingt. Eine Bombe explodiert und fordert Verletzte und Tote aus dem Umfeld der Ministerin, die unbehelligt bleibt. Derweil schaltet Hamilton eine mutmaßliche Terroristin aus und trifft nach einer weiteren Explosion erstmals im Vorübergehen auf Kristin Ek.

Kurz darauf wird Hamilton instruiert, sowohl die Einheit OP-5 des militärischen Abschirmdienstes wie die SäPo (Säkerhetspolisen, der schwedische Nachrichtendienst) zu infiltrieren. Das schafft er reibungslos, auch wenn seine Interims-Partnerin Kristin ihn immer noch misstrauisch beäugt. Gemeinsam verfolgen sie drei Attentäter bis nach Hamburg. Diese Hatz läuft aus dem Ruder, Hamilton beginnt unangenehme Frage nach Hintergründen zu stellen und gerät auf die Abschussliste seiner Arbeitgeberin. So ist er bald Staatsfeind Nr. 1, auf der Flucht und muss alleine auf sich gestellt, seine Unschuld beweisen. Das heißt, nicht ganz allein, denn trotz aller Zweifel stehen ihm Kristin Ek und der SäPo-Computerexperte Birger Hagman zur Seite. Und das ist auch gut so.

Big Brother is newsfaking you

Es dauert, bis sich Motivationen, Verbindungen und Animositäten herauskristallisieren. Und selbst dies bleibt bis zu Ende unsicher; jeder Freund von Gestern könnte morgen dein Feind sein. Oder umgekehrt. Oder gar nicht. Das Publikum wird ohne Umschweife in einen Haifischtümpel geworfen, in dem man bei allem Schlamm aufwirbelnden Gewimmel, erst langsam erkennen kann, wer gegen wen kämpft und was die Beute ist. Das ist mutig von den Serienschöpfern, denn die ersten Folgen müssen die Zuschauer folgen, während sie ähnlich im Nebel herumstochern wie Kristin und Carl selbst. Der nur als weitgehend positive Identifikationsfigur taugt, weil man weiß, dass er Haupt- und Serienfigur ist. Bei „Game Of Thrones“ wäre weder seine Integrität, noch sein Überleben sichergestellt.

Doch wir befinden uns in einer schwedischen Serie, die geschickt schnelle Action mit komplexen Verwirrspielen verbindet. Deren Themen gerade in Europa mit Besorgnis diskutiert werden: Was, wenn Fake News die Medien fluten und die öffentliche Meinung noch vehementer beeinflussen als bislang, wenn die virtuelle Realität Feinde erschafft, die nur im Computer existieren? Am Ende steht das altbekannte Problem: Wie viel Überwachung braucht ein Staat, wer organisiert und wer – die vermutlich dringlichste Frage – überwacht die Wächter?

Mit Gewalt und Köpfchen gegen eine Armee

Die schwedische Innenministerin setzt auf Freizügigkeit und Wahrung individueller Rechte, wird aber von außen vehement dorthin gedrängt, den Überwachungsstaat zu institutionalisieren. Die Ermächtigungspapiere liegen zur Unterschrift bereit, während einflussreiche Menschen diverser Nationalitäten, sowohl aus Geheimdienst- wie Finanzwelt, beglückt die Hände reiben. Da wird erst tatkräftig destabilisiert, bevor man Schutz vor dem Schaden anbietet, den man selbst verursacht hat. 

Doch die Herrschaften haben die Rechnung ohne den agilen Carl Hamilton gemacht. Dem zwar der Durchblick fehlt, der sich aber seine Integrität bewahrt hat und so eher intuitiv als intellektuell erfassend, den Feinden der Demokratie in die Quere kommt. Der zum Sündenbock auserkorene, vielfach getäuschte Lakai wird zum Sand im Getriebe.  Das stimmt versöhnlich, denn immer wieder wird deutlich wie anachronistisch ein Einzelkämpfer wie Hamilton ist. Er hat Soldatentrupps gegen sich, ein erlesen ausgestattetes und glänzend besetztes Hackerkollektiv, Finanzmogule, mächtige Geheimdienstkräfte, uninformierte Polizisten und etliche Handlanger mit Killermentalität. Der lautere Haudrauf ist eigentlich massiv unterlegen.

Also spendiert man ihm eine Menge Glück, Zufälle und vor allem Unterstützerinnen zur rechten Zeit am rechten Ort, die sich auf Carl Hamiltons Integrität verlassen, obwohl sie fast nichts über den Mann wissen. Carl Hamiltons Existenz und sein Auftreten reichen aus, um ihn zum richtigen Partner im Kampf gegen zerstörerische Fake News und einen faschistoiden, von Lobbyisten unterwanderten Überwachungsstaat zu erküren.

Fazit:

„Hamilton“ funktioniert, trotz einiger Unwahrscheinlichkeiten und Logiklöcher, erstaunlich gut. Denn die Besetzung ist stimmig und gut aufgelegt, die Visualisierung ist von jener Qualität wegen der man skandinavische und britische Serien schätzt.  Der Mix aus knackiger Action und abwechslungsreichem Verwirrspiel sorgt für spannungsreiche Stunden, wenn man sich darauf einlässt. Eine Fortsetzung darf (und wird) gerne kommen. 

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Cover und Fotos: ©‎ Edel Germany GmbH

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