Abschied in Dunkelblau

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1966
  • 4
  • Greenwich, Conn.: Fawcett, 1964, Titel: 'The Deep Blue Good-Bye', Originalsprache
  • München: Heyne, 1966, Seiten: 214, Übersetzt: Joachim Dürr
Abschied in Dunkelblau
Abschied in Dunkelblau
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Michael Drewniok
1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2005

Nostalgie tritt an die Stelle von Verehrung

Lebenskünstler Travis McGee, der sich seinen Lebensunterhalt auf möglichst einfache, aber nie ungefährliche Weise verdient, gerät als Helfer einer jungen, um Geld geprellten Dame an einen sadistischen Psychopathen, der mit Freude die Gelegenheit begrüßt, einen Schnüffler möglichst einfallsreich zu Tode zu bringen... Thriller aus der guten, alten Zeit, als Männer noch hart und hilfsbereit, Frauen willig und dankbar waren. Die weltschmerzmüden Attitüden des Helden sind heute nur mit Kopfweh zu quittieren, während die Story routiniert ihren Lauf nimmt. Den Klassikerstatus der McGee-Serie kann zumindest dieser erste Band nicht einmal annähernd rechtfertigen.

Schöne Mutter in großer Not

Travis McGee, Freigeist und Lebenskünstler, zur Zeit auf seinem Hausboot "Busted Flush" im Hafen von Lauderdale an der Küste Floridas anzutreffen, verdient sich seinen Lebensunterhalt damit, Dinge zu beschaffen, die seine Klienten "verloren" gingen. Hier ist es ein Säckchen voller Diamanten, die Früchte einer erfolgreichen Schmugglerlaufbahn, die Sergeant David Berry im letzten Weltkrieg in Übersee Reichtum, aber letztlich kein Glück gebracht haben. Nachdem er einen Offizier erschlug, bekam er vor Gericht lebenslänglich, doch bevor er ins Gefängnis ging, gelang es ihm, die Juwelen in die USA zu bringen und auf dem Grundstück seiner ahnungslosen Familie zu verstecken. Berry starb als Häftling zwanzig Jahre später, doch krank und zermürbt von der Gefangenschaft, erzählte kurz er noch seinem letzten Zellengenossen Ambrose "Junior" Allen von diesem Geheimnis. Kaum aus der Haft entlassen, machte sich Allen an Catherine, Berrys Tochter, heran. Gerissen und brutal, aber ein genialer Manipulator, zog er die Frau gewaltsam in seinen Bann, bis er Daddys Schatz gefunden hatte und umgehend verschwunden war.

Nun ist er zurück, hat sich ein teures Boot gekauft und wirft mit Geld um sich. Catherine, die mit leeren Händen und einem kleinen Kind dasteht und sich ihren Lebensunterhalt als Tänzerin mühsam verdienen muss, will ihren Anteil. Zur Polizei kann sie verständlicherweise nicht gehen. Ihre Freundin Chook McCall bringt sie mit Travis McGee zusammen, der zusagt sich ihrer Sache anzunehmen. Er nimmt Allens Spur auf, der seine sadistischen Spielchen inzwischen mit der vermögenden Lois Atkinson getrieben hat, was diese an den Rand des Wahnsinns brachte. McGee nimmt sie auf und pflegt sie gesund, während er Allen allmählich näher kommt. Als er ihn schließlich findet, ist dieser gerade dabei, sich ein neues weibliches Opfer zu suchen. McGee stellt Allen eine Falle, doch bevor er sich versieht, dreht dieser den Spieß um und spendiert dem Detektiv ein Seemannsbegräbnis...

Finder für hoffnungslose Fälle

"Wenn X etwas Wertvolles hat und Y daherkommt und es ihm wegnimmt, und wenn es überhaupt keine Möglichkeit auf dieser Welt gibt, wie X das wieder zurückkriegen kann, dann kommst du ins Spiel und handelst mit X aus, dass du es zurückholst und die Hälfte davon behältst. Und dann... lebst du einfach von dieser Hälfte, bis sie fast weg ist." Mit diesen einfachen, aber treffenden Worten beschreibt Chook McCall ihren Freund Travis McGee, die letzte Hoffnung für jene, die sich nicht auf die Hilfe des Gesetzes verlassen können, wenn ihnen etwas abhanden gekommen ist. McGee, der sich selbst als "großen, braungebrannten, schlaksigen Bootsnarren, blassäugigen, drahthaarigen Mädchenaufreißer, Jäger kleiner Raubfische, Strandläufer, Gintrinker, Witzereißer, Atheist, knöcherigen, narbenüberzogenen Außenseiter und Dorn im Fleisch jeder ordentlichen Gesellschaft" bezeichnet, liebt sein freies Leben im warmen Florida, sein schmuckes Hausboot, das er beim Pokern gewonnen hat, und seinen zum Pick-up umgebauten Rolls Royce-Oldtimer. Freilich ist er nicht so oberflächlich oder abgebrüht, wie er sich selbst gern gibt. Tatsächlich ist Travis McGee sogar ein später Nachfahre der mittelalterlichen Ritter und zieht öfter, als er zugeben mag, der Gerechtigkeit willen in den Kampf, der ihm außer der Ehre höchstens Beulen und Wunden einbringt. Aber das ist ihm gleichgültig, denn Travis McGee ist es wichtig, dass er sich selbst stets im Spiegel anschauen kann. Freilich achtet er sorgfältig darauf, diese Seite verborgen zu halten, denn die Welt ist schlecht und nicht freundlich zu den Schwachen, das hat ihn die eigene Vergangenheit (die in diesem ersten Band der Serie nur angesprochen, aber nicht ausgeführt wird) gelehrt.

Lässiger Spießer aus einer versunkenen Welt

Travis McGee genießt in den USA absoluten Kultstatus. Außer Stephen King nennen ihn und seinen geistigen Vater John Dann MacDonald (1916-1987) zahlreiche namhafte Schriftsteller-Kollegen als Vorbild und Quelle der Inspiration. Auflagen in Millionenhöhen belegen, dass ein großes Publikum ihre Bewunderung teilt. Durch einen Ozean und fast vier Jahrzehnte von Travis McGee getrennt, fällt es freilich schwer dies nachzuvollziehen. Nüchtern betrachtet stellen die McGee-Bücher grundsolide konstruierte und erzählte Kriminalromane dar, die indes nicht unbedingt aus der Flut ähnlicher Thriller emporragen. Das war 1964, als Travis McGee auf der Bildfläche erschien, noch anders. Ein Mann mit Grundsätzen, der das Leben zu genießen weiß, ohne sich an der allgemeinen Jagd nach dem schnellen Dollar zu beteiligen oder sich den üblichen gesellschaftlichen Normen, die wohl jedermann manchmal als bedrückende Fesseln begreift, zu unterwerfen - für den Durchschnitts-Amerikaner muss dieses Profil wohl unwiderstehlich gewesen sein.

Inzwischen hat Travis McGee so viele männliche und weibliche Nachfahren bekommen, dass er aus heutiger Sicht nichts Besonderes mehr darstellt. Nostalgie tritt an die Stelle von Verehrung, und das ist auch gut so, denn bei näherer Betrachtung erweist sich John MacDonalds scheinbar so unkonventioneller Held als ziemlich konservativer Charakter. "Wir leben in den Jahren des ´Playboy... Angeblich soll es von anbetungswürdig amoralischen Häschen... nur so wimmeln... Und sie sind tatsächlich in mehr als ausreichenden Mengen vorhanden und verfügbar, aber es haftet ihnen eine sonderbare Reizlosigkeit an. Frauen, die sich nicht in acht nehmen und nichts auf sich halten, können auch für niemand anderen von großem Nutzen sein. Sie werden zu kleinen, hübschen Annehmlichkeiten - wie etwa Gästehandtücher." (Binsen-) Weisheiten wie diese finden sich reichlich - Travis McGee ist definitiv kein Kind der James Bond-Sixties, geschweige denn ein Vorbote der Flower-Power-Ära, sondern ein Moralist und ein moralinsaurer Spießer, der trotz hehrer Grundsätze nichts dabei findet, eines jener "Häschen" ins Bett zu locken, wenn der böse Trieb ihn martert, um sich anschließend voller Selbstekel für solche "Schwäche" zu geißeln, bevor er sich wieder in den reinen Minnekampf stürzt für jene Frauen, die es wert sind.

Mit einiger Vorsicht zu genießen sind auch McGees/MacDonalds sonstige Kommentare, denn auf einen gelungenen, weil originellen, kommen immer mindestens vier missglückte, weil sentimental-kitschige oder altmodisch-belehrende: John D. MacDonald ist nicht Raymond Chandler oder Dashiell Hammett und mit ihrem Talent zum staubtrockenen Einzeiler gesegnet.

21 Travis McGee-Abenteuer gibt es, alle benannt nach einer Farbe bzw. einem Farbton des Regenbogens. (Ob dies nun Sinn macht oder nicht, sei dahin gestellt; der "tiefblaue Abschied" des vorliegenden Bandes bezieht sich vermutlich auf Junior Allens endgültigen Abgang in die Tiefen des Meeres.) Dazu kommen noch mindestens zwei McGee-Pastiches, die MacDonalds legendären Helden zur angeblichen Freude seiner Fangemeinde wieder aufleben lassen; der Leser mag angesichts von Autorennamen wie "Barth Wysong und "Reed Blizzard selbst entscheiden, in wie weit dies wohl gelungen sein könnte.

In Deutschland ist McGees Zeit vorbei

In Deutschland erschienen die McGee-Romane in der für Krimis hierzulande üblichen rüden "Bearbeitung". Bis in die frühen 80iger Jahre war es üblich, "triviale" Literatur in vorgegebene Formate (meist 128 - 144 - 160 Seiten) zu pressen. Wenn die Originaltexte zu lang waren, wurden sie eben gekürzt, und unter den Tisch fielen dabei in der Regel die "ruhigen" Szenen, in denen nicht verfolgt, geschossen oder (in Maßen) geliebt wurde und die den dummen deutschen Leser ohnehin nur verwirren konnten. Ende der 1990er Jahre versuchte der Rotbuch Verlag, den "echten", d. h. ungekürzten Travis McGee dem deutschen Publikum vorzustellen. Die Resonanz hielt sich in Grenzen, nach drei Bänden war die McGee-Renaissance schon wieder vorbei - wenig verwunderlich, denn eine echte (Wieder-) Entdeckung war und ist es nicht, die den Krimi-Freund erwartet.

Travis McGee ist heute eine anachronistische und milde lächerliche Figur aus einer längst versunkenen Epoche. Nur in ihrer vergilbten Vergangenheit funktioniert die Geschichte, in die ihn sein Schöpfer verwickelt. Dann wird sie immerhin flott und flüssig erzählt und kommt nach kaum mehr als 200 Seiten zum Ende - und das ist die schmerzlich vermisste Kunst einer Ära, in der ein wirklich guter Krimi noch nicht über 400, 500 oder mehr Seiten ausgewalzt werden musste!

Abschied in Dunkelblau

John D. MacDonald, Heyne

Abschied in Dunkelblau

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