Lenz

  • Ullstein
  • Erschienen: Oktober 2018
  • 15
  • Berlin: Ullstein, 2018, Seiten: 256, Originalsprache
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2019

Der beste Freund ein Terrorist?

Drei Monate war Kommissar Eschenbach nicht im Dienst, sondern mit seiner Tochter Kathrin in Amerika. Zurück in Zürich erfährt er vom aktuellen Fall: Walter Habicht, der tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Ivy Köhler, die in Eschenbachs Abwesenheit die Mordkommission leitete, war offenbar besonders fleißig, denn der Fall wurde bereits zu den Akten gelegt. Nierenversagen, keine Fremdeinwirkung.

Eschenbach sucht dennoch die Wohnung des Toten auf und wundert sich. Offenbar wurde jüngst ein Parkettboden verlegt, doch es lässt sich keine Firma finden, die diesen Auftrag durchgeführt haben will. Die Nachbarn haben Habicht nie gesehen, überhaupt schien dieser keine Freunde gehabt zu haben. Dabei war Habicht ein bekannter Wissenschaftler, der vor langer Zeit an der ETH Zürich als Professor Vorträge hielt bevor er in die USA zog.

Auf Nachfrage teilt man Eschenbach an der ETH mit, dass Habicht offiziell dort nie unterrichtet habe. Anweisung der Bundesanwaltschaft. Eschenbach will nochmals die Spurensicherung in Habichts Wohnung schicken, doch am Tag zuvor brennt das gesamte Haus nieder. Überrascht erfährt Eschenbach, dass das Mehrfamilienhaus Ewald Lenz gehört, seinem Freund, der lange Zeit bei der Züricher Kripo das dortige Archiv leitete. Aber woher sollte Lenz das nötige Geld für das Haus haben? Und noch wichtiger: Wo ist Lenz überhaupt?

Je länger man liest, desto besser wird es

Michael Theurillat gehört in der Schweiz zu den beliebtesten Krimiautoren, Kommissar Eschenbach ist dort Kult. Dabei erscheint der kauzige Kommissar vollends aus der Zeit gefallen zu sein, was seine Popularität maßgeblich erklären dürfte. Eschenbach geht noch zu Fuß durch seine Stadt, befragt mögliche Zeugen, trinkt aber auch gerne mal einen Kaffee oder raucht am See eine Brissago, obwohl er eigentlich im Büro arbeiten sollte.

Aber dort steht ein Computer und mit dem kann er nun mal nichts anfangen. Eschenbach ist „old school“ und dementsprechend ist auch der Roman angelegt. Ruhig, beschaulich und doch muss man aufpassen, denn die einzelnen Kapitel spielen zeitversetzt. Die angegebenen Daten zu Beginn jeden Abschnitts verdienen also durchaus die Aufmerksamkeit des Lesers.

Und plötzlich geht es um den Krieg in Syrien

Die Geschichte handelt von drei Freunden, die geniale Wissenschaftler hätten werden können. Walter Habicht, der zuletzt krankheitsbedingt seine Wohnung nicht mehr verlassen konnte oder wollte, dem titelgebenden Ex-Archivar und Isabel Cron, die gemeinsame Freundin der beiden Herren, wenngleich Lenz sie seit rund 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Lenz, daher der Titel des Romans, ist die eigentliche Hauptfigur und nimmt entsprechend viel Platz ein.

Er besucht unter denkwürdigen Umständen auf Wunsch von Habicht seine frühere Partnerin und erfährt mehr über deren und Habichts Leben als ihm lieb ist. Isabel war in vielen Ländern des Nahen Ostens für eine geheime, amerikanische Organisation tätig und so erfährt Lenz auch die wahren Hintergründe des Konflikts in Syrien. Oder zumindest das, was Isabel für wahr hält.

„Im Syrien-Krieg geht es weder um Religion noch um den eruptiven Aufstand eines Volkes gegen seinen Herrscher. Das ist alle Mumpitz. Demokratisierungsüberlegungen spielen dabei genauso wenig eine Rolle wie der Terrorismus per se. Beim Konflikt in Syrien geht es im Wesentlichen um die Versorgung Europas mit Erdöl und Erdgas, um die Vormachtstellung Russlands in dieser Sache und um das Interesse einiger Golfmonarchien und der USA, hier ein Wörtchen mitreden zu wollen.“

Demnach ist hier die Nato aktiv, vor allem aber Amerika mit seinen Partnern Türkei, Katar und Saudi-Arabien. Es geht um Einfluss in Europa, genauer um Erdgas und somit auch um den Einfluss der Russen über Gasprom. Wer sich für aktuelle politische Themen, hier der „Krieg gegen Assad“, interessiert, erfährt eine neue Variante der Geschehnisse. Und deren mögliche Ursachen, denn wer weiß schon, was Wahrheit ist?

Auch diese Frage ist ein zentraler Aspekt des Romans. Wahrheit, Beeinflussung, fake news. Nach und nach führen die beiden Handlungsebenen (Lenz bei Isabel, Eschenbachs Recherchen) zueinander. Die Spannung steigt, das Lesetempo nicht. Hintergrundinfos statt Actionspektakel, geistiger Input statt hirnlose Ballerei.

Fazit:

„Lenz“ ist ein Roman, der nachwirkt. Sind wir wirklich – einmal mehr – richtig desinformiert worden, was die Hintergründe des Syrienkrieges betrifft? Böse Erinnerungen an die Griechenlandkrise werden wach, wo nicht die Griechen, sondern (nicht zuletzt deutsche) Banken gerettet wurden. Es gibt viele Fragen für Lenz und Eschenbach. Nicht viele der Antworten werden ihnen gefallen.

Lenz

Michael Theurillat, Ullstein

Lenz

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