Donald Ray Pollock

Viel Gewalt in Amerika

10.2013 Tim König sprach mit dem US-Autor Donald Ray Pollock über seinen Roman Das Handwerk des Teufels, Abgründe der menschlichen Existenz – sowie über Brot und Würstchen.

Krimi-Couch: Ihr Buch The Devil all the time ist in Deutschland als Das Handwerk des Teufels veröffentlicht worden. Was würden Sie als Ihr Handwerk bezeichnen?

Donald Ray Pollock: Ich versuche zu lernen, wie man schreibt. Ich fühle mich ein wenig unwohl, mich einen Autor zu nennen. Es ist ein bisschen verrückt, aber dort, wo ich herkomme, klingt es immer ein bisschen prätentiös, sich einen Autor zu nennen. Aber ich hoffe, dass ich mich eines Tages wohl damit fühle, mich so selbst zu bezeichnen. Ich bin fast 59 Jahre alt, wenn ich nur ein bisschen besser werden würde, in diesem Handwerk des Schreibens, wäre ich zufrieden.

Krimi-Couch: Sind die Personen in ihren Büchern eher mathematische Funktionen, deren Variablen Sie zusammensetzen, oder nehmen Sie Ihre Figuren eher mit in den Schlaf?

Donald Ray Pollock: Die Figuren sind real, zumindest in meinem Kopf. Ich könnte Charaktere nicht nach einer Formel erschaffen. Die Figuren müssen nach einer Weile mit dir sprechen. Und ich glaube, dass das eine gute Sache ist, wenn sie dir weiterhelfen. Weil es zeigt, dass du genug nachdenkst, wenn sie in deiner Vorstellung lebendig werden.

Aber es gibt keine Formeln in meinem Werk. Ich hänge sehr lange herum, bis ich eine Geschichte finde, brauche lange, um mir über Dinge klar zu werden – es ist ein ziemlich liederlicher Prozess. Ich werfe viele Seiten weg. Es ist fast Zufall, aber so würde ich es nicht nennen, weil ich jeden Tag arbeite, um etwas zu kreieren. Aber manchmal fühlt es sich wie ein Geschenk an, die Tage so chaotisch zu verbringen – ich habe hier wirklich etwas Schönes.

Krimi-Couch: Die Figuren in Ihren Büchern sind nur schwer als reale Menschen vorstellbar- sie sind sehr brutal und roh – und sie kommen alle aus Ohio. Spricht man in dort überhaupt noch mit Ihnen?

Donald Ray Pollock: (Lacht) Meistens sprechen sie schon noch mit mir. Es stimmt, meine Charaktere sind alle sehr brutal, roh und gewaltsam. Aber ich versuche nicht, ein akkurates Portrait dessen abzugeben, was in Süd-Ohio wirklich passiert. Meine Geschichten sind auf vielen Dingen begründet. Dinge, die ich gesehen habe, Bücher, die ich gelesen habe und viele, viele andere Einflüsse.

Gleichzeitig glaube ich aber, dass man fast jede Zeitung in Amerika an irgendeinem Tag aufschlagen kann, und man findet eine Person, die genauso oder fast genauso böse ist wie die Charaktere in meinen Büchern. Und das sind reale Personen, über die wir sprechen.

Da ist viel Gewalt in Amerika, viele Probleme mit häuslicher Gewalt, Kindesmisshandlung, Armut, Arbeitslosigkeit, Sucht. Nur, was das mit meiner Arbeit zu tun hat: Ich fokussiere mich nicht auf die besseren Dinge des Lebens. Also den zurückhaltenden, netten Menschen. Ich kann nicht wirklich erklären, warum. Aber vielleicht liegt es daran, dass diese Leute nicht unbedingt spannende Geschichten hergeben. Also bleibe ich bei den Kriminellen.

Krimi-Couch: Auf der Kommentarseite der Krimi-Couch hat ein Leser geschrieben, er befürchte, durch die Rohheit Ihrer Geschichten abzustumpfen. Obwohl das bei diesem Leser nicht der Fall war, gibt es sicher einige Leser, die wegen dieser Rohheit Ihre Geschichten nicht mögen.

Donald Ray Pollock: Ich kann gut vorstehen, wo das herkommt. Viele Menschen erledigen den ganzen Tag harte Arbeit, kommen Abends nach Hause und wollen mit einem Buch entspannen. Und viele Leute werden das nicht bei meinen Geschichten schaffen, weil meine Geschichten kein glückliches oder hoffnungsvolles Ende haben. Aber ich kann das wirklich gut verstehen.

Krimi-Couch: Manchmal haben Sie mich sogar an den dänischen Philosophen Kierkegaard erinnert, der fast alle Menschen als verzweifelt darstellt. Ist das auch ein Einfluss in Ihrer Arbeit?

Donald Ray Pollock: Das ist eine sehr pessimistische Weltsicht – meine mit Abstand größten Einflüsse kommen aber von Autoren aus dem Süden der USA: Harry Crews, Flannery o'Connor, William Faulkner. Und sie arbeiten mit sehr abgründigen Themen, obwohl ihre Geschichten häufiger hoffnungsvoll enden.

Aber wir arbeiten alle mit – obwohl ich mich auf keinen Fall mit ihnen auf eine Stufe setzen möchte, ich bin nichtmal annähernd so gut wie sie – mit der selben Sorte von Menschen. Bergleute, arme und ungebildete Menschen.

Das sind die Menschen, über die ich mehr weiß, als über alles andere. Sie müssen verstehen, dass ich mein ganzes Leben in Ross County, Ohio gelebt habe. Nirgendwo sonst. Also kommt mein Material aus diesem Teil der Welt.

Krimi-Couch: Sind sie glücklich damit, in das Krimi-Genre eingeordnet zu werden?

Donald Ray Pollock: Jeder muss Dinge einordnen können. Wenn du über ein Buch redest, musst du irgendein Etikett draufkleben. Wenn Menschen mich einen Krimi-Autor nennen, ist das okay. Ich versuche einfach nur das beste zu geben, was ich kann, über mehr zu schreiben als nur Verbrecher und Detektive.

Krimi-Couch: Ihre Kurzgeschichten in Knockemstiff lesen sich manchmal ein bisschen wie Gedichte: Sie haben eine ganz eigene Dramaturgie, in der die Spannung nicht kontinuierlich steigt, sondern Ambivalenzen entstehen lässt – oft Enden, wie man sie eigentlich nur aus der Poesie kennt.

Donald Ray Pollock: Besonders bei der Kurzgeschichtensammlung habe ich experimentiert. Ich schrieb vier Jahre an den Geschichten; ich habe Zeile für Zeile überdacht und habe versucht, jeden Satz so dicht wie möglich zu fassen, keine Wörter zu verschwenden. Und die Enden sind wirklich keine wasserdichten Fälle. Sie sind offen; der Leser kann entscheiden, was mit den Figuren nach dem Ende passiert.

Ich versuche das Beste aus der Sprache herauszuholen. Ich bin ein langsamer Arbeiter.

Krimi-Couch: Haben Sie spät angefangen zu schreiben oder spät angefangen, Ihre Geschichten zu publizieren?

Donald Ray Pollock: Mir kam niemals in den Sinn, es mit dem Schreiben zu versuchen, bevor ich 45 war. Ich war lange Zeit ein großer Leser, schon immer, seit ich ein Kind bin. Wobei ich als Kind nie die Gelegenheit hatte, etwas Gutes zu lesen, ich glaube, wir hatten nicht mal eine Bibel. Aber wir hatten miese Zeitschriften und damit habe ich das Lesen begonnen. Später, als ich in der Schule war, konnte ich dann in die Bibliothek gehen und konnte Bücher ausleihen.

Aber als ich 45 wurde, bin ich durch diese Sache gegangen, und ich hatte seit 27 Jahren in einer Fabrik gearbeitet und ich war unzufrieden mit dem, was aus meinem Leben geworden ist. Und ich war am herumtasten, versuchte herauszufinden, was ich stattdessen tun könnte. Da kam es mir in den Sinn: Vielleicht könnte ich lernen, wie man schreibt.

Krimi-Couch: Sehen Sie einen Unterschied, wie Ihre Bücher hier und in den USA behandelt werden?

Donald Ray Pollock: Ja, es scheint mir so, als wären die Leser in Europa ein bisschen ernsthafter, als würden sie ein bisschen mehr darüber nachdenken, was sie lesen. Das wirklich Schöne hier ist, dass es unabhängige Buchläden gibt. Es gibt zwar noch ein paar in Amerika, aber sie sterben aus, werden von Amazon und Co. an den Rand gedrängt. Es ist schön, zu sehen, dass die Unabhängigkeit hier weiterlebt.

Krimi-Couch: Wo werden Sie öfter gefragt, ob der amerikanische Traum tot ist – Amerika oder Europa?

Donald Ray Pollock: In Amerika werde ich das öfter gefragt. Aber das größte Problem ist im Moment die politische Situation. Es ist vielleicht ein bisschen albern, das zu sagen, während in Syrien Bürgerkrieg herrscht, aber wir stagnieren. Das Land ist in Republikaner und Demokraten geteilt, die sich gegenseitig behindern.

Wir haben hier die Reichen und die Armen, und die Mittelschicht stirbt aus. Den meisten Menschen wird es niemals mehr so gut gehen wie vor 30, 40 Jahren mit einer florierenden Mittelschicht.

Krimi-Couch: Glauben Sie, dass es noch eindeutig zu benennen ist, was in der Welt passiert? Sie haben eben von Syrien gesprochen – das ist so schwierig, ob und wie man da intervenieren könnte.

Donald Ray Pollock: Das sind Entscheidungen, über die ich weder nachdenken noch sprechen kann. Die Welt ist so kompliziert. Ich gehe einfach nach Hause und versuche ein einfaches Leben zu führen. Immer, wenn ich versuche zu verstehen, was in der Welt passiert – da will ich es einfach abschalten, vergessen.

Krimi-Couch: Das Paradoxe ist aber, dass man nach dem Lesen Ihrer Geschichten manchmal das Gefühl hat, ein bisschen mehr von der Welt zu verstehen.

Donald Ray Pollock: Ja, das ist schön zu hören, aber ich versuche nur, eine gute Geschichte zu schreiben. Die Leser können viel mehr in einer Geschichte sehen, als es der Autor kann.

Krimi-Couch: Das ist ein interessanter Standpunkt, für jemanden, der Literatur studiert hat.

Donald Ray Pollock: Das stimmt. Aber wenn es um meine eigenen Sachen geht, dann denke ich nach dem Schreiben nicht mehr über die Geschichte nach, außer, wenn ich ein Interview führen oder es vorlesen muss. Ich bin kein Intellektueller. Ich will einfach nur gute Geschichten schreiben.

Krimi-Couch: Es bleibt noch Zeit für eine letzte Frage: Was war die beste Mahlzeit, die Sie hier gegessen haben?

Donald Ray Pollock: Ich habe hier schon viel gegessen, darüber muss ich also ein bisschen nachdenken (lacht). Es war das einfachste Essen, das ich bisher gegessen habe. In Wien, kurz nach einer Lesung während der Kriminacht, gab es ein Büfett mit verschiedenen Sorten Brot und Würstchen. Das war das beste Essen in Europa für mich – ich bin zwar kein Gourmet, aber das habe ich genossen.

Für das Interview traf Tim König den Autor im Oktober 2013 im Rahmen seiner Lesereise.

Dr. Drewnioks
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