Nick Stone

»Eine Verkörperung der Globalisierung. Ja, das bin ich. Ich bin der Coca-Cola-Mann.«

12.2007 Nick Stone erzählt über seinen Debütroman Voodoo, sein Verhältnis zu Haiti, seine gefährlichen Recherchen vor Ort und darüber, warum er Miami in jedem Fall seinem Wohnort London vorzieht. Ein Gespräch mit Krimi-Couch-Herausgeber Lars Schafft.

Krimi-Couch: Mr. Stone, Voodoo verkauft sich bestens hier in Deutschland. Ein toller Erfolg für ein Debüt.

Nick Stone: Ja, das freut mich wirklich sehr. Das Buch hat sich in Deutschland bisher besser verkauft als in England und den USA zusammen. Eigentlich sogar besser als auf der ganzen Welt zusammen. Vielen Dank an jeden also, der das Buch gekauft hat. Und kaufen Sie es weiterhin! Ach ja, meine Frau möchte sich auch herzlich bedanken. Sie lässt sich jetzt scheiden und verschwindet mit meinem ganzen deutschen Geld. [lacht]

Krimi-Couch: Das ist doch erstaunlich, dass Voodoo in deutscher Übersetzung besser läuft als im Original.

Nick Stone: Ja, in der Tat. Eine Riesenüberraschung und eine große Ehre für mich. Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt nicht damit gerechnet, dass sich das Buch gut verkauft. Meine Ziele waren eher bescheiden. Als ich das Buch im Januar 2003 angefangen hatte zu schreiben, bin ich nichtmals davon ausgegangen, dass ich einen Verlag finden werde. Eigentlich habe ich es nur geschrieben um einmal ein Buch geschrieben zu haben. Ich hatte da einen Punkt in meinem Leben erreicht, wo ich die letzten zwölf Jahre Jobs hatte, die sich als Sackgassen herausstellten. Ein Buch wollte ich schon immer schreiben, habe das aber nie zum Ende geführt. Und dann kam der Moment, wo ich mir sagte: Ich muss das jetzt tun! Sonst würde ich in diesen Jobs ohne Zukunft bis zum Lebensende arbeiten.

Es war dann also ein wirklich angenehmer Schock, eine tolle Überraschung, dass sich das Buch so gut macht. Keine Ahnung, warum es das tut [lacht]. 

Krimi-Couch: Vielleicht, weil es tatsächlich gut ist?

Nick Stone: Ja, das sagen mir die Leute. Aber ich stelle hohe Ansprüche an mich selbst. Als ich Voodoo fertig hatte, dachte ich: Dies hättest du besser machen können, jenes besser anders geschrieben. Aber das Gute daran ist: Ich kann und werde es weiterhin versuchen, meine eigenen Ansprüche zu erfüllen.

Krimi-Couch: Sind Sie eigentlich ein Vollzeit-Autor?

»Ich war auch vorher ein Vollzeit-Autor, mit oder ohne Geld, meistens ohne Geld.«

Nick Stone:  Ja, jetzt schon. Ehrlich gesagt: Ich war auch vorher ein Vollzeit-Autor, mit oder ohne Geld, meistens ohne Geld in den letzten fünf Jahren. Meine Frau hat mich in dieser Zeit sehr unterstützt, als ich Voodoo geschrieben hatte. Ich hatte verschiedene Teilzeit-Jobs, die meisten im Bereich der Justiz, meine Schwägerin ist Strafrechtsanwältin. Ich begleitete sie zum Gericht und machte dort Notizen zu diesen ganzen Mordfällen und so habe ich auch echte Kriminelle kennengelernt. Das war absolut faszinierend. Irgendwann werde ich auch ein Buch über das Rechtswesen schreiben.

Krimi-Couch: Wie kam Ihre Frau mit Ihnen klar, als Sie Vooodoo schrieben? 

Nick Stone: Hm …Ich bin wahrscheinlich jemand, mit dem es nicht leicht auszuhalten ist, wenn er schreibt. Da müssen Sie sie fragen, sie ist aber gerade dankenswerterweise nicht da. Sie würde Ihnen wahrscheinlich sagen, dass alles sehr einfach war. Aber es war schon ein großes Opfer für sie. Nicht nur finanziell, auch emotional – keiner von uns beiden wusste schließlich, wie die Sache ausgehen würde. Für achtzehn Monate war der Ausgang sehr unsicher. Ich hatte zwar Voodoo fertig, meine Agentin fand es gut, war überzeugt, dass sie einen englischen Verlag dafür finden würde etc. etc. Aber bis zu dem Punkt, wo es dann feststeht, ist es unsicher. Und dann sagst du »Danke, Gott«. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Sie ist eine wunderbare Frau. Ohne sie würden wir uns beide jetzt nicht unterhalten, weil ich das verdammte Buch ohne sie nie geschrieben hätte.

Krimi-Couch: Haben Sie das Buch in einem Stück geschrieben, oder wochenlange Pausen gemacht? Wie darf man sich das vorstellen?

»Um 4.30 Uhr bin ein klappernder Arzneischrank.«

Nick Stone: Ich schreibe jeden Tag, stehe sehr früh auf, gegen 4.30 Uhr. In der ersten Stunde lese und beantworte ich dann meine E-Mails, surfe im Netz, höre Musik und trinke Unmengen an Kaffee. Dazu kommen dann jede Menge Vitaminpräparate. Ich war Boxer und Vitaminpräparate habe ich seit meinem vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahr genommen. Jedes einzelne Vitamin im Alphabet – ich nehme es. Und jede Menge anderes Zeug: Kräuterkuren für dieses, Kräuterkuren für jenes, Knoblauchpillen und so weiter. Um 4.30 Uhr bin ein klappernder Arzneischrank. Das ist dann meine erste Stunde. Um 5.30 Uhr fange ich an zu schreiben und tue dies für gewöhnlich die nächsten sieben bis acht Stunden. 

Krimi-Couch: Die Idee zu Voodoo, schreiben Sie auf Ihrer Homepage, ist bei ihrem letzten Besuch in Haiti in den spätern 90ern entstanden. Das war eine Rückkehr.

Nick Stone:  Ja, richtig. Ich bin zwar in England geboren und habe dort auch die ersten sechs Monate gelebt. Meine Eltern, mein Vater ist Schotte, meine Mutter aus Haiti, hatten seinerzeit kein Geld, um mich großzuziehen. Deswegen verbrachte ich vier Jahre meiner Kindheit bei meinen Großeltern in Haiti, lernte dort zu laufen und zu sprechen.

Krimi-Couch: Sie sprechen also Französisch?

Nick Stone: Ja, flüssig. Auch das Haitianische Kreol. Aber das meiste habe ich vergessen. Es kommt erst wieder, wenn ich mit Haitianern spreche. Nächstes Jahr lerne ich Spanisch, da Teile meines neuen Romans auf Kuba spielen. Wissen Sie, ich recherchiere ausgiebig.

Krimi-Couch: Wie wichtig ist es für Sie, direkt vor Ort zu recherchieren?

Nick Stone: Sehr wichtig. Ich weiß, viele andere Autoren machen das nicht so. Aber die Eindrücke eines Ortes auf jemanden sind sehr einzigartig, wie man etwas sieht, wie man etwas riecht, wie man etwas schmeckt, wie der Ort auf einen einwirkt. In meinen Büchern möchte ich eine so authentisch wie mögliche Schilderung dieser Eindrücke vermitteln. Ich möchte meinen Leser das Gefühl vermitteln, dass sie sich tatsächlich gerade an jenem Ort befinden. Da bin ich kompromisslos. Haiti hat zum Beispiel einen ganz eigenen Geruch, den man nicht aus Reiseführern oder DVDs entnehmen kann, man muss ihn wirklich selbst wahrnehmen. Als ich das letzte Mal da war, konnte ich den Staub und den Dreck in der Luft beim Atmen praktisch schmecken, leicht metallisch schmeckt das. Und das wollte ich auch in meinem Buch an den Leser bringen.

Krimi-Couch: Sind die Einrdrücke des Landes, die Ihr Protagonist hat, also eigentlich Ihre?

Nick Stone: Ja, ganz genau! Manche seiner Reaktionen auf Haiti sind allerdings nicht meine. Ich musste mich schließlich in einen Amerikaner hineinversetzen, der gerade aus dem Gefängnis kommt und alles verloren hat, der nie in ein anderes Land gereist ist und der jetzt in eines fährt, das sich für ihn völlig fremdartig darstellt. Seine Reaktionen sind also doch ziemlich seine eigenen bzw. solche, die ich bei jemandem in seiner Lage mir vorstelle. Aber: Vieles, was er sieht, habe ich auch gesehen. Und manche Dinge, die ihm passieren, wie die Stelle im Buch, als er von den Kids überfallen wird, habe ich auch erlebt.

Ja, das ist fast – fast – zu 100%, was geschehen ist. Ich habe zwar ein paar Kids dazu erfunden und wurde nicht von einem gigantischen Mann mit zwölf Fingern gerettet. In meinem Fall war das ein Marine, mit dem ich die ganze Nacht getrunken hatte. Er hörte nicht auf mir zu erzählen, wie gefährlich Haiti ist und dass ich mir dringend eine Pistole zulegen sollte. Ich hatte noch nie eine Pistole, noch nie eine in der Hand gehalten. Ich bin schließlich Engländer, sowas hat man hier nicht. Okay, jetzt schon. Aber damals, als ich nach Haiti flog, nunmal nicht. Der Marine zählte mir dann die verschiedenen Typen auf: »Entweder besorgst du dir eine Sig Sauer oder eine Glock. Das sind die besten. Zuverlässig, sicher. Du ziehst sie und schießt einfach.« Ich sagte nur: »Okay, sicher. Klar.«

Aber um zwei Uhr morgens wollte ich nach Hause, gerademal fünf Minuten zu Fuß. Ich war sehr betrunken und stand plötzlich vor einer Jugend-Gang, der Anführer schlug mich mit seiner Waffe nieder. Dann stürmte der Marine aus der Bar, schoss in die Luft, schnappte sich den Anführer, hielt ihm seine Knarre an den Kopf und sagte: »Ich habe euch gesagt, nie wieder zu dieser Bar zu kommen, haut ab!« Zu mir meinte er: »Ich habe doch gesagt, dass du eine Waffe brauchst.« Am nächsten Morgen kam er mit einem ganzen Militärconvoi an und gab mit zwei nagelneue Glocks. »Du musst lernen, zu schießen« und er brachte es mir in Grundzügen bei. Ab da hatte ich eine Waffe immer in meinem Haus und eine im Auto, ich bin ohne Pistole tatsächlich nicht mehr vor die Tür gegangen. 

Krimi-Couch: Wie sieht Ihr persönliches Verhältnis nach diesen Erlebnissen zu Haiti aus?

Nick Stone: Die Hälfte meiner Familie stammt aus Haiti, ich selbst bin halb haitianisch. Bis 1997 bin ich eigentlich regelmäßig dahin gefahren. Gut, seitdem war ich auch nicht mehr dort, ich möchte auch im Moment da gar nicht hinfahren. 

Meine Familie, die Aubrys, gehört zu den ältesten Haitis. In Port-au-Prince ist sogar eine Straße nach einem meiner Vorfahren benannt. Eine meiner Großtanten hat als Hauptsekretärin für »Papa Doc« Duvalier (erst Präsident, später Dikator Haitis; Anm. d. Red.)  gearbeitet, sie hatte große Angst vor ihm. Sie hat mir diese fantastische Geschichte über ihn erzählt ... – wollen Sie sie hören?

Krimi-Couch: Ja, gerne!

Nick Stone: Es war so gegen 1968, 1969, »Papa Doc« war schon recht alt. Eines Tages erhielt sie einen Anruf des amerikanischern  Botschafters, der nach dem Stand der Aufstände fragte. Sie versuchte also, »Papa Doc« ausfindig zu machen, der sich im großen Nationalpalast aufhielt, einem riesigen, weißigen Gebäude in Port-au-Prince. Sie suchte ihn in allen Räumen, in denen er sich sonst aufhielt: in der Bibliothek, dem Konferenz-Raum, der Küche, dem Schlafzimmer, überall – aber sie konnte ihn nicht finden. Schließlich fragte sie jemanden und der teilte ihr mit, dass »Papa Doc« im »Roten Raum« wäre. Von dem hatte sie bereits gehört, ihn aber noch nie gesehen. Als sie die Türen zum »Roten Raum« aufmachte, sah sie einen Raum ohne Fenster, der komplett in rot gestrichen war. Boden, Decke, Wände, alles! In der Mitte stand ein riesiger Tisch, an dem alle Vorsitzenden von »Papa Docs« Geheimpolizei mit ihren dunklen Sonnenbrillen saßen. Keiner sah sie an und als sie eintrat, entdeckte sie »Papa Doc« am Kopf des Tisches mit irgendetwas vor ihm auf dem Tisch. Als sie näher kam, sah sie, was es war: ein menschlicher Kopf, sauber vom Körper abgetrennt. Sie ging weiter zu »Papa Doc« und überbrachte ihm die Nachricht, sie hatte eine Höllenangst, war aber eine sehr professionelle Frau. »Papa Doc« sagte ihr daraufhin ohne sie anzuschauen: »Teilen sie dem amerikanischen Botschafter mit, dass ich den Kopf der Aufstände gerade bei mir habe.«

Sie ging nie wieder zurück in den Palast ohne eine Bibel,  eine Flasche Weihwasser und eine kleine Pistole. Sie sagte, dass die Bibel und das Weihwasser gegen den teuflischen Geist im Palast seien – und wenn beides nicht wirkt, würde sie sich mit der Pistole erschießen. Eine wahre Geschichte.

Krimi-Couch: Man kann also nicht sagen, dass Sie sich in Haiti wirklich wohl fühlen momentan.

Nick Stone: Nein. Nein, eigentlich …Nein. [lacht]. Haiti ist ein ziemlich Angst einflößender Ort Zur Zeit: Kidnapping ist ein eigener Wirtschaftszweig geworden. Erst kürzlich habe ich gelesen, dass eine Gang ein sieben Jahre altes Kind entführt hatte. Sie forderten von den Eltern ein Lösegeld von 678 Dollars.  Da die Eltern zu arm waren, das Lösegeld zu bezahlen, haben die Entführer das Kind umgebracht. Für 678 Dollars. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich das Lösegeld aus meiner eigenen Tasche bezahlt. Jetzt zu Weihnachten steigt die Zahl an Entführungen immens an, die Leute wollen Weihnachtsgeschenke kaufen und um das Geld dafür zu bekommen, entführen sie Kinder. Schrecklich ist das, schrecklich.

Krimi-Couch: Also ist Voodoo ziemlich nah an der Realiität geschrieben.

Nick Stone: Ja, richtig. Die Entführung von Charlie Carver, über die ich schreibe, basiert sehr auf einer Begebenheit aus dem wirklichen Leben. Natürlich nicht exakt, aber es gab eine Vorlage, wo ein Kind reicher Eltern entführt wurde. Was noch nie in Haiti passiert ist. Das liegt daran, wie die Gesellschaft Haitis zusammengesetzt ist: Auf der einen Seite gibt es die Super-Reichen, eine winzige Minderheit, vielleicht 0,5% der Bevölkerung. Der Rest ist sehr, sehr arm – oder zumindest nah dran, sehr, sehr arm zu sein. Die Armen haben die Reichen aber bis dahin noch nie angegriffen, weil sie auf die Reichen angewiesen waren: die Jobs, die Häuser, die Nahrung. So sah das aus. Wenn nun die Armen ein Kind der Reichen entführen und Lösegeld verlangen – das hatte es vorher nie gegeben. Als dies dann geschah, strömte eine Schockwelle über das ganze Land. 

Krimi-Couch: Und wie sieht es mit Max Mingus aus? Haben Sie für ihn ein Vorbild?

Nick Stone: Nein. Er sieht nur so aus wie ein alter Kumpel von mir, Shamus, mit dem ich Boxen gegangen bin. Daraus hat sich ein Witz entwickelt, jedes Mal, wenn ich Shamus treffe: Er nennt sich mittlerweile schon selbst Mr. Mingus. Er sieht haargenau so aus: Groß, glatzköpfig, mit einem bösen Blick …[lacht] Nein, aber das Schlimmste, was mir passiert ist, war in Amerika, als mich einer auf Max Mingus ansprach: »Nick, du bis ein Zyniker. Du hast dir Bruce Willis als Vorbild für Max Mingus genommen.« Ich meinte nur: »Hör auf damit, er sieht kein bisschen aus wie Bruce Willis!«. Nichts gegen Bruce Willis, er hat einige tolle Filme gemacht, aber Max Mingus basiert definitv nicht auf ihm.

Krimi-Couch: Mr. Stone, Sie haben schottische und haitianische Wurzeln, sind in Cambridge geboren und schreiben nun einen Kriminalroman, der in Haiti und Miami spielt. Irgendwie sind sie doch eine Art Verkörperung der Globalisierung.

Nick Stone: [lacht laut los] Das gefällt mir. [lacht weiter lauthals] Brilliant. Eine »Verkörperung der Globalisierung« – ja, das bin ich. Der »Coca-Cola-Mann« [lacht weiter]. Ah, das gefällt mir, wirklich gut. Zitat des Jahres. [lacht immer noch]

Krimi-Couch: Auf Ihrer Website bin ich auf Ihre Lieblingsautoren- und bücher gestoßen. Auf der einen Seite führen Sie da die großen Literaten aller Zeiten auf – Camus, Faulkner, Kaffka -, auf der anderen Seite aber auch Krimi-Autoren der Hardboiled- und Noir-Schule – Ed McBain, James Ellroy, Walter Mosley. Offensichtlich machen Sie also keinen Unterschied zwischen Kriminalromanen und Literatur?

Nick Stone:  Nein, wirklich nicht. Nehmen Sie James Ellroy: Wenn er seine Romane, so ab Die schwarze Dahlie, in einem literarischen Genre angesiedelt hätte, würden die Leser ihn heute als James Joyces kleinen Bruder oder neuen Samuel Beckett verehren. Er wählte aber den Kriminalroman, der natürlich beliebt ist: verkauft sich gut, ist kommerziell. Dabei übersehen die Leute dann, was James Ellroy für ein absolut herausragender Autor ist. Chandler hat die Achtung seines Werkes auch erst bekommen, als er Jahre tot war. Es gibt natürlich auch die literarischen Autoren, die sich beim Kriminalroman bedienen, Paul Auster mit seiner New-York-Trilogie zum Beispiel. Im Grunde sind das metaphysische Kriminalromane – von den Konventionen, vom Stil, vom Tempo her. Und sie hatten großen Einfluss auf mich. Aber keiner würde hingehen und sagen »Uh, Paul Auster: Die sind wirklich schlecht, das ist doch Populärliteratur«. Ich persönliche unterscheide also nur zwischen großartigen Büchern und – nicht so großartigen Büchern. Die nicht so großartigen lese ich gar nicht.

Krimi-Couch: Im Herbst erscheint bei uns das Prequel zu Voodoo, das im Sommer als King of Swords in England erschienen ist. Worum geht's da?

Nick Stone: Es spielt komplett in Miami, fünfzehn Jahre vor Voodoo, als Max Mingus noch ein Cop war. So gegen 1981, als Miami noch eine wirklich gefährliche Stadt war, die gefährlichste sogar der ganzen Vereinigten Staaten. Das Buch hat eine leicht abgeänderte Struktur im Vergleich zu Voodoo, es ist geschrieben aus der Perspektive von Max und einem Zuhälter mit einer sehr eigenartigen Beziehung, genauer gesagt: zu seiner Mutter. Vielmehr möchte ich nicht verraten, ich denke aber, dass das Buch weitaus düsterer ist als Voodoo – auf verschiedenste Art und Weise …

Krimi-Couch: Haben Sie selbst auch eine düstere Seele?

Nick Stone: Ich? Ich bin herzallerliebst. Ich bringe nur meine Ängste zu Papier, sonst laufe ich aber für gewöhnlich mit einem wirklich idiotischen Lächeln durch die Gegend. Wahrscheinlich weil ich zu viel trinke. [lacht]

Krimi-Couch: Sie schreiben auf Ihrer Website: »Romane zu lesen ist eine Form der Flucht. Romane zu schreiben ist ebenfalls eine Form der Flucht. Und wenn ich fliehe, dann nach Miami.« Warum dort hin?

Nick Stone: Ich liebe Miami. Die Stadt ist meine Lieblingsstadt auf der ganzen Welt, noch vor New York und Berlin. London – gehört nicht wirklich dazu. Wie auch immer, Miami bietet wirklich alles für mich. Sie liegt nahe an Haiti, nahe an meiner Heimat. Sie ist eine der Städte, die nie die selbe ist. Ich war dieses Jahr dreimal dort und jedes Mal war das für mich eine völlig neue Erfahrung. Im Gegensatz zu New York, wo du immer die selbe Erfahrungs machst. New York ist kein sich entwickelnde Stadt, zwar riesig und faszinierend, aber doch eher »statisch«. In Miami hingegen kannst du am Montag eine Straße hinunterlaufen und am Donnerstag hat sie sich komplett verändert, da zur Zeit sehr viel gebaut wird. Miami ist ein sehr energiegeladener Ort, sonnenüberflütet und die Frauen sind wunderschön. Ich bin zwar verheiratet, aber ich habe natürlich Augen und riskiere gerne mal einen Blick …Es ist wirklich fantastisch, ein riesiger Schmelztiegel der verschiedensten Kulturen. Miami ist eine Party-Stadt. Miami-Beach ist berühmt für seine Clubs und ich mag es einfach, in den Bars und Cafés zu sitzen.

Krimi-Couch: Und was machen Sie dann in den Bars?

Nick Stone: Ich beobachte die Leute einfach. Das mag ich an den Amerikanern: Sie sind in wirklich allem immer absolut professionell, auch beim Spaßhaben. Sie werden nicht einfach betrunken, sie nehmen das ernst – verstehen Sie? Ich meine, sie machen alles sehr ernsthaft. Ich meine das nicht böse, ganz im Gegenteil. Ich liebe das und beobachte es mit einer völligen Faszination. Sie kennen Engländer, wenn sie sich betrinken. Wie eine irgendwo einfallende, randalierende Armee. Die Amerikaner sind da viel geordneter, sie sagen: »Mann, lass uns einen hinter die Binde kippen«. [lacht] Und das tun sie dann von zehn Uhr abends bis drei Uhr morgens. Aber vorher? Sind sie nicht betrunken. Und nachher? Sind sie nicht betrunken. Wenn sich die Engländer einen genehmigen, dann 24 Stunden, 7 Tage die Woche.

Ich war gegen Mitte der 80er in Deutschland. Ihr könnt ja auch trinken! Mein Eindruck aber ist – und ich war schon überall auf der Welt – dass Ihr auf eine vernünftige Art betrunken werdet. Und die meisten Deutschen sind sehr, sehr lustig. Ich habe viele wirklich tolle Witze gehört. Die Engländer hingegen werden aggressiv, prügeln sich, lassen das völlig außer Kontrolle geraten und das, bevor sie fünfundzwanzig Jahre alt sind! Sorry, ich vergesse mich …[lacht]

Krimi-Couch: Nocheinmal zurück zu Ihrem Zitat über das Flüchten. Wovor flüchten Sie?

Nick Stone: Mann, ich flüchte aus London. Dem ganzen Lebensgefühl Londons. Ich flüchte aus England.

Krimi-Couch: Warum leben Sie dann in London, wenn Ihnen das dort gar nicht gefällt?

Nick Stone:Es ist nicht so, dass ich London nicht mag. Es ist aber für mich gleichbedeutend mit Arbeit. Verstehen Sie mich nicht falsch, London ist eine faszinierende Stadt. Aber wenn du etwas jeden Tag siehst, verliert es seinen Reiz. Außerdem ist London wahnsinnig teuer. Ein Haus in guter Lage kannst du dir gar nicht leisten, wenn du kein Millionär bist. Gerade in der Gegend, wo ich lebe, gibt es auch viel Kriminalität, Drogen und so weiter. Eine unsichere Gegend. Miami ist natürlich auch nicht wirklich sicherer, da gibt es Gegenden, wo direkt auf dich geschossen wird, wenn du dort nicht hingehörst. London ist zudem auch sehr grau, gerade jetzt kalt und feucht. Das färbt auf mich ab. Kennen Sie den Film Collateral mit Tom Cruise und Jamie Foxx? Da gibt  es eine tolle Szene, wo Jamie Foxx einen Taxifahrer spielt und Postkarten von einer schönen Insel an die Sonnenblenden geklebt hat. Jedes Mal, wenn er sich über seine Kunden ärgert, klappt er die Sonnenblenden herunter und versetzt sich auf diese Insel. So geht es mir mit Miami.

Krimi-Couch: Mr. Stone, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte und übersetzte Lars Schafft, Dezember 2007.

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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