Mark Billingham & Martyn Waites

Frosch-Cricket und Schnecken-Schießen

10.2008 Auf obskure Themen wie diese kamen die beiden englischen Krimi-Autoren, als Lars Schafft mit ihnen sprach. Die beiden Kumpel witzelten, blödelten, philosophierten und zitierten ganz nebenbei Raymond Chandler oder Graham Greene.

Mark Billingham: Das ist Martyn Waites …

Martyn Waites: Hallo!

Mark Billingham: …der zur Zeit an einer Krimiserie um eine Figur namens Joe Donovan schreibt. Davor hat er seine Larkin-Reihe geschrieben, der als Journalist/Detektiv arbeitet. Dazu einige wundervolle Stand-alones wie The White Room. Und er ist ein sehr guter Freund von mir.

Mark Billingham: In the Dark.

Martyn Waites: Und auch hier: ein sehr guter Freund von mir.

Krimi-Couch: Sie haben beide vor Ihren Krimis als Comedians gearbeitet.

Mark Billingham: Ja, zumindest haben wir beide einen Hintergrund, was Auftritte angeht. Martyn war Schauspieler, du hast auch einen bisschen Comedy gemacht.

Martyn Waites: Ja, ich war aber nicht so erfolgreich wie du …

»Viele Autoren zittern am ganzen Körper, wenn sie in Buchläden sind und können ihre eigenen Bücher nicht vorlesen.«

Mark Billingham: [lacht] Was interessant ist: Wir haben beide Cop-Shows im Fernsehen gemacht, waren in Detektiv-Shows und haben die Schurken oder Polizisten gespielt. Was den Hintergrund bezüglich der Auftritte angeht – ich kann da nur für mich und nicht für Martyn sprechen – als ich angefangen hatte zu schreiben, bin ich das genau so angegangen wie das Schauspielern. Es geht darum, das Publikum schon früh zu fesseln. Das hilft auch, wenn man so etwas wie dies hier oder Lesungen macht, weil man dann nicht nervös ist. Viele Autoren zittern am ganzen Körper, wenn sie in Buchläden sind und können ihre eigenen Bücher nicht vorlesen. Wenn ich mir Martyn hingegen anschaue, wenn er liest, führt er das richtig auf. Das ist weitaus effektiver als dieses »Blablabla«. Performance-Background hilft wirklich.

Martyn Waites: Ja, stimmt. Ich denke da an einen unglaublich erfolgreichen amerikanischen Krimiautor, den ich aber nicht namentlich nennen werde …

Mark Billingham: Och komm, sag schon.

Martyn Waites: Nein …

Mark Billingham: Nur die Anfangsbuchstaben.

Martyn Waites: L.B. [lacht]

Mark Billingham: Okay …[lacht] Zum Mitschreiben: L.B.!

Martyn Waites: [lacht] Ich hatte ihn live gesehen, war unglaublich gespannt. Und dann ging er zum Podium und hat nur stur abgelesen. Ich könnte das auch zu Hause selbst tun und hätte mehr Spaß dabei gehabt.

Mark Billingham: Manche lesen ihre Bücher so dermaßen schlecht, dass es nicht dazu beiträgt, dass man die Bücher kauft, sondern dazu führt, dass man sie nicht kauft. Wenn man seine Bücher in der Öffentlichkeit vorträgt, sollte man das zumindest einüben, mindestens ein Mal vorlesen.

Martyn Waites: Laut!

Mark Billingham: Autoren müssen immer mehr Werbung für sich selbst machen, sich selbst verkaufen. Wenn man das nicht kann oder es hasst, sollte man es besser ganz sein lassen.

Mir macht das aber einen Riesenspaß! Wir sitzen in der Regel allein zu Hause, wenn wir die Bücher schreiben. Wenn dann nach einem Jahr das Buch auf den Markt kommt, ist es doch großartig, damit an die Öffentlichkeit zu treten, die Leser zu treffen, über das Buch zu reden und ein bisschen Werbung dafür zu machen. Man würde doch sonst verrückt werden.

Krimi-Couch: Ihre Bücher sind aber nicht so komisch, wie sie vielleicht sein könnten.

Martyn Waites: Ja, besonders meine.

Mark Billingham: Die sind wirklich sehr düster.

Martyn Waites: Du bringst aber ein paar Witze in deine Bücher.

Mark Billingham: Ja, ein paar. Hoffentlich.

Martyn Waites: Ich habe mal einen gebracht über das Avantgarde-Screamlet Diamanda Galás. Und mein Lektor fragte mich: »Kannst du das nicht ändern, mit jemanden, den man kennt?« – »Wieso?« – »Weil in deinen Büchern schon sonst keine Witze sind. Der eine jetzt ist zu undurchsichtig, als dass irgendjemand darüber lachen könnte«

»Die witzigsten Dinge passieren in den dunkelsten Momenten.«

Mark Billingham: Oh …Ich glaube, ein bisschen Humor muss da sein. Wir beide schreiben ziemlich düstere Bücher, gänzlich ohne Humor wären die unerträglich düster. Das Leben ist nunmal so, die witzigsten Dinge passieren in den dunkelsten Momenten. Mir schwebt da ein Bild vor Augen, wie jemand in die Leichenhalle muss, um sein Kind zu identifizieren, sie dann verlässt und auf einer Bananenschale ausrutscht. Das Leben kann so grauenvoll sein.

Ich beende ein Kapitel gerne unerträglich düster und fange das nächste dann mit einem Witz an. Das muss sich ein wenig abwechseln, weil genau so das Leben spielt.

Martyn Waites: Ich habe in einem Joe-Donovan-Buch eine Figur, die eigentlich nicht als Witzbold gedacht ist. Sie hat aber ein paar wirklich knackige Sprüche auf Lager. Über einen Spruch habe ich mich totgelacht, als ich den geschrieben hatte. Und dachte nur: Ich kann hier keine Comedy machen, ich kann hier nicht Lustiges reinbringen, ich kann keine Witze ins Buch schreiben. Ich fragte mich: Kann nur ich darüber lachen, weil ich diesen Sinn für Humor habe? Aber ich habŽs auch meiner Frau gegeben – die auch darüber lachen konnte.

Mark Billingham: Düstere Bücher mit unterschwelligem Humor sind mein persönlicher Geschmack. Aber »komische Krimis« funktionieren in der Regel nicht. Wenn ich ein Buch in die Hand nehme, auf dem »Gaunerkomödie« steht, lege ich es sofort wieder zurück. Das ist so etwas wie eine »Horrorkomödie« – entweder oder. Das ist sehr schwierig, miteinander zu vermischen.

Krimi-Couch: Mark, Sie haben einen Kommissar und Sie, Martyn, einen Journalisten als Hauptfigur gewählt. Wieso?

Martyn Waites: Joe Donovan, der Star meiner Reihe, ist ein Journalist. Ich habe ihm einen besonderen Job gegeben, er ist ein »Informationen-Makler«, was sowohl den investigativen Journalismus und die Detektivarbeit abdeckt. Ein kleiner Trick, um in die Geschichte hineinzukommen. Ehrlich gesagt habe ich wegen der Recherche aus ihm keinen Polizisten gemacht, darauf hatte ich keine Lust. [lacht]

Mark Billingham: Deswegen wünsche ich mir manchnmal, ich hätte keinen Inspector gewählt. Wir haben darüber schon vorher gesprochen, man steht da irgendwann drüber. Mit der Zeit muss man weniger recherchieren, weil man mehr und mehr gelernt hat. Und man weiß dann, welche Sachen wirklich wichtig sind, korrekt zu beschreiben, und welche nicht. Ich gehörte tatsächlich zu diesen Wahnsinnigen, die zu einer Ampel herausgefahren sind um zu überprüfen, ob man da wirklich links abbiegen kann. Um absolut sicher zu gehen, dass das stimmt. Jetzt würde ich das sicherlich nicht mehr machen, weil ich weiß, wie unwichtig das ist. Aber man muss sich mit Forensik, Technik und mit speziellen Begriffen der Polizei auskennen. Ich war ein Fan von Polizeiromanen, deswegen habe ich mir einen Cop ausgesucht. Mit der Zeit habe ich einige Polizisten kennengelernt, ein faszinierender Beruf – aber nicht etwas, was ich gerne machen würde.

Aber ich kann sehr gut verstehen, warum du es anders gemacht hast.

Martyn Waites: Ich kenne natürlich auch einige Polizisten in Newcastle und das erste was sie sagen, wenn ich mit ihnen spreche ist: »Wieviel zahlst du dafür?« Nein, darauf hatte ich echt keine Lust. Das Recherchieren sollte das Schreiben einer guten Geschichte auch nicht behindern. Ich versuche erst nach dem Schreiben zu recherchieren.

Mark Billingham: Ja!

Martyn Waites: Nur um sicherzugehen, dass alles so passt, wie ich es geschrieben habe. Ich habe Dich mal angerufen und Du sagtest: »Ich bin in Colchester bei einer Sozialeinrichtung...«

Mark Billingham: Ja, stimmt!

Martyn Waites: » …um mir anzuschauen, wie sie aussieht.« [lacht]

Mark Billingham: Ja, ich erinnere mich. Das kann übrigens auch ein sehr guter Vorwand dafür sein, nicht zu schreiben. Man macht sich selbst vor, zu arbeiten, weil man herumläuft und Notizen in einen Kassettenrekorder spricht …

Martyn Waites: Photos macht …

Mark Billingham: Aber man arbeitet nicht im eigentlichen Sinne.

Krimi-Couch: Woher kommen ihre ganzen Ideen?

Mark Billingham: Von überall ist die einfache Antwort. Kleine Dinge, was dir erzählt wird. Wie lautet nochmal das Zitat von Graham Greene, mit dem Eissplitter?

Martyn Waites: »Ein wahrer Schriftsteller muss einen Splitter aus Eis im Herzen haben«

Mark Billingham: Irgendwer, ein guter Freund zum Beispiel, erzählt dir eine wirklich schreckliche Geschichte. Und die bekommt man als Krimiautor erzählt, nach dem Motto »Kumpel, hör dir das an«. Und während er dir das erzählt, denkt ein Teil von dir: schrecklich, schockierend. Und der andere ist schon wo anders und sagt sich: Das werde ich verwenden.

Es sind oft ganz kleine Dinge, kleine Randnotizen in den Zeitungen, nicht die großen Schlagzeilen auf der ersten Seite, eine kleine Geschichte auf Seite sieben – alles, was Fragen offen lässt. Und dann fängst du an, diese Fragen zu beantworten und irgendwie nimmt eine Geschichte Gestalt an.

Martyn Waites: Das Buch, was ich als nächstes anfangen werde, beruht genau auf so etwas. Ich lag abends im Bett und habe Zeitung gelesen und stolperte da über eine kleine Nachricht, ganz unten auf einer Seite. Als ich die las, dachte ich: Gott, das ist grauenvoll. Ich konnte dann gar nicht einschlafen, weil ich darüber nachdenken musste. Nicht, weil es so grauenvoll war. Sondern weil ich dachte: was für eine starke Geschichte!

Mark Billingham: Das ist grauenvoll – und wie kann ich es noch schlimmer machen.

Martyn Waites: [lacht] Genau.

Mark Billingham: Das ist, was Krimiautoren tun. [lacht]

Martyn Waites: Vorgestern auf dem Weg hierhin bin ich auch wieder über etwas gestolpert, was ich im Zug gelesen hatte und genau in dem Moment, als ich das las, dachte ich: Ich habe den Anfang eines neuen Kapitels. Das ist ein neuer Roman.

Mark Billingham: Ein großartiger Moment, oder?

Martyn Waites: Ja, das musst du schreiben, ich brauche meinen Laptop, das musst du sofort schreiben. Mann, reiß dich zusammen.

»Manchmal passiert's halt im Schlaf.«

Mark Billingham: Vor ein paar Jahren war ich auf einem Krimifestival und saß mit zwei Krimiautoren beim Frühstück, mit dem Amerikaner Chris Mooney und dem Briten Simon Kernick. Simon sagte, er hätte einen entsetzlichen Albtraum gehabt, hat uns dann davon erzählt: ein Paniktraum, dass dich jemand zu Hause anruft und dir mitteilt, dass er dich umbringen wird, unglaubliche Panik. Und Chris Mooney und ich meinten: Das wäre ein unglaubliches Buch! Simon sagte: »Das ist mein Traum!« – »Okay, beruhig dich.« Über das ganze Krimifestival sagte er immer: »Das ist mein Traum, ihr könnt nicht darüber schreiben, mein Traum!« Und daraus wurde sein Roman Gnadenlos, den Richard und Judy nominiert hatten und der sich zig Millionen mal verkaufte. Ich erinnere mich seitdem immer wieder an dieses Frühstück und seinen Traum.

Manchmal passiert's halt im Schlaf.

Krimi-Couch: Wieviel steckt von Ihnen selbst in den Büchern?

Mark Billingham: Ziemlich viel.

Martyn Waites: Ich glaube, es geht gar nicht anders, als etwas von sich selbst hineinzubringen. Chandler-Zitat: »Alles was man hat, ist Stil«. Als Autor hat man seinen eigenen Stil. Wenn man den nicht hat, hat man gar nichts.

Mark Billingham: Absolut.

Martyn Waites: Und der hatte aber nun wirklich auch überhaupt keine Plots …Sobald du dich hinsetzt und schreibst, kommt etwas von dir dabei heraus.

Mark Billingham: Absolut. Die Menschen fragen uns immer wieder, wieviel von Tom Thorne oder Joe Donovan sind Sie? Eigentlich sehr wenig. Er hat ein unglaublich hartes Leben, ist zutiefst beziehungsgeschädigt und ich bin sehr glücklich, vielen Dank.

Martyn Waites: In diesem Sinne ist er genau wie ich.

Mark Billingham: Man schreibt sich auf jedenfall etwas von der Seele in seinen Büchern. Wenn manchmal mein Erzähler, der, der die Lücken in der Geschichte schließt, sich über den Zustand des Gesundheitssystems oder des öffentlichen Nahverkehrs oder über Musik aufregt, bin das sehr wahrscheinlich ich. Aber das darf ich auch, es ist ja schließlich mein Buch. Es ist wirklich so, man schreibt sich was von der Seele.

Martyn Waites: Gerade bei Serienfiguren ist das sehr interessant. Ich glaube, Frankie Fyfield hat einmal gesagt: »Eine Serienfigur ist eine idealisierte Version von dir selbst, nur fünf Jahre jünger«.

Mark Billingham: Und mutiger. Und sexier.

Martyn Waites: Und ihr fällt der gute Spruch immer sofort ein, nicht so wie bei uns, wenn man einen hört und denkt: Ah, das hätte ich sagen sollen.

Mark Billingham: Das Witzige daran ist, dass du drei Wochen dafür gebrauchst hast und bei ihr geht es sofort.

Martyn Waites: Es ist aber nicht so, dass diese eine Figur du selbst bist. In jeder Figur steckt etwas von dir drin. Also nicht von Dir, von einem.

Mark Billingham: Wie du eine Figur darstellst, sagt schon etwas über dich aus. So wie wir über Frauen schreiben, sagt das wahrscheinlich was über uns aus. Ich weiß zwar nicht was, aber jede weibliche Figur spiegelt irgendwas von einem wider, etwas, worüber wir wahrscheinlich jetzt nicht reden sollten …

Martyn Waites: Wie wenn meine Frau die Sexszenen liest und meint: »Mein Gott, da kommt ja noch einiges auf mich zu!« [lacht].

Mark Billingham: Sex ist knifflig. Wenn ich eine Sexszene in Martyns Büchern lese – ich kenne ihn ja – werde ich ihn schräg anschauen, wenn ich ihn das nächste Mal treffe. Du kannst über brutalste Sachen schreiben und niemand denkt, dass du das selbst getan hättest. Sie denken vielleicht, dass du ein kranker Mistkerl bist. Aber bei einer skandalösen Sexszene denken sie, dass du das bist, dass du das wirklich gemacht hast.

Martyn Waites: Ich erinnere mich: Du hast Deiner Frau noch davon abgeraten, meine Bücher zu lesen, weil sie so unanständig seien.

Mark Billingham: Sehr unanständig.

Krimi-Couch: Bevorzugen Sie Serien-Romane oder Stand-alones?

Martyn Waites: Ich bin sehr froh darüber, einen Stand-alone geschrieben zu haben. Nach sieben Romanen der Serie habe ich eine Stimme im Kopf gehabt, die mir sagte, dass es jetzt Zeit für etwas anderes wäre. Das war aufregend, sehr furchterregend. Man hat ja seine bequeme Routine und da ist es schwierig, sich von zu lösen – aber spannend. Aber das muss man. Wenn man zu dem Punkt kommt, an dem man meint, das Ganze schon einmal geschrieben zu haben, eine sehr ähnliche Szene schon einmal früher oder wenn die Leser die Bücher durcheinander bringen, ist es an der Zeit, etwas anderes zu machen. Ich habe aber nicht mit der Serie aufhören, werde bald weiterschreiben – dafür bin ich ein viel zu großer Fan von Krimi-Serien. Aber es war gut, mal etwas anderes zu machen.

Martyn Waites: Schwierig. Im Moment schreibe ich gerade an einem Stand-alone, keinem Joe-Donovan-Roman, zur Abwechslung. Das macht einem etwas Angst, wie lange man braucht, um auf eine Ersatzfigur zu kommen. Ich schreibe aber nicht in engerem eine Serie, es geht nicht nur um Donovan alleine sondern seine ganze »Familie«. Man muss etwas finden, dass ihre Charaktere weiterentwickelt. Es ist ja nicht so, dass die ein eigenständiges Privatleben hätten, was sich in den Büchern widerspiegelt. Ich versuche, eine fortlaufende Figur zu formen, die man kennenlernen und hoffentlich mögen wird, über die man mehr herausfinden möchte. Wenn ich an einer Figur nichts interessantes finde, bin ich raus.

Mark Billingham: Das kann trotzdem verzwickt sein, weil die Leser daran gewöhnt sind, bestimmte Dinge geliefert bekommen, weil sie an einer Serie hängen. Gott sei dank! Arthur Conan Doyle hat das schon gewusst, als er Sherlock Holmes erfunden hatte. Genau das hatte er vor, als er seine Geschichten in Magazinen veröffentlichte. Als er Holmes umbrachte, haben die Menschen Traurflor getragen – so mächtig kann eine Serie ein! Wenn man da eine Pause einlegt, geht man immer das Risiko ein, dass die Leser ein Buch wieder weglegen, wenn sie merken, dass es kein Thorne- oder Joe-Donovan-Roman ist. Aber da muss man sich treu bleiben, das schreiben, was man schreiben will und nicht das, was man denkt, schreiben zu sollen.

Martyn Waites: Auch wenn du eine Idee bekommst, die eigentlich nicht in die Serie hineinpasst, aber du sie wirklich spannend findest – dann musst du das machen.

Mark Billingham: Ich habe einen sehr guten Verlag, der mir sagt: »Schreib, was du willst. Was auch immer, es wird schon gut sein«. Aber ich weiß auch, dass es Autoren gibt, die vertraglich daran gebunden sind, eine bestimmte Serie zu schreiben. Die können gar nicht anders. So ist das Verlagswesen nunmal.

Krimi-Couch: Was war für Sie ursprünglich ausschlaggebend, Krimis zu schreiben?

Mark Billingham: Weil ich Krimis sehr gerne gelesen habe, ich lese sie immer noch sehr gerne. Obwohl ich sie mittlerweile ganz anders lese.

Martyn Waites: Man baldowert die Konkurrenz aus.

Mark Billingham: Man muss die Bücher der Kollegen lesen, ja. Ich hätte aber nie gedacht, dass ich selbst einen Roman schreiben könnte. Ich hatte schon alles mögliche geschrieben, fürs Fernsehen, schreckliche Gedichte, fürchterliche Theaterstücke. Einen Roman habe ich mir aber nie zugetraut. Ich schaute mir einen an und dachte: Wow, das ist viel Arbeit. Ich habe aber festgestellt, dass es nicht ganz so viel Arbeit war, wie ich dachte. Vorher hatte ich über Kriminalliteratur geschrieben, ich habe Martyn interviewt, noch bevor mein erstes Buch überhaupt in Aussicht stand. Ich habe das damals gemacht, um die Bücher umsonst zu bekommen, die hätten mich ein Vermögen gekostet. Krimis waren das, was ich gerne gelesen hatte. Und dann habe ich Glück gehabt.

Martyn Waites: Genau so ging es bei mir auch los. Was mich damals wirklich anzog, waren amerikanische Krimis: James Lee Burke wurde gerade bekannt, James Ellroy war auf der Höhe seines Schaffens, James Crumley, …Walter Mosley. Die waren einfach nur spitze.

Mark Billingham: Den letzten hast Du nur jetzt nur genannt, um zu beweisen, dass man nicht James heißen muss.

Martyn Waites: Ja, genau. [lacht].

Mark Billingham: Hast du darüber mal nachgedacht, Deinen Namen zu ändern? James Waites. [lacht]

Martyn Waites: James Lee Waites. [lacht] Ich dachte jedenfalls, wie großartig es wäre, genau so etwas selbt zu schreiben, es aber in Großbritannien anzusiedlen. Die amerikanischen Krimis waren praktisch das literarische Pendant zu CNN, sie haben die gegenwärtige Welt widergegeben, was mich begeisterte. Ich hatte die gleiche Idee wie viele andere auch, was dann zu einer großen Welle britischer Krimis geführt hat.

Mark Billingham: Martyn und ich gehören zu einer Generation von Krimiautoren, die britische Krimis schreiben, aber im amerikanischen Stil. Ich glaube, dass uns vor allem die Erzählökonomie der amerikanischen Autoren anzieht, ihr Tempo. Britische Krims haben ihre eigene Gangart, ihren eigenen Stil. Wir gehören zwar dazu, aber mir gefällt vor allem, dass die besten amerikanischen Krimis »fettfrei« sind, in ihnen wir kein Wort zuviel verschwendet. Wenn man Autoren liest, wie Martyn sie gerade angeführt hat, denkt man sich: Mein Roman ist 50.000 Wörter zu lang. Dass ich das alles gar nicht sagen muss, nichts davon bringt die Geschichte voran, alles aufgebauscht und schlaff ist. Diese Autoren schreiben muskulös.

Martyn Waites: »Eisberg-Prinzip« nennt man das, glaube ich.

Mark Billingham: Elmore Leonard ist darin der beste.

Martyn Waites: Ja, man sieht nur das an der Oberfläche, nicht die tiefen Gefühle darunter.

Krimi-Couch: Was machen Sie, wenn Sie keine Krimis lesen oder schreiben oder surreale Krimifestivals besuchen?

Martyn Waites: Wahrscheinlich schaue ich mir dann welche im Fernsehen an. The WireGesetz der Gewalt …[lacht]

Mark Billingham: Wir beide haben kleine Kinder, haben Familien, es gibt immer schrecklich viel zu tun und man schreibt praktisch drumherum. Wir beide sind keine 9-to-5-Schriftsteller. Ich schreibe am besten, wenn es im Haus ruhig, draußen dunkel ist und die Kinder im Bett sind. Oft fange ich erst um zehn Uhr abends an und arbeite bis in die Nacht. Am Tag passiert es mir, dass ich denke: Oh, E-Mails! Online-Poker! Ich bin dann sehr leicht abgelenkt.

Martyn Waites: Oh, ja. Lass mich nur kurz auf der Website von Newcastle United nachschauen, ob sie einen neuen Spieler verpflichtet haben [schmunzelt]. Und das hat man erst eine Stunde zuvor schon getan. Fußball ist so schnelllebig geworden …Ja, mir geht es ganz genau so. Ich habe eine anspruchsvolle Familie, einen anspruchsvollen Hund, mit dem ich jede Stunde raus muss. Darauf muss man das Schreiben irgendwie abstimmen.

Mark Billingham: Ich glaube eh nicht, dass man nach einem genauen Zeitplan schreiben kann. Ich kenne Autoren, die sich morgens um neun an den Schreibtisch setzen, bis eins schreiben, sich dann ein Sandwich genehmigen …Ich kann das nicht! Weil man eigentlich die ganze Zeit schreibt, aber das passiert im Kopf. Zum Beispiel wenn ich einen Einkaufswagen durch den Supermarkt schiebe oder die Kinder von der Schule abhole – dann schießt es mir durch den Kopf, wie ich ein Problem lösen kann. Dann kann man es gar nicht abwarten, sich endlich hinzusetzen und loszuschreiben. Ich kann aber nicht einen leeren Bildschirm anstarren ohne zu wissen, was ich machen soll.

Martyn Waites: Deswegen gehe ich joggen.

Mark Billingham: Ja?

Martyn Waites: Das sieht man doch an meiner schlanken Figur!

Mark Billingham: Ja, ich habe mir schon gedacht, dass Du trainierst. Gut!

Martyn Waites: [lacht] Ja, so bin ich. Joggen und Trainieren hilft wirklich sehr, wenn man über einem Problem brütet.

Mark Billingham: Manchmal ist es so, dass man sich verrennt und dann vor einer großen Mauer seiner eigenen Arbeit steht. Und du must verdammt nochmal einen Weg finden, daran vorbei, darüber oder dadurch zu kommen. Das kann schon ein paar Tage dauern. Und dann geht's weiter. Oder du bist in einer Sackgasse gelandet und nimmst dir die letzten drei Kapitel wieder vor.

Martyn Waites: Charles Willeford sagte, dass er direkt nach dem Aufstehen erst eine Seite schrieb, auch wenn er dringend auf Toilette musste. Er sagte, dass er sich erst Hinsetzen würde, um eine Seite zu schreiben.

Mark Billingham: Bevor er zur Toilette ging?

Martyn Waites: Bevor er zur Toilette ging. Weil er dann wusste, zumindest eine Seite geschrieben zu haben. Er sagte: »Vielleicht schreibe ich den ganzen Tag nichts anderes mehr, aber ich erlaube mir nicht, zur Toilette zu gehen, ohne diese eine Seite geschrieben zu haben.«

Mark Billingham: Okay …Kürzlich habe ich in der Zeitung noch einen hilfreichen Tipp gelesen. Wenn man spät bis in die Nacht schreibt und eigentlich ins Bett gehört, aber es gerade wirklich gut läuft – hör auf! Hör auf und geh ins Bett, weil du dann mit diesem Schub am nächsten Tag weitermachen kannst. Anstatt dieses fertig, fertig, fertig! Um dann am nächsten Tag am Computer zu sitzen und sich zu fragen: und nun? Und schon ist ein halber Tag vorbei. So sitzt du am nächsten Tag dran und sagst dir: ja, weiter geht's!

Martyn Waites: Ich mache das hin und wieder, wenn ich spät in der Nacht noch einen brillanten Einfall habe. Dann ist mit mir am nächsten Tag nichts anzufangen. Ich bin dann völlig erschöpft.

Mark Billingham: Vor allem ist die brillante Idee von ein Uhr nachts morgens um zehn nur Kokolores.

Martyn Waites: Ja [lacht].

Mark Billingham: Fast alle Autoren, die ich schätze, haben diese kreative Schizophrenie. Wenn man glaubt, dass wäre alles durchweg gut, dann ist da was verkehrt. Man muss diesen »Tanz« die ganze Zeit haben.

Martyn Waites: Das ist eine Gratwanderung, oder? Du musst daran glauben, dass du der beste Autor der Welt bist – und gleichzeitig auch der schlechteste, dass du Müll schreibst.

Mark Billingham: Du musst genau die Autoren lesen, die die Messlatte immer höher legen. Du musst Autoren lesen, bei denen du glaubst, selbst nie so etwas gutes schreiben zu können. Damit man es dann versucht, damit man so etwas gutes selbst schreiben will. Man muss zum Beispiel die Autoren lesen, die Martyn genannt hat. Wo du denkst: wow!

Martyn Waites: Man sollte nur hervorragende oder grottenschlechte Autoren lesen. Das ist wie ein Kreis, die treffen sich irgendwann. Man sollte aber nichts dazwischen lesen. Ich versuche, überhaupt nichts Durchschnittliches zu lesen, nur Großartiges oder Fürchterliches. Wovon soll man sonst etwas lernen?

Mark Billingham: Das muss ich mal loswerden: Wenn ich ein Buch anfange und merke, dass es nur durchschnittlich ist, höre ich auf und lege es zur Seite. So sollte man lesen. Wenn Sie ein Buch von mir lesen und es Ihnen nach fünfzig Seiten nicht gefällt, hören Sie auf, schmeißen Sie es weg! Und dann schreiben Sie es mir bitte und ich werde Ihnen das Geld zurückerstatten.

Martyn Waites: [lacht]

Mark Billingham: Nein, im Ernst. So sollte man Bücher lesen. Ich hätte dann meinen Job nicht erledigt. Auch alle, von denen ich fünfzig Seiten lese und die mich bis dahin nicht gefesselt haben, haben ihren Job nicht gemacht. Das Leben ist zu kurz und es gibt zu viele großartige Bücher. Quälen Sie sich nicht durch ein Buch, bitte genießen Sie es.

Krimi-Couch: Mark, ich habe von ein paar Gerüchten gehört, dass Sie in Ihrer Jugend einen eigenartigen Sport getrieben haben?

Mark Billingham: Eigenartigen Sport? Extremsport? Wie Bungee-Jumping?

Krimi-Couch: Das hörte sich schon sehr extrem an …

Mark Billingham: Nein, ich habe echt keinen blassen Schimmer, was das sein könnte. Eher würde ich sterben. Der gefährlichste Sport, den ich treibe, ist Tischtennis. Darin bin ich wirklich gut! Ich spiele Fußball, …Nein, ich mache keinen Extremsport.

Krimi-Couch: Mögen Sie Frösche?

Mark Billingham: Aaaahhhh …

Martyn Waites: [lacht]

Mark Billingham: Okay, ich war bei einer Krimidiskussionsrunde und wurde gefragt, was alle anderen auch gefragt wurden, nach dem Schlimmsten, was man bisher getan habe. Da gab es alle möglichen Geschichten; Erpressung, Bagatell-Diebstahl, …Ich habe das erzählt, wofür ich mich am meisten schäme und was mich seit meiner Schulzeit verfolgt: Der Schul-Tyrann hat mich dazu gezwungen, mit einem Frosch Cricket zu spielen. Es tut mir sehr leid. Ich meine »mit einem Frosch« jetzt nicht so, dass er in meinem Team war. Er warf mir also den Frosch zu und ich habe ihn mit dem Schläger getroffen. Es war ein guter Schlag!

Ich habe darüber geschrieben, es verfolgt mich seit vierzig Jahren. Diese Szene kommt in meinem zweiten Buch vor. Das Komische war, dass mir ein sehr guter Autor, Kevin Wignall, eine E-Mail geschrieben hat und meinte: Das hast du wirklich getan, oder? Ich war eigentlich wirklich geschmeichelt, weil ich dachte, dass es sich gelohnt hatte, darüber zu schreiben. Es ist mir wohl so gut gelungen, dass er wusste, dass ich mir das gar nicht hätte ausdenken können; wie es sich anfühlte, ich konnte die Vibrationen im Arm spüren, als ich den Frosch getroffen hatte; das Geräusch, das es machte.

Ich schäme mich dafür immer noch schrecklich, aber ich wette, er hat noch viel Schlimmeres getan …

Martyn Waites: Entschuldige, ich soll viel Schlimmeres getan haben? Sind wir jetzt wieder bei den Sachen von uns in unseren Büchern, bei den Sex-Szenen?

Mark Billingham: Nein, kleine Jungen machen nunmal schlimme Sachen.

Martyn Waites: Ich habe früher Schnecken-Schießen gespielt.

Mark Billingham: Er hat Schnecken geschossen!

Martyn Waites: [lacht]

Mark Billingham: Ich habe nur einen Frosch geschlagen.

Martyn Waites: Früher haben wir einen Wettbewerb aus Schnecken-Schießen gemacht. Ich erinnere mich, wie die ganzen Schnecken hervorkamen, wenn es geregnet hatte, wir die hochgeworfen und weggeschossen hatten und hinterherschauten, wie weit sie geflogen sind …

Mark Billingham: Aber zumindest haben wir damit aufgehört, wir sind gute Bürger geworden.

Martyn Waites: Das sind wir.

Mark Billingham: Und jetzt schreiben wir nur noch über so etwas.

Martyn Waites: Ja …Ich habe aber noch nie über Schnecken-Schießen geschrieben …[lacht]

Mark Billingham: Mach das mal, danach bist du für immer davon befreit.

Krimi-Couch: Möchten Sie Ihren deutschen Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?

Mark Billingham: Vielen Dank an meine deutschen Leser, die meine Bücher gelesen haben. Ich freue mich darauf, mal auf Lesereise nach Deutschland zu kommen, weiß aber noch nicht, wann es soweit sein wird.

Es ist immer toll, wenn meine Bücher in andere Sprachen übersetzt werden. Ich weiß natürlich nicht, wie sie übersetzt sind oder was aus meinem London oder Martyns Newcastle wird. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken, nach London zu kommen. Es ist nicht zwingend so, wie es Tom Thorne erlebt. Aber ich hoffe, Ihnen gefallen meine Bücher!

Martyn Waites: Gleichfalls. Ich habe viele nette Dinge von den Menschen gehört, die Der Gnadenthron gelesen und sich bei mir gemeldet haben, mir schrieben, wie gut es ihnen gefallen hat. Das ist wirklich klasse! Es hört sich klischeehaft an, so etwas zu sagen. Aber ich weiß dann, dass die Arbeit die Mühe wert war, wenn sich Menschen die Zeit nehmen, sich bei mir zu bedanken. Es war mir ein Vergnügen!

Ich habe einen sehr guten Übersetzer – ich glaube, dass er ein sehr guter Übersetzer ist, ich kann kein Deutsch …Er sagt mir, dass er ein sehr guter Übersetzer sei [schmunzelt]. Er hat außerordentliche Arbeit abgeliefert, so weit ich das sagen kann. Ich freue mich sehr, dass das Buch endlich auf dem Markt ist. Es sieht toll aus, das Cover ist großartig …

Mark Billingham: Ja, die deutschen Cover sind wirklich gut!

Martyn Waites: …und es scheint gut zu laufen. Wenn Sie mögen, dass ich mal herüberkomme – sehr gerne!

Mark Billingham: Wir kommen zusammen! Und unterhalten uns mit Ihnen über Schnecken-Schießen und Frosch-Cricket!

In Martyns und meinem Namen: Dankeschön, auf Wiedersehen [auf deutsch]!

Das Interview führte Lars Schafft im Oktober 2008.

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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