Der Reinfall

  • Random House Audio
  • Erschienen: Januar 2006
  • 18
  • London: Bantam, 2004, Originalsprache
  • Köln: Random House Audio, 2006, Seiten: 4, Übersetzt: Jan Josef Liefers, Bemerkung: Gekürzte Hörbuchfassung
  • München: Goldmann, 2008, Seiten: 480
Der Reinfall
Der Reinfall
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Bernd Neumann
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2006

Eine Kreuzfahrt, die ist lustig

Der "Große Bruder jenseits des Teiches" ist nicht unbedingt Trendsetter in Sachen Umweltschutz. Die Verteilungen im Haushaltsbuget und immer wieder befremdliche Haltungen auf internationalen Klimakonferenzen vergangener Jahre belegten das nachhaltig. Der amerikanische Schriftsteller und angesehene Journalist (z.B. "Miami Herald") Carl Hiaasen streut seit mittlerweile mehr als 15 Jahren immer wieder Salz in diese offene amerikanische Wunde mit der Absicht, die Menschen für den Umwelt- und Klimaschutz weiter zu sensibilisieren. Um möglichst viele Mitstreiter zu erreichen, ist sein literarisches Sprachrohr der Kriminalroman.

Das bisherige literarische Wirken von Hiaasen wurde mit der zweimaligen Verleihung des deutschen Krimipreises (1991:"Unter die Haut"; 1994:"Große Tiere") gewürdigt. Gut so.

Sein neuestes Buch ist in Amerika unter dem Titel "Das Nacktbad" erschienen. Der Manhattan-Verlag packt mit der Übersetzung ins Deutsche noch herrlich einen drauf: in seiner schönsten Mehrdeutigkeit heißt es "Der Reinfall".

Platinblond und Beine bis unter die Achselhöhle 

Der ursprüngliche Reinfall besteht darin, dass die bildhübsche, platinblonde Joey (natürlich mit langen Beinen bis knapp unter die Achselhöhle!) etwas zu blauäugig ein narzistisches Arschloch namens Chaz Perrone heiratet. Nach einigen unglücklichen Beziehungen erscheint ihr dieser Charles Regis Perrone wie der lang ersehnte Märchenprinz. Sie ist fasziniert von seiner scheinbar romantischen Ader und mehr noch von den mit seinen athletischen Liebesspielen erfüllten Nächten.

Da Joey leider nur über unzureichende Test- und Vergleichswerte innerhalb der Welt der Männer verfügt, gelingt es der Pfeife Chaz Perrone relativ simpel, sich zum Ehegatten des Rasseweibes zu buhlen. Diese Beziehung erweist sich dann aber recht schnell als floppiger Reinfall.

Der eigentliche Reinfall ist ein Reinschmiss 

Der eigentliche Reinfall ist jedoch mehr ein Reinschmiss, denn auf der Luxusliner-Reise anlässlich des zweiten Hochzeitstages wird die Ehefrau von ihrem göttlichen Gatten durch einen unverhofften, aber kräftigen, gezielten Griff an die Fußknöchel im hohen Bogen über die Reeling entsorgt. Kopfüber stürzt die völlig überraschte Joey kampflos in den kalten Ozean.

Für die mitternächtliche Aktion auf hoher See gibt es offensichtlich keine Zeugen. Der sichere Tod der Ehefrau durch vielfältige Varianten wie Ertrinken, Genickbruch, Schiffsschraube oder Haie sind das gewünschte Ziel des skrupellosen Chaz.

Ihrer vierjährigen Zugehörigkeit im College-Schwimmteam, einem Kopfsprung mit besten Haltungsnoten, dem kämpferischen Naturell, aber auch der Begegnung mit einem herrenlos dahin schwimmenden Mariuhanaballen sowie einer gehörigen Portion an Glück verdankt Joe Perrone das Überleben der Katastrophe.

Eine Ehefrau auf Motivsuche

Was sie in den Folgetagen quält, ist die drängende Frage: Was trieb ihren Mann zu dieser Wahnsinnstat? Das Millionenerbe ihrer (auf makaber-skurrile Art) verunfallten Eltern kann es jedenfalls nicht sein, denn darauf ist ihm der Zugriff verwehrt. So setzt sie sich in ihren Kopf, die Antwort unbedingt und schnellstmöglich herauszufinden.

Die Bedingungen dafür stehen günstig: Offiziell ist sie unauffindbar und die Rettungshubschrauber stellen die Suche ein. Und mit ihrem Retter Mick Stranahan, dem einsamen Inselbewohner und Aussteigerpolizisten, hat sie einen gewieften Partner zur Hilfe.

Nun nimmt der generalstabsmäßig geplante Rachefeldzug gegen den jämmerlichen Chaz seinen unaufhaltsam kuriosen, aber konsequent durchgezogenen Lauf. Literarisch unterhaltsam, sehr komisch und zugleich spannend dargestellt und nie langweilig trotz beachtlicher 474 Leseseiten.

Informativ und wütend - bissig

Was diesen Krimi so informativ und wütend, ja bissig macht, ist das Bewusstmachen auf Schlampereien an einem der herrlichsten Naturflecken Floridas, den Everglades.

Dieser Nationalpark ist tropisches Marschland, oft nur wenige Zentimeter tief, aber etwa siebenmal so groß wie Berlin. Die tiefste Stelle misst lediglich 21/2 Meter. Das Terrain der Everglades als ehemals unverbrauchte Oase mit uriger Flora und Fauna mutiert mehr und mehr zu blubbernden Kloake. Ursache sind anliegende und mit phosphathaltigen Chemikalien völlig überzüchtete Obst- und Gemüseplantagen, deren Abwässer unfiltriert und illegal zugeleitet werden eine systematische Verseuchung verursachen.

Diese kriminellen Handlungen im Eigeninteresse maximaler Profite werden durch Bestechungsgelder und durch die Connection innerhalb der Entscheidungshierarchie von Politik und Wirtschaft abgesichert. Das schürt beim halbwegs umweltbewussten Leser Protest und Wut.

Lesenswert und unterhaltsam - eiun herrlicher Humor

Was diesen Krimi so lesenswert und unterhaltsam macht, ist sein herrlicher Humor, die kuriosen Spontansituationen und die großartige Zeichnung der handelnden Personen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können und - versprochen! - im Gedächtnis haften bleiben.

Red Hammernut ist der skrupellose Tycoon, Herrscher über zugewanderte und deshalb brutal ausnutzbare Billigarbeitskräfte und riesigen Gemüseplantagen. Für ihn zählt Profit als anzustrebende, möglichst große Schere zwischen minimalem Aufwand und optimalem Nutzen, egal wie und mit welchen Mitteln erzielt. Dafür hat er seine Lakaien.

Sehr viel Freude bereitet ihm lange Zeit sein treu ergebener Chefbiologe und Feuchtgebietexperte Chaz Perrone, "der so völlig frei von Idealismus ist und so unverfrorene Sympathien für die Bedürfnisse von Privatunternehmen hegte."

Das Ende von Red Hammernut ist letztendlich gerechter- und erfrischen-derweise sehr bösartig und getragen von tiefer Mystik.

Der Traumschiff-Killer

Eine exotisch-schillernde Figur ist der sowohl als Traumschiff-Killer wie auch im bisherigen Leben schon so häufig versagende Chaz Perrone. Perrone hat die unangenehmen Angewohnheiten seiner Pubertät nicht ablegen können. Dazu gehören "Faulheit, sich mit affenähnlicher Hingabe einen runterzuholen" und "ein tief verwurzelter Mangel an Ambitionen und eine reflexartige Abneigung gegen jegliche Wahrhaftigkeit".

Auch seine akademische Entwicklung war ein hoffnungsloses Fiasko:

 

"Chaz' Masterplan scheiterte an seinen schlüpfrigen Bedürfnissen. Während des Vorstudiums verbrachte er mehr Zeit in Kondomen als in der Bibliothek; entsprechend mäanderte er mit einem nicht eben berauschenden Notendurchschnitt durchs College."

 

Also denkt er sich etwas anderes aus, um reich zu werden. Er erschwindelt sich im Eilverfahren seinen Doktor für Feuchtgebietökologie und hat nun beste Voraussetzungen, um auf einfache, wenn auch reichlich kriminelle Art und Weise sehr schnell viel Geld durch Manipulation von Gutachten der Wasserqualität in den Everglades verdienen zu können.

Perrone hasst Tiere ebenso wie seinen Arbeitsplatz. Sein liebster Ort ist der Golfplatz, "Muschisuche" (S.222) seine bevorzugte Beschäftigung. Beim turbulenten Verlauf der Handlung folgt der reuelose Witwer dann immer mehr dem Pfad der Selbstdemontage. Erinnerungen an "Fargo" werden wach.

Unvergeßlich auch die Figur des vom Arbeitgeber Hummernut für Perrones Sicherheit abgestellten "Bodyguard" mit dem treffenden Namen Tool:

 

"Glänzend vor Schweiß, mit einer gigantischen, Unheil ausdünstenden Präsenz...."

 

Tool ist ein nicht unsympathischer Kampfbär, ganzkörperbehaart, drei Zentner verteilt auf zwei Meter. Tool sammelt Straßenkreuze von Verkehrsunfällen wie andere Briefmarken und schmückt damit seinen Garten. Zu schaffen machen ihm die Schmerzen einer nicht herausoperierten, schlecht platzierten Kugel. Sie bereitet ihm nicht nur das Sitzen zur Qual, sondern treibt in zum hemmungslosen Klauen von Morphiumpflaster aus Sterbehospizen und Altenheimen. Die Pflaster können ruhig schon gebraucht worden sein, Hauptsache, sie lindern vorübergehend sein körperliches Leiden.
Wie sich aus dieser Ausgangssituation die anrührende Freundschaft zur krebskranken Maureen (81!) entwickelt, ist vielleicht kitschig wie die berühmte Szene aus "King Kong", aber passt haargenau in dieses pralle Buch.
(Nur nebenbei ein, ja mein Supersatz von Tool: "Is' Ihr Freund, der wo das Problem ist." Grandios übersetzt, Frau Beetzenberger!!).

Nicht zu vergessen Detective Karl Rolvaag, der gebürtige Norweger, geschieden von seiner Frau, dafür Besitzer zweier armdicker Pythons, die zum Leidwesen seiner Vermieterin natürlich seine Mitbewohner und von ihm andächtig verehrt werden:

 

"Wie so oft staunte Rolvaag über ihre geschmeidige Anmut. Sie waren die reinsten aller Jäger, verlockend, jedoch bar jeglicher Emotion; ein Stammhirn mit Schwanz."

 

Welch eine versteckte Allegorie auf Chaz Perrone, lieber Carl Hiaasen?

Jedenfalls hat Rolvaag die Schnauze voll vom "pestilenzartigen Überfluß an üblen Subjekten im südlichen Florida", dieser ständigen Hitze bei hoher Luftfeuchtigkeit und sehnt sich nach Minnesota zurück, um endlich wieder leibhaftigen Schnee auf der Haut spüren zu können. Rolvaag ist ein herrlicher Columbo-Typ ("Das verstehe ich nicht." oder: "Ich fasse es nicht."). Schusselig, dann plötzlich, schon im Weggehen und den Kopf ein wenig zur Seite neigend nochmals eine kleine Nachfrage. Zum Knuddeln, Peter Falck würde sich kringeln.

Straffes Hollywood, klasse gemacht! 

Ein völlig abgedrehtes Buch, das nicht schwächelt wegen fehlender blutrünstiger Details, sondern das gewinnt durch seine durchgeknallten Typen. Wer mal wieder richtig Lust auf Lachen hat, sollte zügig zugreifen. Straffes Hollywood, aber klasse gemacht! Bis hin zur passenden Einbandgestaltung (Design Team München, vgl. "Psychopath" u.v.a.). Roy Lichtenstein hätte seine wahre Freude!

Der Reinfall

Carl Hiaasen, Random House Audio

Der Reinfall

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