Dicke Fische

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 1989
  • 7
  • New York: Putnam, 1987, Titel: 'Double Whammy', Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1989, Titel: 'Miami-Morde', Seiten: 448, Übersetzt: Malte Heim
  • München: Goldmann, 2002, Seiten: 445
Dicke Fische
Dicke Fische
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2003

Der alltägliche Wahnsinn als Thriller mit Witz

Mit R. J. Decker hat es das Schicksal nicht gut gemeint. Der einstige Starfotograf ist in eine Sinnkrise geraten und hat dabei so manche Dummheit begangen. Nun versucht er als Privatdetektiv einen Neuanfang im sonnigen US-Staat Florida. Der aktuelle Auftrag lässt ihn allerdings an seiner Berufswahl zweifeln, obwohl es der Millionär Dennis Gault ist, der ihn engagieren möchte.

Gault vertreibt sich sein süßes Leben im Müßiggang als Wettkampffischer. Der Kampf um den größten Maulbarsch ist nicht nur ein amerikanischer Breitensport geworden, wie der erstaunte Decker vernimmt, sondern hat eine lukrative Industrie für Zubehör aller Art hervorgebracht. Die Fänger der dicksten Fische gelten als Idole, die Preisgelder erreichen Schwindel erregende Höhen. Bisher war Gault der Hecht in diesem Barschteich. Nun macht ihm ein Konkurrent seinen Status streitig. Dickie Lockhart hat es sogar zu einer eigenen Angel-Show im Fernsehen gebracht.

Aber er betrügt und hängt offenbar gefrorene Dickfische an den Haken, wenn niemand hinschaut. Das soll Decker nun beweisen. Dafür winken ihm 50.000 Dollar Honorar, was ihn eventuelle Vorbehalte rasch vergessen lassen. Er ahnt noch nicht, dass er sich das Geld sauer wird verdienen müssen. Just ist im Lake Jesup die Leiche des Anglers Robert Clinch aufgetaucht. Angeblich ist er ertrunken, aber Decker wird nachdenklich, als er auf der Beerdigung dessen Geliebte kennenlernt, Lanie Gault, Dennis' Schwester, die ihm berichtet, dass Clinch Deckers Vorgänger auf der Jagd nach Lockhart war.

Ungeahnte Verbindungen tun sich auf. Um Barsche geht es da nur am Rande. Ein dichtes Netz betrügerischer Aktivitäten um illegale Bodenspekulationen, Steuerbetrug und TV-Schiebereien kommt ans Tageslicht. Deckers Stochern im Schlick bleibt nicht unbemerkt. Sein aufgeschreckter Gegner, der unfromme Reverend Charles Webb, Präsident des fundamentalistischen "Outdoor Christian Network", schickt ihm einige Killer auf Hals. Diese nicht die Hellsten, versuchen aber ihr Unvermögen durch Übereifer wettzumachen tragen zum Chaos bei, das über den Angelsport auszubreiten beginnt. Da trifft es sich gut, dass Deckers neuer Verbündete kauzige Fischführer und Polit-Veteran Skink ist, dem sehr unorthodoxe Möglichkeiten der Selbstverteidigung geläufig sind ...

Die großen Fische fressen die kleinen: Das ist ein altes Bild vom Überlebenskampf auf dieser Welt. Es lässt sich auch auf den menschlichen Alltag übertragen. Insofern leben Carl Hiaasens "Dicke Fische" längst nicht nur in schlammigen Seen. Auf dem Land treiben sich sogar noch gefrässigere Exemplare herum. Rücksichtslos verfolgen sie die Schwächeren, mästen sich an ihnen und zerstören obendrein die Welt, in der wir alle leben.

Darüber zu klagen bringt nichts, wie auch Hiaasen erfahren musste. Also bedient er sich der ironischen Übertreibung, um seine Botschaft anzubringen: Lasst euch nicht bescheißen von verlogenen Politikern, geldgierigen Konzernen, dem manipulierenden Fernsehen, scheinheiligen Predigern und all' den vielen anderen, die dreist vorgeben, für euch und zu eurem Besten das Denken zu übernehmen. Das gelingt dem Verfasser mit bewundernswerter Treffsicherheit: Dicke Fische ist wirklich komisch (eine tolle Leistung des Übersetzers, dies ins Deutsche gerettet zu haben). Schwarzer Humor der knochentrockenen Art wirkt sogar noch intensiver, weil Hiaasen ihn gekonnt und unmerklich immer wieder in ernste oder sogar tragische Momente umschlagen lässt: So transportiert er seine Botschaft, und es gelingt ihm, ohne aufdringlich zu sein.

Bemerkenswerterweise ruhen die grotesken Geschehnisse auf einem soliden Plot. Dicke Fische würde auch als "normaler", d. h. bierernst (und mit den genretypischen Brutalitäten) erzählter Thriller durchaus funktionieren. Es geschieht nicht gerade oft, dass sich ein Unterhaltungs-Schriftsteller (was heute immer noch ein Schimpfwort zu sein scheint) solche Mühe gibt. Aber Hiaasen zahlt dafür seinen Preis - auch hierzulande: Während nulltalentige Schreibautomaten wie John Grisham oder Michael Crichton in Rekordauflagen und fest gebunden durch die Buch-Supermärkte geschleust werden, bleibt Carl Hiaasen im Taschenbuch-Getto gefangen, wo ihn nur seine treuen Fans immer wieder neu entdecken.

Hier kann man es mit wenigen Worten bewenden lassen: Erneut erstaunt Hiaasens Talent, seine bizarre Welt mit absolut glaubhaften Figuren zu bevölkern. Gut und böse verwischen sich wie im richtigen Leben; der gebeutelte R. J. Decker ist weder Held noch verfolgte Unschuld, sondern auch ein recht jähzorniger Geselle, der sich selbst immer wieder in unnötige Schwierigkeiten bringt.

Auf der anderen Seite sind Hiaasens Strolche wie "Reverend" Webb oder Dennis Gault keine Schablonen-Strolche, sondern wirken manchmal fast sympathisch in ihrer allzu menschlichen Gier nach Macht und Geld. Weil sie gleichzeitig ziemlich dumm sind bzw. nie glauben können, dass ihre Mauscheleien sich einmal gegen sie wenden könnten, tun sie einem fast Leid, wenn sie schließlich die gerechte Strafe ereilt.

Und das geschieht, denn zumindest im Roman bringt Carl Hiaasen die Welt wieder in Ordnung. Er bedient sich dazu skurriler Heilsbringer wie des halb verrückten Ex- Gouverneurs "Skink", der so etwas wie einen Wunschtraum des Verfassers verkörpert: Einen ehrlichen Politiker, der nur das Beste für sein Land und seine Bürger wollte, von der Realität aus dem Amt und aus der Bahn geworfen wurde und nun auf anarchistische Weise trotzdem Gerechtigkeit übt. Viel Gewalt ist dabei im Spiel, aber Hiaasens Mitleid hält sich in Grenzen: Wenigstens im Roman darf er die verhassten Diebe und Lügner bluten lassen.

Dicke Fische

Carl Hiaasen, Bastei Lübbe

Dicke Fische

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