Selfies

  • Der Audio Verlag
  • Erschienen: Januar 2017
  • 26
  • Berlin: Der Audio Verlag, 2017, Seiten: 2, Übersetzt: Wolfram Koch, Bemerkung: gekürzte Ausgabe
Selfies
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Brigitte Grahl
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2016

Schwarz-humoriger Bodycount in Dänemark

Michelle ließ ihren Blick durch den Warteraum schweifen. Kaum ein Stuhl, der nicht von einem Idioten besetzt war. Die hingen da rum mit ihren ausgelatschten Schuhen und beknackten Mützen, und sahen einfach nur Scheiße aus. Die waren doch schuld, dass die öffentliche Hand für jemanden wie sie, Michelle, kein Geld mehr übrig hatte.

"Falls sie die Welt wirklich verlassen musste, dann nicht allein! Die Vorstellung, dass sich Gestalten wie Michelle, Jazmine, Denise oder die Ledertusse Birna weiter durchs Leben schmarotzten, während sie im Grab verrottete, war ihr plötzlich absolut unerträglich."

In Interviews hat Jussi Adler Olsen immer wieder betont, dass er die Reihe um Carl Mörk mit dem zehnten Band abschließen will. Jeden Band betrachtet er als ein Kapitel der Geschichte um das Team des Sonderdezernats Q. Im zehnten Band sollen alle losen Enden zusammengeführt werden. Die treuen Leser werden bis dahin Antworten auf drängende Fragen bekommen wie: Wer ist Assad? Wer hat auf Hardy geschossen? Welche Geheimnisse hütet Carl?

Im aktuellen siebten Band steht Rose im Mittelpunkt. Ihre Vergangenheit wird gelüftet und ihre bizarren Verhaltensweisen somit endlich verständlich. Gleichzeitig arbeitet das Ermittlerteam an einem alten Fall, der indirekt mit mehreren aktuellen Mordfällen verbunden ist, so dass das Sonderdezernat Q am Ende gleich fünf Fälle löst und damit seine eingangs drohende Auflösung wegen Ineffektivität glänzend widerlegt.

Diesmal tappt der Leser nicht, wie die Ermittler, bei der Tätersuche im Dunkeln. Entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit gibt Adler Olsen mit der Perspektive der Täterin der aktuellen Mordserie Einblicke in deren schwarze Seele. Als Sohn eines Psychiaters ist Adler Olsen unter "Irren" aufgewachsen und das spiegelt sich auch im Personal seiner Krimis.

Die Morde in diesem Buch haben Slapstick-Charakter

Nicht nur das Team des Sonderdezernat Q hat gehörige Macken, auch hinter der Fassade der "Normalos" lauern Abgründe. Mit sichtbarem Vergnügen lässt der Autor die Hauptpersonen in Wort und Tat ausrasten und Amok laufen. Der Bodycount in "Selfies" ist hoch, die Morde haben Slapstick-Charakter.

Ebenso aberwitzig wie das Handeln der Figuren ist auch die Verknüpfung aller Fälle am Ende des Buches. Das geht nur mit viel Zufall und wirkt schon sehr konstruiert. Bei der Vielzahl der involvierten Menschen und Fälle kommen einige davon reichlich kurz und oberflächlich weg. Aber wie immer schreibt Adler Olsen spannend, temporeich und witzig.

Nur bei Rose nimmt der Autor das Tempo vom Gaspedal und drosselt auch das gagreiche Geplänkel zwischen Assad und Carl deutlich im Vergleich zu den vorherigen Büchern. Zu düster ist Roses Verfassung und ihre Vergangenheit, um darüber Witze zu reißen.

Mit viel Empathie widmet sich der Autor den Hintergründen, die zu Roses gestörter Persönlichkeit geführt haben. Das spiegelt sich auch im Team wieder, das in der Sorge um Rose zusammenwächst. Selbst der sonst so zynische Carl zeigt ungewohnt viel Mitgefühl und Verständnis.

Wenig Mitgefühl hat Adler Olsen dagegen mit seinen drei Hartz-IV-Hauptfiguren. Mit beißender Ironie gibt er ihre Gedanken wieder, in denen sich alles um sie selbst dreht: um einfache und schnelle Geldbeschaffung, um schicke Klamotten und gutes Aussehen. Ein gesellschaftliches Phänomen, dass uns auch hierzulande im Programm so genannter Unterschichtssender täglich begegnet - und das Adler Olsen gallig portraitiert. Den Frust über die "Sozialschmarotzer" nimmt die Gestalt der Sozialamtsangestellten Annelie an, die ihre Rachefantasien immer enthemmter in die Tat umsetzt und dabei immer mehr zu dem wird, was sie so gehasst hat.

Mit den Büchern der Mörk-Reihe ist es wie mit den Münsteraner Tatorten: Das Geschehen um die Ermittler macht dem Kriminalfall die Hauptrolle streitig. Aber gerade deswegen haben sie ihre treue Fangemeinde. Für sie sind die Interaktion, die Frotzeleien und die Entwicklung des Ermittlerteams ein wichtiger Grund, dranzubleiben.

Richtig würdigen und genießen kann das nur, wer von Anfang an dabei ist. Die immer wieder geübte Kritik, dass der Kriminalfall zur Nebenrolle wird und das Privatleben der Ermittler zu viel Platz einnimmt, ist bei Neueinsteigern verständlich. Aber das ist kein Unvermögen des Autoren. Adler Olsen geht es ja genau darum: die Geschichte des Teams von Sonderdezernat Q zu erzählen, Kapitel für Kapitel - bis zum hoffentlich grandiosen Schlusskapitel im zehnten Band.

Selfies

Jussi Adler-Olsen, Der Audio Verlag

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