Operation Pax

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 1966
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  • London: Victor Gollancz, 1951, Titel: 'Operation Pax', Seiten: 304, Originalsprache
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1966, Titel: 'Unternehmen Pax', Seiten: 183, Übersetzt: Gretel Friedmann
  • München; Zürich: Piper, 1992, Seiten: 380, Übersetzt: Joachim Kalka
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2021

007-Turbulenz im ehrwürdigen Oxford

Milton Porcorum ist ein Dörflein unweit der Universitätsstadt Oxford. Hier in der englischen  Provinz geht es wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs (wieder) ruhig und (scheinbar) friedlich zu, was allerdings auch dem Verbrechen von Nutzen ist. Es hat sich in Milton Manor, einem ehemaligen Landsitz, eingenistet. Vorgeblich nimmt man hier alkohol- u. a. suchtkranke Patienten auf, die fern unerwünschter öffentlicher Aufmerksamkeit geheilt werden sollen.

Was tatsächlich hinter der hohen Mauer vor sich geht, die das gesamte Anwesen weniger schützt als von der Umwelt abschirmt, erfährt zufällig der kleine Gauner Rough, der auf der Flucht vor der Polizei ins Innere der Anlage gerät, unter Mitnahme einer streng geheimen Formel flüchten kann und von den Schergen des Hauses unerbittlich gejagt wird.

Dabei kreuzt Rough mehrfach und lange unbemerkt den Weg von Sir John Appleby, Scotland Yards Spezialist für delikate Sondereinsätze. Dieser wird zunächst privat aktiv, nachdem ihm seine Schwester Jane vom Verschwinden ihres zukünftigen Gatten berichtet hat. Auch der Onkel, ein mit Appleby bekannter Dozent in Oxford, vermisst Geoffrey Ourglass, dessen dürftige Spur nach Milton Porcorum zu führen scheint.

Bis diese Geschichte dort eintrifft und ihren dramatischen Höhepunkt findet, tobt eine wilde Jagd durch Oxford und die umliegenden Dörfer. Es mischen sich zusätzlich eine ungarische Exil-Adlige und ihr nervöser Gelehrten-Sohn, eine sowjetflüchtige Ärztin und die „Tiger“ - eine Bande unternehmungslustiger Oxforder Kinder - in das zunehmend groteske Geschehen ein …

Schlummernde Vulkane unter friedlichen Gestaden

Michael Innes - im ‚echten‘ Leben Professor John Stewart - war ungeachtet einer mehr als vier Jahrzehnte währenden Universitätskarriere ein gleichermaßen fleißiger Autor. Er schrieb wie viele andere Dozenten (oder hohe Geistliche u. a. Inhaber wenig aufregender Posten) Kriminalromane. Da er damit in den 1930er Jahren begann, waren es ebenfalls typisch Rätselkrimis, die sich um raffinierte Morde und die Suche nach dem Täter drehten.

Als Dozent für Englische Sprache beherrschte Innes dieselbe nicht nur, sondern liebte es, mit ihr zu spielen. Seine Thriller boten ihm ein Feld für manchmal gar zu heftig sprudelnden Einfälle; in dieser Hinsicht blieb er kaum hinter seinem Autorenkollegen Edmund Crispin (ebenfalls ein Oxford-Alumnus) zurück - und manchmal überbot er ihn. Operation Pax - Band 12 der Appleby-Serie - ist auch jenseits der Handlung ein treffendes Beispiel. So sind die Kapitelüberschriften Zitate aus den Werken des Dichters John Milton (1608-1674), wobei sich dessen Hauptwerk Paradise Lost (1665) und das darin episch heraufbeschworene Ringen zwischen Himmel und Hölle im Geschehen widerspiegelt; nicht zuletzt bildet „Milton Manor“ das Zentrum der beschriebenen Schweinerei („Milton Porcorum“).

Innes bürstet die Story mutwillig gegen den Strich, hebt die Gesetze der Wahrscheinlichkeit auf und scheut nicht vor zum Teil absurden Zufällen oder Slapstick zurück, um die Handlung in neue Richtungen zu treiben, während Seitenstränge sich um sie ranken, zurückbleiben, zum Überholen ansetzen, dann entweder unerwartet enden oder in einem Finale münden, das nicht nur den Protagonisten endlich die Gelegenheit zum Luftschnappen und Ausruhen gibt.

Das Böse kippt behaglich ins Bizarre

Der inhaltliche Überblick kommt der eigentlichen Story höchstens nahe; diese schlägt so viele Haken, dass eine Zusammenfassung eher zur Nacherzählung würde. Schon der Plot ist jeglicher Plausibilität enthoben - ein „MacGuffin“ reiner Hitchcockscher Schule, der dem Geschehen als Katalysator dient und ansonsten unwichtig ist. Allein die Vorstellung eines unerhört wichtigen Rezepts zur Herstellung einer biochemischen Wunderwaffe, das nur ein einziges Mal auf einem Blatt Papier niedergeschrieben existiert, gestohlen werden kann und hektisch gesucht werden muss, belegt, woher dieser Wind weht.

Konsistenz wird von Innes gestrichen. Nichtsdestotrotz verfolgt man die Folge kruder Ereignisse ebenso gespannt wie amüsiert. Der Autor nutzt jeden Trick, um uns zu überraschen: Er parodiert die zeitgenössischen (Spionage-)Thriller, die schon vor James Bond (der erst zwei Jahre später debütierte) allerlei Superschurken tücken ließen, die meist enge Kontakte mit der Sowjetunion oder China = dem Reich des Bösen unterhielten, und bedient sich geschickt jener Überdrehung der Schraube, die solches Tun um des Unterhaltungseffekts phantastisch übertreibt.

Dabei spart Innes nicht mit drastischen Effekten wie pistolenschussgesprengten Schurkenschädeln oder attackierenden Löwen (!), was als britischer = schwarzer Humor funktioniert und in reizvollem Kontrast zu einem ansonsten betont nüchternen Tonfall steht, der zudem den jeweiligen Aufritt von John Appleby markiert. Hier kehrt Innes aufreizend zum klassischen Krimi zurück, der selbst Mord und Totschlag in jene edle Kunst verwandelt, die sein Landsmann Thomas de Quincey bereits 1827 rühmte.

Den Anschluss an die Handlung finden

Appleby repräsentiert das alte, eigentlich schon nicht mehr existierende „Empire“-England, das nach dem Zweiten Weltkrieg rasant zum Insel-‚Reich‘ schrumpfte. Nichts ist mehr wie früher, weshalb nicht Scotland Yard für das Ende der Operation Pax sorgt, sondern eine aberwitzige Attacke, die u. a. Jane Appleby und einen abenteuerlustigen Taxifahrer die Mauern von Milton Manor überwinden lässt, wo das ungleiche Duo den Schurken planlos, aber ordentlich einheizt.

Generell weiß niemand, was geschieht oder was zu tun ist; dies gilt für die ‚Guten‘ ebenso wie für die ‚Bösen‘. Auf diese Weise ist die Verwirrung komplett, doch Innes findet stets eine Möglichkeit, den Wahnsinn methodisch noch ein wenig weiter auf die Spitze zu treiben. So mischen sich einige würdige Oxford-Dozenten, die sich zum Ermittler berufen fühlen, absolut weltfremd in die Ereignisse ein. Der zerstreute Wissenschaftler ist stets für einen Scherz gut, aber Innes bleibt liebenswürdig: Gerade durch ihr Um-die-Ecke-Denken sorgen diese Buchwürmer für konstruktive Überraschungen.

Eigentlich sind nur Kinder dem Wahnsinn gewachsen. Die „Tiger“ durchschauen das Spiel bzw. wissen, worauf es ankommt, weshalb sie die Handlung mehrfach übernehmen und weitertragen sowie ihren entscheidenden Teil zum Finale beitragen. Das gelingt ihnen, weil Innes ‚ihre‘ Logik übernimmt, die nicht an rationales Denken gebunden ist. Auch auf diese Weise bereichert der Verfasser einen ‚Kriminalroman‘, für den ihn schon zeitgenössische Genre-Puristen gezaust haben. Wer einen Sinn für gut unterfütterten Absurd-Humor besitzt, wird dagegen seine helle Freude am für unterhaltsamen Unfrieden sorgenden „Unternehmen Pax“ haben!

Fazit:

Der zwölfte Band der Appleby-Serie wirbelt den ohnehin absonderlichen Plot durcheinander bzw. zerlegt ihn in eine mehrschichtige Episodenhandlung, die nach und nach ein wunderliches Gesamtgeschehen enthüllt. Absurde Einfälle und klassische Krimi-Gemächlichkeit stehen nicht nebeneinander, sondern ergänzen sich zu einem turbulenten, völlig realitätsfernen, unterhaltsamen Garn.

Operation Pax

Michael Innes, Scherz

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