Charlie Chan und das schwarze Kamel

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1930
  • 2
  • Indianapolis: Bobbs-Merrill, 1929, Titel: 'The black camel', Seiten: 312, Originalsprache
  • Leipzig: Ernst Oldenburg, 1930, Titel: 'Das schwarze Kamel', Seiten: 250, Übersetzt: Hansi Bochow-Blüthgen
  • München: Heyne, 1982, Seiten: 283, Übersetzt: Alexandra von Reinhardt
Charlie Chan und das schwarze Kamel
Charlie Chan und das schwarze Kamel
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2020

Der Tod folgt ihr von Hollywood nach Honolulu

Ihren neuen Film hat Hollywoodstar Shelah Fane in der fernen Südsee beinahe abgedreht. Noch fehlende Szenen sollen auf Hawaii entstehen, was vor und hinter der Kamera die Arbeit erleichtert, denn die Insel ist Teil der USA und bietet in der Hauptstadt Honolulu jene zivilisatorischen Errungenschaften, die man in der Südsee schmerzlich vermisst hat.

Shelah ist abgelenkt. Ihre Karriere neigt sich dem Ende zu, sie ist finanziell chronisch klamm, und zu allem Überfluss droht sie ein Skandal einzuholen: Vor drei Jahren fiel Schauspieler Denny Mayo in seinem Haus in Hollywood einem Mord zum Opfer. Der Fall sorgte für enormes Aufsehen, konnte aber nie geklärt werden. Viele ‚Freunde‘ und Bekannte des Toten strengten sich an, ihre Namen aus den Zeitungen zu halten. Shelah hat ihrem Vertrauten, dem ‚Hellseher‘ und ‚Berater‘ Tarneverro, gestanden, Zeugin der Bluttat gewesen zu sein. Sie kennt also den Mörder, hat aber stets geschwiegen. Seither drückt Shelah das Gewissen, weshalb sie Tarneverro jetzt den Namen des Täters verraten möchte, zumal sich dieser ebenfalls auf Hawaii aufhält.

Er (oder sie?) scheint Shelahs Plan zu kennen, denn noch bevor sie sich offenbaren kann, findet man die Diva erstochen im Pavillon ihrer Ferienvilla. Der Fall geht an Inspector Charlie Chan vom Honolulu Police Department. Da der Mord großes Aufsehen erregt und örtliche Politiker rasche Ergebnisse fordern, steht der Beamte unter Druck, zumal ihm nur ein kleines und unerfahrenes Team zur Verfügung steht.

Allerdings ist Chan ein gewiefter Detektiv. Hinter seiner Fassade aus orientalischer Gelassenheit steckt ein scharfer Verstand. Mit der für ihn typischen Bedächtigkeit, die tatsächlich Ausdruck einer gründlichen Fahndung ist, beginnt Chan zu ermitteln. Dass der oder die Täter/in zum Kreis der Filmleute und Freunde gehört, steht fest. Auch Spuren kann Chan sichern. Die Indizien erweisen sich jedoch immer wieder als manipuliert, und auch die Alibis der Verdächtigen lassen zu wünschen übrig.

Chan läuft die Zeit davon, denn die prominente Gruppe lässt sich nicht ewig auf Hawaii festhalten. Dessen ungeachtet sichtet der Detektiv Beweise und Alibis, sortiert Falsches bzw. Gefälschtes aus, stellt scheinbar harmlose, sogar dumme Fragen -   und rekonstruiert systematisch eine Tragödie, die ihrem Höhepunkt erst entgegensteuert …

Der Tod ist ein Kamel

Charlie Chan arbeitet zwar für eine US-Polizeibehörde, ist aber in China geboren und wird - zumal in seinem zeitgenössischen Umfeld - immer ein ‚Chinese‘ bleiben. Zwar erspart Autor Earl Derr Biggers Chan und uns, seinen Lesern, allzu aufdringliche Chauvinismen; er thematisiert sogar die üblichen Niederträchtigkeiten überheblicher weißer Übermenschen, deren sich der kluge Chan durchaus zu erwehren weiß. Dennoch ist Chan ein typischer Asiate, klug, aber verschlossen, sowie eine nie versiegende Born obskurer Weisheiten, die Biggers einfallsreich und unermüdlich über sein Publikum kommen lässt.

Aus dieser Quelle speist sich auch der seltsame Titel, der korrekt von der Originalfassung übernommen wurde: „Der Tod ist ein schwarzes Kamel, das ohne Einladung vor jeder Pforte kniet.“ Dieses Mal trifft es eine berühmte Schauspielerin, die 1929 - der hier vorgestellte Roman erschien in diesem Jahr - ihr Privatleben wesentlich umsichtiger schützen musste als heute, wo selbstgedrehte Sextapes der Stars in Serie, weil publicity-wirksam, geleakt werden.

Damals waren die Sitten zumindest offiziell strenger. Filmgesellschaften waren Monopolbetriebe, die ihre Schauspieler besaßen und ihnen Biografien auf die Leiber schneiderten. Neue Kleider, neu erlernte Umgangsformen, neue Namen: Es entstanden „Sterne“, Filmgötter, die funkeln, aber nach der Pfeife ihres Studios tanzen mussten. Skandale wurden publikumswirksam inszeniert, was die Karriere und die Einspielergebnisse förderte. Doch das Publikum musste seinen Stars gewogen bleiben. Der Grat war schmal. Gerade in den 1920er Jahren stürzten diverse Filmgötter von ihren Sockeln, weil sie ihre Privilegien - Schauspieler sollten übergroß wirken - überschätzten.

Täuschung als Job

Das Film-Milieu bedient sich in seiner Selbstdarstellung gern der eigenen Manierismen, wobei diese im Dienst der Unterhaltung noch einmal übertrieben werden. Unsere Schar der Verdächtigen setzt sich aus Filmleuten und Journalisten zusammen, die von Berufswegen ihr Publikum täuschen. Damit sind sie zumindest scheinbar prädestiniert, Ermittler wie Charlie Chan spielerisch auszuhebeln: Verzweiflung, Reue, Unschuld, Unwissen: Sie können Emotionen und Reaktionen mimen.

Deshalb sieht sich Chan einem wahren Trommelfeuer aus Lügen, Verdrehungen und Täuschungen ausgesetzt. Gerade der klassische Kriminalroman, der in der finalen Entlarvung des Täters vor großer Runde gipfelt, lebt von entsprechenden Fehlfährten, denen Detektiv und Leser gemeinsam folgen. Der Erkenntnis, reizvoll in die Irre gegangen oder geführt worden zu sein, folgt eine neue Fährte. Wird dieses Konzept so kundig wie hier umgesetzt, entsteht daraus jene Rätsel-Unterhaltung, für die das „Cozy“-Genre bekannt und beliebt ist. Hier kann nicht jede Wendung überzeugen, und die Aufklärung wird auf Kosten der Plausibilität überdramatisiert. Zudem ist da noch die Liebesgeschichte zweier junger, hübscher (Königs-) Kinder, die lange nicht zueinanderfinden, sondern sich schnippisch (sie), ehrpusselig (er) und völlig handlungsüberflüssig (beide) streiten, bis Charlie ein (wortspielreiches) Machtwort spricht und endlich geheiratet werden kann. Diese ‚Bereicherung‘ wird dem Krimigeschehen so offensichtlich eingeschoben, dass man die entsprechenden Passagen überspringen kann.

Biggers fängt viel durch die Schilderung einer zeitgenössisch mondänen Welt auf, die längst untergegangen ist. Hawaii vor dem Zweiten Weltkrieg ist eine selten genutzte Kulisse. Der Autor weiß sie zu nutzen, ohne auf Hula-Hula-Klischees zurückgreifen zu müssen. Die Handlung schreitet bedächtig, aber zielstrebig voran; das Tempo wird von der Hauptfigur bestimmt. Charlie Chan mag aus heutiger Sicht ein wenig zu unterwürfig-höflich sein. Ganz bestimmt behält er jedoch das Heft in der Hand. Gerade wenn bzw. weil er wieder wortreich seine Ratlosigkeit bekundet, bereitet er zuverlässig eine neue Überraschung vor, bis er seinen Verdächtigen die Wahrheit abgerungen hat - freundlich und unerbittlich.

Fazit:

Teil 4 der sechsbändigen Charlie-Chan-Serie bietet einmal mehr klassisches Krimirätsel-Handwerk. Die typischen Frage-und-Antwort-Gefechte und das trickreiche Spiel mit den „red herrings“ gewinnt durch die Handlungsort Hawaii vor dem Zweiten Weltkrieg, den der Autor handlungsbezogen und nie selbstzweckhaft in das Geschehen einbindet: ein guter Krimi aus alter Zeit.

Charlie Chan und das schwarze Kamel

Earl Derr Biggers, Heyne

Charlie Chan und das schwarze Kamel

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