"Relax" vs. "Extrem" -
Gegensätzlicher können Krimis nicht sein.

von Michael Drewniok

Immer tauglich als Zentrum des Schreckens: die liebe Familie

Blut ist dicker als Wasser, weshalb es wahrscheinlich innerhalb von Familien besonders häufig fließt. Man ist quasi zum Zusammenhalt gezwungen, obwohl Verwandtschaft keineswegs ein Verhütungsmittel gegen Hass und Mordlust ist. Doch selbst dort, wo die Familie ‚funktioniert‘, ist sie ein Hort stetiger Missverständnisse und gegenseitiger Verletzungen. Wahrscheinlich ist dieser Plot so beliebt, weil es den Lesern leichtfällt, sich in die Situation hineinzudenken …

  • Krimi "Relax"

    Nicholas Blake

    Das Geheimnis des Schneemanns

    Privatdetektiv Nigel Strangeways und Gattin Georgia werden von Cousine Clarissa Cavendish ins Dower Haus eingeladen. Bei Familie Restorick, den Nachbarn, soll es angeblich spuken. Dies gerät rasch in Vergessenheit, als Elizabeth, die lebenslustige Schwester des Hausherrn, erhängt in ihrem Zimmer entdeckt wird.

    Chief Constable Dixon sowie Detective Inspektor Blount von Scotland Yard bearbeiten den Fall. Da Easterham Manor aufgrund heftigen Schneefalls von der Außenwelt abgeschnitten ist, muss der Mörder eine/r der derzeitigen Hausbewohner sein. Sie sind ohnehin verdächtig: Hereward Restorick leidet unter Geldnot, sein Bruder Andrew missbilligte den lockeren Lebenswandel der Schwester. Auch die Gäste hüten manches Geheimnis. Erst das späte Ende des Winters sorgt auf bizarre Weise für die Lösung des Rätsels,

    Die klassische Petrischale des Verbrechens

    Mit dem siebten Band seiner Serie um den Ermittler Nigel Strangeways legte „Nicholas Blake“ (alias Cecil Day-Lewis, 1904-1972) einen lupenreinen „Landhaus-Krimi“ vor: Man nehme eine Reihe möglichst unterschiedlicher Charaktere und sperre sie an einem Ort ein, dem sie nicht entkommen können. Erst im Rahmen eines „Großen Finales“ werden Fakten, Lügen und falsche Theorien getrennt und die Wahrheit enthüllt. Blake spielt mit dem Genre, indem er das Geschehen mit der Aufklärung einleitet.  Erst dann setzt die eigentliche Geschichte ein, die ihren klassischen Ablauf nimmt,

    Nigel Strangeways ist der klassische Ermittler und nur der Wahrheit verpflichtet. Deshalb ziehen ihn die Verdächtigen eher ins Vertrauen als DI Blount, der für eine offizielle Untersuchung des Falls steht, der vor Gericht kommen und damit an die Öffentlichkeit geraten wird - eine Schreckensvorstellung, die auch redliche Bürger schweigen lässt, wo sie lieber reden sollten. Dass die Restoricks eine dysfunktionale Familie sind, wird sorgfältig nach außen verborgen. Letztlich ist die Ursache hinter dem Verbrechen selbstverständlich komplizierter = für die zum Miträtseln aufgeforderten Leser überraschender: Blake behält die Nase vorn - und scheut nicht vor einem entweder schockierenden oder schwarzhumorigen Höhepunkt zurück!

    zur Rezension auf Krimi-Couch.de

  • Krimi "Extrem"

    Jørn Lier Horst

    Eisige Schatten

    In Stavern, einem norwegischen Hafenstädtchen, wird in seinem Haus Viggo Hansen gefunden. Schon vor Monaten muss der verschrobene Einzelgänger gestorben sein. Kommissar William Wisting interessiert sich beiläufig für diesen Fall, weil Hansen quasi sein Nachbar war. Das traurige Ende des auch ihr bekannten Nachbarn lässt Wistings Tochter Line nicht los. Als Journalistin möchte sie Hansens einsames Leben und Sterben thematisieren. Ihre Recherchen sind mühsam, aber Line bleibt hartnäckig - und steht vor einem Problem: Die Indizien wollen sich nicht zu den Tatsachen fügen: Ist Hansen womöglich einem Verbrechen zum Opfer gefallen?

    Den Vater will Line vorsichtshalber nicht informieren, denn sie wittert eine Story. Zu ihrem Glück ist Wisting abgelenkt: Eine im Wald gefundene Leiche könnte zu Lebzeiten ein Serienkiller gewesen sein, der sein Unwesen in den USA getrieben hat. Robert Godwin konnte rechtzeitig untertauchen - offenbar in Norwegen, dem Land seiner Vorfahren. Das FBI schickt ein Team nach Stavern, denn wie sich herausstellt, ist Godwin auch in Norwegen nicht untätig geblieben …

    Die doppelte Spur zum unsichtbaren Täter

    Im hohen Norden wird normalerweise melodramatisch gemordet und über den Verfall der modernen Gesellschaft räsoniert. Als Leser wird man mit psychologischen Verstrickungen bombardiert, die Ermittler sind ebensolche Trauerklöße wie die Täter. Meist werden alte, sorgsam gehütete bzw. vertuschte Geheimnisse aufgedeckt. Der Versuch, die Büchse der Pandora zu schließen, führt verhängnisvoll zu weiteren Übeltaten. Darüber hinaus regnet oder schneit es unaufhörlich, was die allgemeine Schwermut unterstreichen soll.

    Die Witterung ist auch hier ein wichtiges Element des Geschehens, die Kälte wird mehrfach zum Hindernis einer Ermittlung, die ohnehin auf zunächst eiskalter Spur starten muss. Ansonsten vermeidet Autor Horst Nordkrimi-Einerlei. „Eisige Schatten“ vor allem ein „police procedural“: Die Fahndung nach dem Killer prägt die Handlung.

    Die sozial engagierte Line hat den Spürsinn, aber auch den Jagdtrieb des Vaters geerbt. Dies garantiert hier nicht nur Erfolg, sondern sorgt genregerecht für Lebensgefahr. Horst hält die Dualität von Ermittlung und Recherche erstaunlich lang durch. Als Profi gelingt es ihm, die Unwahrscheinlichkeit der ‚Funkstille‘ zwischen Vater und Tochter elegant zu begründen. Dem Klischee unterwirft sich Horst erst im dramatischen Finale, das nicht überraschend Vater, Tochter und Killer im allein und improvisiert geführten Kampf zusammenführt.

    Der Verzicht auf skandinavische Tristesse muss abermals hervorgehoben werden, wenn Horst Indizien, Vermutungen, Irrtümer und Geistesblitze zu einer geschlossenen Ereigniskette schmiedet. Es gibt keine endlosen Rückblenden oder jene schrillen Metzel-Szenen, mit denen weniger fähige Autoren ihre Thriller ‚aufwerten‘. Horst präsentiert Fakten, bleibt im Hier und Jetzt und führt uns mit leichter, aber fester Schreibhand durch die Geschichte.

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Fotos: istock.com / teekid

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